Mit einem Bachelor in Biologie oder Pflegewissenschaften zum Arztberuf? Dies könnte bald möglich werden. Gemäss Antonio Loprieno, der sich mit dem Thema befasst hat, ist es an der Zeit, althergebrachte Denkmuster zu hinterfragen.
Die Schweiz muss mehr Ärzte ausbilden. Dies ist mittlerweile unumstritten. Noch nicht entschieden ist hingegen, wo und wie das geschehen soll. Um mögliche Szenarien zu skizzieren, hat das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) diesen Frühling einen Auftrag an den Präsidenten der Kammer universitärer Hochschulen, Antonio Loprieno*, erteilt. Travail.Suisse hat mit ihm über sein Konzept namens Swiss Premed gesprochen.
Die ETH Zürich will ab 2017 einen naturwissenschaftlich-technisch ausgerichteten Bachelorstudiengang in Medizin anbieten. Für den Masterstudiengang wird sie mit der Universität Zürich und anderen Hochschulen kooperieren. Was halten Sie von dieser Idee?
Loprieno: Sie entspricht meinen eigenen Vorstellungen für eine Neugestaltung des Medizinstudiums. Der derzeitige konsekutive Studiengang hat sich seit der Bologna-Reform nicht gross verändert. Die meisten studieren immer noch an der gleichen Universität sechs Jahre durch. Mit einer stärkeren Abgrenzung zwischen Bachelor und Master wird die Ausbildung flexibler. In angelsächsischen Ländern ist es seit jeher so, dass man im Grundstudium ein naturwissenschaftliches Fach wählt und sich erst im Masterstudiengang spezialisiert. Daran angelehnt würde ich sogar empfehlen, auch Absolventen von allgemeinen naturwissenschaftlichen Bachelorstudiengängen die Tür zur Medizin zu öffnen.
Besteht mit diesem System nicht die Gefahr, dass Ärzten entscheidende berufsspezifische Kompetenzen fehlen?
Ich glaube nicht. Denn erstens sind die beiden ersten Studienjahre jetzt schon stark naturwissenschaftlich ausgerichtet. Erst im dritten Jahr werden auch klinische Inhalte vermittelt. Zweitens sollte man zwischen dem Bachelor- und Masterstudiengang eine Passerelle schaffen, die fit macht für die Medizin. Und drittens wird die Medizin immer vielfältiger. Es braucht Ärzte mit verschiedenen Hintergründen.
Welche Fachrichtungen halten Sie für kompatibel mit einem Master in Medizin?
Zum Beispiel Biologie, Medizinaltechnologie und Pflegewissenschaften. Sozialwissenschaftliche Fächer natürlich nicht.
Bei den beiden letzteren handelt es sich um Fachhochschul-Studiengänge. Ein ziemlicher Tabu-Bruch.
Universitäre Hochschulen und Fachhochschulen sind gleichwertig, aber andersartig – so das Credo. Nun gilt es, diesen Grundsatz mit Leben zu füllen und althergebrachte Denkmuster zu überwinden. Aber natürlich ist nicht jede Person, die Pflege studiert hat, geeignet. Die Kriterien für mögliche Zulassungen werden medizinische Fachleute definieren müssen. Auch Sur-Dossier-Zulassungen sollten möglich sein.
Der Hochschulrat hat sich soeben wieder für die Beibehaltung des Numerus Clausus ausgesprochen. Welchen Platz nimmt der Eignungstest in Ihrem Konzept ein?
Der Numerus Clausus hat keinen Einfluss auf die Anzahl Master-Abschlüsse. Die Westschweiz kennt ihn nicht und ist dafür im Grundstudium extrem selektiv. Nur 15 bis 20 Prozent schaffen es bis zum Bachelor. Die Zulassungsbeschränkung ist jedoch volkswirtschaftlich von Bedeutung. Wenn jemand einen Bachelor in einem naturwissenschaftlichen Fach schafft, ist er intellektuell in der Lage, einen medizinischen Master zu erwerben. Viel wichtiger als ein Eignungstest ist, dass der Anschluss an den Masterstudiengang sichergestellt ist.
Haben Sie bereits Rückmeldungen zu Ihrem Konzept erhalten?
Ich habe meine Vorschläge dem Hochschulrat und der Rektorenkonferenz präsentiert. In beiden Gremien sind sie mehrheitlich auf Zustimmung gestossen. Ein Vorteil wäre auch, dass so schneller mehr Schweizer Ärzte die Arbeit aufnehmen könnten. Denn mit den bisherigen Massnahmen würde es bis mindestens 2023 dauern.
Link zum Bericht: http://www.sbfi.admin.ch/dokumentation/00335/01737/01738/index.html?lan…
*Antonio Loprieno (60) war von 2000 bis Ende Juli 2015 Rektor der Universität Basel und Präsident der Kammer universitärer Hochschulen von swissuniversities. Seit 2008 präsidierte er die Rektorenkonferenz der Schweizer Universitäten (CRUS). Nun ist der Ägyptologe zu Forschung und Lehre zurückgekehrt.