Rückblick Dialogforum: Anforderungen ans Berufsbildungssystem aus Sicht der Arbeitnehmenden
Die Dialogforen der Tripartiten Berufsbildungskonferenz dienen dem Austausch zwischen den verschiedenen nationalen Akteuren des Berufsbildungswesens. Die zweite Ausgabe des von Travail.Suisse mitorganisierten «Dialogforums OdA Arbeitnehmende» setzte Empfehlungen zur Umsetzung der UNO-Behindertenrechtskonvention ebenso in den Fokus wie die indirekten Bildungskosten als grösste Hürde für die Teilnahme an Weiterbildung. Die ungleiche Förderung der Weiterbildung bleibt aus Sicht von Travail.Suisse eine der grössten Herausforderungen.
Auf 2021 hat die Tripartite Berufsbildungskonferenz (TBBK) seine Arbeit aufgenommen. Die TBBK steuert die Berufsbildung verbundpartnerschaftlich auf strategischer Ebene und dient dabei als Bindeglied zwischen den verschiedenen Gremien auf operativer Ebene und dem nationalen Spitzentreffen auf politischer Ebene. Um Bedürfnisse und Forderungen festzustellen und einen möglichsten breiten Einbezug der verschiedenen Akteure sicherzustellen, werden jährlich vier Dialogforen durchgeführt – auf diese Weise wird der direkte Austausch zwischen den verschiedensten Akteuren und den Mitgliedern der TBBK ermöglicht. Anfang Mai hat die zweite Durchführung des «Dialogforums OdA Arbeitnehmende» stattgefunden, dabei stand eine breite Palette an Themen zur Diskussion.
Ukrainekrieg und UNO-Behindertenrechtskonvention
Aus aktuellem Anlass war die Frage der Integration von Geflüchteten aus der Ukraine ein Diskussionspunkt. Dabei stand die Forderung nach einer verstärkten Bildungsinvestition im Zentrum. Durch den Schutzstatus S ist zwar der direkte Zugang zum Arbeitsmarkt möglich, es steht aber nicht die volle Integrationspauschale für Personen des Asylbereichs (18'000 Franken) zur Verfügung. Mit den bis jetzt beschlossenen 3’000 Franken als (Teil-)Integrationspauschale können zwar erste Sprachkurse finanziert werden, aber keine weitergehenden Bildungsmassnahmen. Entsprechend bleibt die Integration der Geflüchteten ins Berufsbildungssystem und den Arbeitsmarkt bis jetzt mangelhaft.
Ein weiterer aktueller Themenbereich war die erstmalige Überprüfung der Umsetzung der UNO-Behindertenrechtskonvention (BRK) durch die Schweiz. Diese Überprüfung wurde im März 2022 durch den UNO-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen vorgenommen. Dabei wurden Zugangsbarrieren sowohl zur Berufsbildung wie auch zur höheren Bildung festgestellt und Empfehlungen für den einen besseren Zugang zu inklusiver und zertifizierender beruflicher Grundbildung für alle Lernenden formuliert. Travail.Suisse setzt sich schon länger für eine bessere Anerkennung der praktischen Ausbildungen unterhalb der Attest-Stufe ein und unterstützt eine Integration dieser Abschlüsse ins Berufsbildungssystem.
Indirekte Bildungskosten als grösste Herausforderung
Ein weiteres Thema waren die indirekten Bildungskosten als grosse Hürde für die Weiterbildungsbeteiligung der Arbeitnehmenden. Indirekte Bildungskosten entstehen, wenn das Arbeitspensum und folglich das Einkommen zugunsten einer Weiterbildung reduziert werden. Zwar ist – aufgrund der Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt – die Wichtigkeit von Aus- und Weiterbildung in aller Munde (Stichwort lebenslanges Lernen), wenn es aber um die konkrete Unterstützung geht, zeigen sich nach wie vor grosse Mängel. Die Arbeitgebenden (resp. entsprechende Bestimmungen in den GAV) leisten zwar einen Beitrag, der Fokus liegt aber mehrheitlich auf betriebsorientierter Weiterbildung zur Steigerung der Produktivität und weniger dem Erhalt der Arbeitsmarktfähigkeit – ausserdem zeigen sich Diskriminierungen. So zeigt das «Barometer Gute Arbeit» (vgl. Barometer Gute Arbeit | TravailSuisse) Jahr für Jahr, dass tiefer Qualifizierte, Frauen und Teilzeitarbeitende deutlich weniger in ihren Weiterbildungsbemühungen unterstützt werden. Von Seiten der öffentlichen Hand gibt es ausserdem kantonalen Stipendien – diese beschränken sich aber meist auf Erstausbildungen und sind mit einer Alterslimite (bei der Mehrheit der Kantone bei 40 Jahren oder weniger) versehen. Unter dem Strich wird so das lebenslange Lernen behindert und gerade erwachsene Arbeitnehmende ohne Berufsabschluss werden in ihren Bemühungen allein gelassen. Für Travail.Suisse ist klar, dass auf einem digitalisierten Arbeitsmarkt die Verantwortung für lebenslanges Lernen und den Erhalt der Arbeitsmarktfähigkeit nicht dem Individuum überlassen werden darf, sondern dass es sich um eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung handelt. Entsprechend braucht es grössere Unterstützung der Arbeitnehmenden in ihren Weiterbildungsbemühungen.
Spezifischer sind die Anforderungen der Wiedereinsteigerinnen: Nach längerer Absenz vom Arbeitsmarkt aufgrund einer Familienphase, ist von der Arbeitslosenversicherung kaum Unterstützung beim Wiedereinstieg in die Arbeitswelt möglich. Als Folge dieser mangelhaften Unterstützung bleiben Frauen nach der Familienphase länger als gewünscht (oder gar vollständig) dem Arbeitsmarkt fern, was den Wiedereinstieg zusätzlich erschwert, die Erwerbstätigkeit prekarisiert, das Einkommen schmälert und dem Arbeitsmarkt dringend benötigte Fachkräfte vorenthält. Travail.Suisse fordert deshalb eine bessere Unterstützung bei der (Auffrisch-)Bildung für Wiedereinsteigerinnen.
Lehrstellenvergabe und berufskundlicher Unterricht als weitere Baustellen
Die laufend grösser werdende Bedeutung von Eignungsabklärungen bei der Lehrstellenvergabe ist immer wieder Gegenstand von Kritik. Nicht zuletzt für Menschen mit Behinderungen stellt sie eine eigentliche Diskriminierung dar, da sie keinen Nachteilsausgleich (NTA) gewähren. Während dieser in der obligatorischen Schule juristisch abgesichert ist und so ein inklusives Bildungssystem fördert, werden beim Übergang in die Berufsbildung diese Bemühungen wieder torpediert. Travail.Suisse steht klar für eine diskriminierungsfreie Nahtstelle II und fordert die Anbieter von Eignungsabklärungen auf, Hand für Lösungen zu bieten. Auch aus dem Bereich des berufskundlichen Unterrichts wurden Anliegen vorgebracht. Einerseits ein besseres Angebot und bessere Unterstützung der Lehrpersonen bei fachdidaktischer Weiterbildung. Andererseits soll geprüft werden, ob ähnliche Inhalte in den Bildungsplänen verschiedener Berufe nicht in berufsübergreifenden Modulen zusammengefasst und angeboten werden könnten, um Synergien zu nutzen und die Effizienz zu steigern.
Das Dialogforum hat fruchtbare Diskussionen der verschiedenen Akteure untereinander und einen Austausch mit den Mitgliedern der TBBK ermöglicht. Einzelne Punkte werden im Rahmen der TBBK erneut diskutiert werden und allenfalls entsprechende Projekte lanciert. Die Funktionsweise und Organisation der neugeschaffenen Dialogforen wird geprüft und evaluiert, voraussichtlich aber jährlich durchgeführt werden.