Die Validierung von Bildungsleistungen kommt nicht richtig in die Gänge – dies zeigt ein Bericht des Bundesrates. Für Travail.Suisse ist die Förderung der Berufsabschlüsse von Erwachsenen ein zentrales Anliegen. Fünf Forderungen stehen dabei im Zentrum, damit mit der Berufsbildung für Erwachsene endlich durchgestartet wird.
In der Schweiz gibt es über eine halbe Million Erwachsene zwischen 25 und 64 Jahren, die über keinen Abschluss der Sekundarstufe II verfügen. Rund 370'000 davon sind erwerbstätig – beinahe jeder zehnte Arbeitnehmer bzw. Arbeitnehmerin in der Schweiz verfügt somit nicht über einen Berufsabschluss. Dies geht aus einem Bericht [1] des Bundesrates in Erfüllung eines Postulates von alt Nationalrat Mustafa Atici hervor, der kürzlich publiziert wurde.
Berufsabschlüsse für Erwachsene fördern
Für Travail.Suisse ist die Förderung von Berufsabschlüssen für Erwachsenen eines der prioritären Ziele im Bereich der Bildungspolitik. Denn ein fehlender Bildungsabschluss hat mehrfache Nachteile: Einerseits ist die Integration in den Arbeitsmarkt weniger nachhaltig gesichert und die Einkommen sind tiefer. Andererseits ist der Zugang zu Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten stark eingeschränkt. Dazu kommt, dass auch der gesellschaftliche Nutzen von Berufsabschlüssen für Erwachsene bedeutend ist – individuelle wie gesellschaftliche Bildungsrenditen sind gross und der zunehmend spürbare Fachkräftemangel macht eine optimale Ausschöpfung und Förderung des Arbeitskräftepotenzials auch volkswirtschaftlich unabdingbar. Nicht zuletzt deshalb hat der Bundesrat vor fünf Jahren sieben Massnahmen zur Förderung des inländischen Arbeitskräftepotenzials [2] festgelegt, eine davon unter der Bezeichnung «Berufsabschluss für Erwachsene: Anrechnung von Bildungsleistungen». Dabei steht insbesondere die effiziente Erreichung eines Bildungsabschlusses im Fokus. Effizient bedeutet in diesem Kontext, dass der Weg zum Berufsabschluss einfach zu begehen ist und die benötigten zeitlichen wie finanziellen Ressourcen überblickbar sind. Hierzu bietet sich insbesondere die Validierung von Bildungsleistungen an. Arbeitnehmende ohne Berufsabschluss, die sich im Arbeitskontext die Kompetenzen für einen Beruf angeeignet haben, dokumentieren diese in einem Dossier und erhalten nach Prüfung (und der allfälligen Schliessung von bestehenden Bildungslücken) ein eidgenössisches Berufsattest oder Fähigkeitszeugnis, ohne die Lehrzeit oder die Abschlussprüfung absolvieren zu müssen. Die Validierung ist neben der direkten Zulassung zur Abschlussprüfung und einer verkürzten oder ordentlichen Lehre einer der vier Wege für Erwachsene zum Berufsabschluss. Die erhoffte Wirkung der Validierung von Bildungsleistungen konnte bisher aber kaum entfaltet werden. 2020 wurden lediglich 642 Berufsabschlüsse über die Validierung von Bildungsleistungen ausgestellt. Trotz der grossen Bemühungen zur Förderung der Validierung liegt diese Anzahl damit nur unwesentlich über den 605 aus dem Jahr 2015. Auch im Vergleich zu 5’138 Abschlüssen nach regulären Lehren, 2’259 nach verkürzten Lehren und 2’620 durch direkte Zulassungen zur Abschlussprüfung sind die Zahlen vergleichsweise tief. Es zeigt sich einerseits, dass die Validierung als effizienter Weg zum Berufsabschluss nicht in die Gänge kommt. Anderseits aber auch, dass insgesamt die Berufsabschlüsse für Erwachsenen ihr Potenzial nicht ausschöpfen. Die Berner Fachhochschule kommt im Rahmen der von Travail.Suisse geforderten Weiterbildungsoffensive [3] zum Schluss, dass mit den aktuell erreichten rund 10‘000 Berufsabschlüssen für Erwachsene nur lediglich 1.5 Prozent des Potenzials jährlich ausgeschöpft wird.
Validierung fällt in der Wirtschaft durch
Bei der Suche nach den Gründen liefert der bereits angesprochenen Postulatsbericht wichtige Hinweise. So haben die Branchen bisher in lediglich 15 der rund 250 beruflichen Grundbildungen in der Schweiz die Grundlagen zur Validierung von Bildungsleistungen geschaffen. Die Wirtschaft scheint kein allzu grosses Interesse daran zu haben – die «Prüfungsgläubigkeit» scheint zu grosse Vorbehalte gegenüber den «ungeprüften» Kompetenzen zu haben. Zu gross sind möglicherweise auch die Bedenken vor steigenden Gehaltsforderungen oder verbesserter Arbeitsmarktmobilität von zertifizierten Berufsleuten.
Der Postulatsbericht macht deutlich, dass der Weg der Validierung nicht zielführend ist, um die Berufsabschlüsse für Erwachsene zu fördern und den Fachkräftemangel zu bekämpfen, er ortet aber im Bereich der Direktzulassung an die Abschlussprüfung und der Anrechnung von Bildungsleistungen weiteres Wachstumspotenzial. Bei der Anrechnung werden Kompetenzen nicht vollständig in einen Berufsabschluss validiert, aber zumindest angerechnet und die Ausbildungszeit entsprechend verkürzt. Für Travail.Suisse ist klar, dass auch diese beiden Wege gut geeignet sind, um die Berufsabschlüsse für Erwachsene zu fördern, dass sich aber die Anforderungen an die zeitliche und finanzielle Unterstützung deutlich erhöhen. Für die Vorbereitung zur Abschlussprüfung müssen realistischerweise Vorbereitungskurse absolviert werden und auch bei einer verkürzten Lehre sind die Arbeitnehmenden oftmals über längere Zeit mit Einkommenseinbussen konfrontiert, was eine grosse Hürde darstellt.
Forderungen zur Förderung der Berufsabschlüsse für Erwachsene
Als Learning aus dem Bericht des Bundesrates zum Postulat 21.3235 stehen für Travail.Suisse die folgenden fünf Forderungen im Zentrum:
- Es braucht eine gemeinsame verbundpartnerschaftliche Zielsetzung für die Anzahl der Berufsabschlüsse für Erwachsene. Ohne eine gemeinsame Einschätzung des Potenzials und klarer Ziele, bleibt das Bekenntnis zur Förderung der Berufsabschlüsse für Erwachsene ein Lippenbekenntnis.
- Es braucht eine Verbesserung der Datengrundlagen. Ohne Klarheit über den Anteil von Erst- und Zweitabschlüssen bei den Berufsabschlüssen für Erwachsene, resp. den Anteil der Arbeitnehmenden in verkürzten Lehren mit Einkommenseinbussen, resp. deren Ausmass, können keine effizienten und effektiven Förderinstrumente geschaffen werden.
- Die indirekten Bildungskosten – also die Einkommenseinbussen aufgrund von Lehrlingslöhnen oder einer Reduktion des Pensums – stellen die grösste Hürde für die Arbeitnehmenden dar. Ohne eine übergeordnete Verbesserung der finanziellen Situation für Arbeitnehmende auf dem Weg zum Berufsabschluss für Erwachsene bleiben alle anderen Massnahmen Stückwerk.
- Weiterbildungen und Branchenzertifikate müssen immer so ausgestaltet sein, dass sie eine Schnittstelle haben zur Anrechenbarkeit an den Erwerb eines Berufsabschlusses. Nur eine solche Aufteilung oder Modularisierung der Bildungsleistungen lässt für etliche Arbeitnehmende ohne Berufsabschluss die Erreichung eines solchen realistisch und erreichbar erscheinen.
- Die Verbesserung der Unterstützung, Information und Beratung auf dem Weg zum Berufsabschluss für Erwachsene ist zu verbessern. Die Berufs-, Studien und Laufbahnberatung hat sich dieser Zielgruppe spezifisch anzunehmen. Eine Integration von Erwachsenen ohne Berufsabschluss in viamia ohne Alterslimite ist zu prüfen.
[1] Validierung von Bildungsleistungen und Qualifizierungsmöglichkeiten für Erwachsene ohne Berufsabschluss (admin.ch)
[2] Bundesrat verstärkt die Förderung des inländischen Arbeitskräftepotenzials (admin.ch)
[3] Travail.Suisse: «Aus- und Weiterbildung ist für Arbeitnehmende zentral»