Im internationalen Vergleich ist die Beteiligung der über 50-jährigen Arbeitnehmenden am Schweizer Arbeitsmarkt hoch. Aber aufgrund der demografischen Entwicklung wird der Anteil dieser Altersgruppe an der Erwerbsbevölkerung noch deutlich zunehmen. Der Zeitpunkt für konkretes Handeln ist gekommen, insbesondere um den Fachkräftemangel abzuwenden, dessen Auswirkungen in den nächsten Jahren immer mehr spürbar werden.
Die Erwerbsquote der 50- bis 64-Jährigen betrug 2011 76%, und jene der ab 55-Jährigen lag bei 70%, womit unser Land – im Vergleich der EU-/EFTA-Staaten – den dritten Platz hinter Island und Schweden belegt. Der EU-Durchschnitt beläuft sich auf 49,7%. Dieses gute Abschneiden darf jedoch nicht zur Annahme verleiten, dass alles bestens ist und geringer Handlungsbedarf besteht.
Während 2010 noch 786’000 erwerbstätige Personen im Alter von 55 Jahren oder älter verzeichnet wurden – was 17,5% der Erwerbsbevölkerung entspricht –, dürfte diese Altersgruppe gemäss dem mittleren Szenario der Bevölkerungsentwicklung der Schweiz 2020 über 20% und 2025 22% ausmachen. 1
Da sich bereits heute in vielen Berufen, wie den MINT-Berufen 2 , aber auch anderen Berufen, z.B. im öffentlichen Sektor (Lehrkräfte, SBB), ein Arbeitskräftemangel abzeichnet, ist es sehr wichtig, der demografischen Entwicklung vorzugreifen und dafür zu sorgen, dass ältere Arbeitnehmende sich länger auf dem Arbeitsmarkt halten können. Weitere Gründe, die für eine Förderung der Beschäftigung von ab 50-Jährigen sprechen, liegen darin, dass Sozialversicherungen und Sozialhilfe entlastet werden müssen und dass wir uns nicht zu stark von der manchmal bequemen Lösung, die von der Personenfreizügigkeit geboten wird, abhängig machen dürfen.
Manche Branchen sind stärker von der Alterung ihrer Arbeitskräfte betroffen als andere: Namentlich im Gesundheitswesen, im sozialen Bereich und im Bildungswesen hat die Zahl der älteren Arbeitnehmenden zwischen 2000 und 2010 bedeutend zugenommen.
Der Arbeitskräftemangel hat zwar dafür gesorgt, dass man sich des Problems bewusst geworden ist und eine Debatte über die Beschäftigung älterer Arbeitnehmender lanciert hat, aber immer noch herrscht die vom Jugendwahn geprägte Vorstellung vor, dass über 50-Jährige weniger leistungsfähig sind. Die Realität ist jedoch viel komplexer, denn alles hängt von den zugewiesenen Aufgaben und den Möglichkeiten zum Stellenwechsel ab. Eine Schubladisierung älterer Arbeitnehmender ist auch deshalb nicht angebracht, weil es individuelle Unterschiede gibt.
Dauer- und Temporärstellenvermittler berichten, dass sich die Lage der über 50-Jährigen auf dem Arbeitsmarkt in letzter Zeit verschlechtert hat. Einerseits werden sie öfter entlassen, andererseits werden sie auch seltener eingestellt, oder – was noch schlimmer ist – es gilt die stillschweigende Regel, dass keine über 50-Jährigen eingestellt werden dürfen. 3
Rahmenbedingungen verbessern…
Seit einigen Jahren sind sich das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) und das Eidgenössische Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) bewusst, dass man die Beteiligung älterer Arbeitnehmender angesichts der demografischen Überalterung fördern muss. Aber die bisher getroffenen Massnahmen bleiben zu punktuell und zu bescheiden. So wurden in der Arbeitslosenversicherung die Voraussetzungen für Einarbeitungszuschüsse an über 50-jährige Arbeitslose leicht verbessert. Es werden auch Anstrengungen unternommen, um die Gesundheit am Arbeitsplatz zu fördern. Es wären aber noch weitere Massnahmen nötig, die bisher völlig fehlen, so zum Beispiel die Einführung einer Einstellungspolitik ohne jede Altersdiskriminierung. Es ist zudem sehr wichtig, die Aus- und Weiterbildung von über 50-Jährigen zu fördern. Der Bundesrat und das Parlament beginnen, sich dessen bewusst zu werden, und man darf hoffen, dass die gesetzlichen Grundlagen bald so angepasst werden, dass sie diese Notwendigkeit berücksichtigen.
Das WBF hält in seiner Fachkräfteinitiative fest, dass Frauen und ältere Arbeitnehmende das grösste Potenzial zur Behebung des Mangels bergen. 2009 hätte die Wirtschaft über 420’000 zusätzliche Vollzeitäquivalente verfügt, wenn das Potenzial der Arbeitslosen, der Erwerbslosen und der Teilzeitbeschäftigten zwischen 55 und 64 Jahren voll ausgeschöpft worden wäre. Das Potenzial ist somit vorhanden, aber es müssen konkrete Massnahmen umgesetzt werden, damit man es zumindest teilweise nutzen kann.
… und gute Unternehmenspraktiken verbreiten
Die Verbesserung der allgemeinen Rahmenbedingungen für ältere Arbeitnehmende genügt jedoch nicht, um die Beschäftigung und die Beschäftigungsfähigkeit der über 50-Jährigen ausreichend zu fördern. Zusätzlich müssen gute Unternehmenspraktiken im Umgang mit dem Alter bekannt gemacht und verbreitet werden. Man muss ja nicht das Rad neu erfinden. Zahlreiche Studien, die in den letzten Jahren in der Schweiz oder im Ausland durchgeführt wurden, zeigen ziemlich klar, welche Massnahmen getroffen werden können. Folgende Beispiele seien hier genannt: flexible Pensionierung, Funktionsentwicklung, Ergonomie und Case Management 50+, Fortbildung, diskriminierungsfreie Einstellungspolitik, Gestaltung der Generationenbeziehungen, Kenntnis der Altersstruktur durch das Unternehmen usw. 4
Bei manchen Firmen zeigt sich der Wille, in dieser Frage voranzukommen, wie beispielsweise die Initiativen gewisser Schweizer Grossunternehmen belegen. Einige haben sich in einem Netzwerk zusammengeschlossen, um ein Generationenmanagement für den wirtschaftlichen Erfolg zu gewährleisten. 5
Die Zuwanderung ist keine Lösung
Es wäre gefährlich zu glauben, dass das Problem der überalterten Erwerbsbevölkerung durch die Zuwanderung oder die Personenfreizügigkeit dauerhaft ausgeglichen werden kann. Die Überalterung der Bevölkerung ist in ganz Europa ein Problem, und manche Länder sehen sich allmählich vor eine demografische Entwicklung gestellt, die noch ungünstiger verläuft als in der Schweiz, so zum Beispiel Deutschland. Gerade dieses Land ist in den letzten Jahren ein wichtiger Fachkräftelieferant für die Schweizer Wirtschaft geworden. Nun unternimmt Deutschland aber immer mehr Anstrengungen, um die in die Schweiz abgewanderten Arbeitskräfte zurückzuholen, beispielsweise durch bedeutende finanzielle Anreize. Daraus lässt sich schliessen, dass eine optimale Nutzung des Potenzials der einheimischen Arbeitskräfte eine ganz wichtige Strategie ist, um die Erwerbstätigenquote und damit den Wohlstand unseres Landes zu erhalten. Eine höhere Wertschätzung der älteren Arbeitnehmenden ist ein bedeutender Teil dieser Strategie.
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Travail.Suisse-Projekt zu älteren Arbeitnehmenden mit ungarischen Partnern
Im Rahmen des Schweizer Erweiterungsbeitrags an die neuen Mitgliedstaaten der EU erhielt Travail.Suisse die Finanzierung für ein Zusammenarbeitsprojekt mit dem Titel «Förderung der Beschäftigung älterer Arbeitnehmender. Erfahrungen in der Schweiz und vorgeschlagene Massnahmen in Ungarn» zugesprochen.
In Ungarn weisen die über 50-Jährigen eine der tiefsten Erwerbsquoten in Europa auf, während in der Schweiz genau das Gegenteil der Fall ist. Deshalb möchten die ungarischen Projektpartner (ungarischer Unternehmensberaterverband (MOSz) und ungarische Unternehmer- und Arbeitgebervereinigung) mehr über die Lage der älteren Arbeitnehmenden auf dem Schweizer Arbeitsmarkt erfahren.
Ein Teil des Projekts besteht aus einer Studienreise in der Schweiz, die vom 25. bis 30. November 2012 von Travail.Suisse für Vertreter der beiden ungarischen Partner organisiert wird. Dabei werden die Partner Schweizer Unternehmen mit guten Lösungen für ältere Arbeitnehmende sowie Gewerkschaften, Arbeitgeberorganisationen und andere von dieser Problematik betroffene Institutionen aufsuchen. In einem zweiten Schritt findet ein Workshop in Ungarn statt, an dem die in der Schweiz gesammelten Erfahrungen sowie die Praxis in Ungarn einbezogen und kommentiert werden.
Auf dieser Grundlage wird eine Publikation mit Empfehlungen erarbeitet, die an regionalen Seminaren in Ungarn weitergegeben werden. Das Ziel ist, die bestehenden guten Praktiken in den verschiedenen Regionen Ungarns zu verbreiten. Mit diesem Projekt bringen wir gleichzeitig mehr über die Lage der älteren Arbeitnehmenden in der Schweiz in Erfahrung und können Sensibilisierungsarbeit leisten, um die Beschäftigung und Beschäftigungsfähigkeit älterer Arbeitnehmenden auch in unserem Land zu fördern.
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