Weiterbildungsbeteiligung: Fehlende Unterstützung der Arbeitnehmenden als grösste Hürde
Lebenslange Aus- und Weiterbildung ist in aller Munde – die konkrete Unterstützung für die Arbeitnehmenden bleibt dabei aber mangelhaft. Um die Herausforderungen des Strukturwandels zu meistern und die Chancen der Arbeitnehmenden auf dem Arbeitsmarkt zu erhalten, müssen Berufsabschlüsse für Erwachsene einfacher zugänglich sein und die Unterstützung für Weiterbildung durch die Arbeitgebenden und die öffentliche Hand ausgebaut werden.
Mit dem Mikrozensus Aus- und Weiterbildung untersucht das Bundesamt für Statistik (BfS) alle fünf Jahre das Aus- und Weiterbildungsverhalten der ständigen Wohnbevölkerung der Schweiz. Aus den Resultaten für das Jahr 2021 wird deutlich, dass sich innerhalb eines Jahres 45 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung weitergebildet haben. Dies ist gegenüber der letzten Erhebung 2016 ein deutlicher Rückgang von rund 17 Prozentpunkten und dürfte im Wesentlichen mit der Covid-19-Pandemie zusammenhängen. Die Durchführung von Aus- und Weiterbildungen war erschwert und die Motivation für eine Teilnahme geschmälert. Travail.Suisse betrachtet diese Entwicklung mit Sorge, kommt doch der kontinuierlichen Aus- und Weiterbildung – dem lebenslangen Lernen – eine grosse Bedeutung beim Erhalt der Chancen auf dem Arbeitsmarkt der Arbeitnehmende zu. Die Verantwortung für die Weiterbildung darf aber nicht nur beim Individuum liegen, sie ist vielmehr eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung. Es braucht sowohl die Bereitschaft der Arbeitnehmenden, wie auch eine Ermöglichung durch die Arbeitgebenden und eine Unterstützung durch die öffentliche Hand.
Fehlende Unterstützung der Arbeitgeber als grosse Hürde für die Teilnahme an Weiterbildung
Der «Barometer Gute Arbeit» von Travail.Suisse macht deutlich, dass die Unterstützung der Weiterbildung durch die Arbeitgebenden mangelhaft ist. So werden als Gründe für die ausgebliebene Weiterbildungsaktivität von einem Drittel aller Arbeitnehmenden die fehlende Unterstützung durch den Arbeitgeber und von einem Viertel zeitliche oder finanzielle Gründe genannt. Insgesamt erlebt beinahe die Hälfte der Arbeitnehmenden keine oder nur eine unzureichende Förderung der Weiterbildung durch ihre Arbeitgebenden. Des Weiteren wurden diskriminierende Muster in der Weiterbildungsunterstützung aufgedeckt, die jetzt auch im Mikrozensus des BfS bestätigt werden (vgl. Tabelle 1). So werden Frauen und AusländerInnen etwas weniger von ihren Arbeitgebenden unterstützt, Teilzeitarbeitende und tiefer Qualifizierte sogar deutlich weniger. Auch die Unternehmensgrösse spielt eine Rolle – je kleiner das Unternehmen, desto geringer die Unterstützung der Weiterbildungsaktivität ihrer Mitarbeitenden. Die viel gefeierte – und anderswo sicher berechtigte – KMU-Lobhudelei in der Schweiz erhält hier einen argen Kratzer.
Tabelle 1: Unterstützung von Weiterbildung durch Arbeitgeber nach Merkmalen der Erwerbstätigen
Weitere Baustellen: Validierung von Bildungsleistungen und indirekte Bildungskosten
Während Weiterbildungen im Sinne von nichtformaler Bildung (Kurse, Seminare, on-the-job usw.) oftmals ohne Voraussetzungen besucht werden können und die zeitliche Belastung begrenzt ist, bestehen bei formalen Ausbildungen im Bereich der höheren Berufsbildung oft formale Voraussetzungen oder zeitliche Barrieren. So gelingt es beispielsweise pro Jahr nur rund einem Prozent der rund 300'000 Erwerbstätigen ohne Abschluss auf SEK-II-Stufe, einen Berufsabschluss für Erwachsene zu machen und so den formalen Zugang zur höheren Berufsbildung zu erhalten. Gerade auch die nur rund 800 jährlichen Validierungen, also die Anerkennung von Kompetenzen zur Erlangung eines Fähigkeitszeugnisses oder eines Berufsattests, schöpfen hier das Potenzial bei Weitem nicht aus. Ausserdem sind Ausbildungsgänge, resp. Vorbereitungen auf Abschlüsse der höheren Berufsbildung, oftmals sehr zeitintensiv, was eine Reduktion des Arbeitspensums zur Bewältigung voraussetzt. Die damit zusammenhängende Einkommenseinbusse ist oftmals das entscheidende Hindernis. Gleichzeitig sind staatliche Unterstützungen – z.B. durch Stipendien oder die Arbeitslosenversicherung – nur sehr eingeschränkt verfügbar. Diese indirekten Bildungskosten werden bislang zu wenig beachtet. Zu oft bleiben die Arbeitnehmenden in ihren Bemühungen auf sich allein gestellt und die betonte Bedeutung des lebenslangen Lernens bleibt eine leere Floskel. Travail.Suisse, der unabhängige Dachverband der Arbeitnehmenden, fordert dringend eine ausgedehntere Förderung der Berufsabschlüsse für Erwachsene und eine zielgerichtete Adressierung der indirekten Bildungskosten – ohne eine eigentliche Weiterbildungsoffensive drohen Arbeitnehmende im aktuellen Strukturwandel hin zu einem digitalisierten Arbeitsmarkt auf der Strecke zu bleiben.