Weichenstellungen am Spitzentreffen Berufsbildung 2023
Am Spitzentreffen Berufsbildung wurden wichtige Weichenstellungen vorgenommen. Einerseits wurde ein Bericht zur besseren Positionierung der Höheren Fachschulen verabschiedet. Damit ist der Weg frei, dass die politische Diskussion über die Einführung von ergänzenden professional Bachelor-Titeln gestartet werden kann. Travail.Suisse begrüsst eine solche Stärkung der Abschlüsse der Höheren Berufsbildung im Grundsatz. Weiter konnte ein Commitment der Verbundpartner zum Berufsabschluss für Erwachsene aktualisiert werden. Es braucht aber weitere Anstrengungen und insbesondere klare Zielvorgaben und bessere finanzielle Unterstützung für die Arbeitnehmenden.
Mit dem Spitzentreffen Berufsbildung lädt der Vorsteher des WBF seit 2014 jährlich Spitzenvertreterinnen und -vertreter der Verbundpartner ein, um über aktuelle Fragen und Herausforderungen der Berufsbildung zu diskutieren. Das diesjährige Spitzentreffen Berufsbildung fand am 20. November unter der Leitung von Bundesrat Guy Parmelin statt. Es hat sich im Wesentlichen den folgenden vier Themen gewidmet:
- Positionierung Höhere Fachschulen
- Commitment Berufsabschluss für Erwachsene
- Prozesse und Anreize in der Berufsbildung
- Stand und Ausblick der Projekte von Berufsbildung 2030
Insbesondere die ersten beiden Themen sind für Travail.Suisse von grösster Wichtigkeit.
Eine bessere Positionierung der Höheren Fachschulen ist längst überfällig
Das Projekt Positionierung Höhere Fachschulen geht auf eine Motion von alt Ständerätin Anita Fetz zurück, welche von Travail.Suisse unterstützt wurde (18.3240). Die Höheren Fachschulen gehören zum nicht-hochschulischen Bereich der Tertiärstufe – die Höhere Berufsbildung – im schweizerischen Bildungssystem und bieten insbesondere Arbeitnehmenden ohne (gymnasiale oder berufliche) Maturität hervorragende Karriere- und Arbeitsmarktchancen. Die wissenschaftlichen Studien sind eindeutig in Bezug auf positive Effekte der Höheren Berufsbildung: Absolventinnen und Absolventen zeichnen sich durch eine hohe Erwerbsbeteiligung und hohe Bildungsrenditen aus. Die Soziale Selektivität im schweizerischen Bildungssystem zeigt sich auf allen Stufen, am ausgeprägtesten aber beim Zugang zur Hochschulbildung. Gemäss dem Schweizer Wissenschaftsrat absolvieren rund 55 Prozent der Kinder von Akademikereltern selber eine Hochschulbildung, während dies bei Kindern von Eltern mit tiefem Bildungsniveau nur knapp 20 Prozent sind. Die HBB leistet somit einen wichtigen Beitrag, um die negativen Effekte der sozialen Selektion zumindest zu mindern und hilft ausserdem dabei, den Arbeitsmarkt mit Berufsspezialistinnen und -spezialisten zu versorgen.
Mit einer Anpassung des Berufsbildungsgesetzes (BBG) soll einerseits ein Bezeichnungsrecht für Höhere Fachschulen verankert werden, welches mehr Sichtbarkeit für die Anbieter und eine klarere Abgrenzung von anderen Bildungsinstitutionen ermöglicht. Andererseits sollen ergänzende Titel «Professional Bachelor» und «Professional Master» für sämtliche Abschlüsse der HBB geschaffen werden. Damit sollen insbesondere im internationalen Kontext die Sichtbarkeit, Bekanntheit und Verständlichkeit dieser Bildungsabschlüsse verbessert und eine klare Erkennbarkeit als tertiärer Bildungsabschluss geschaffen werden. Travail.Suisse erachtet dies als wichtige Schritte zur Stärkung der Höheren Berufsbildung und damit der Berufsbildung allgemein und fordert jetzt raschestmöglich mit der Gesetzesvorlage und dem politischen Prozess zu starten.
Berufsabschluss für Erwachsenen: Trotz Commitment im Kriechgang
Weiter wurde am Spitzentreffen Berufsbildung das Commitment «Berufsabschluss für Erwachsenen» (BAE) aktualisiert. Damit bekennen sich die Verbundpartner zur Wichtigkeit der BAE und setzen sich für die stete Verbesserung der Rahmenbedingungen ein.
Travail.Suisse hat dieses Commitment immer begrüsst, dennoch kann es nicht mehr als ein erster Schritt sein. Obwohl über die letzten Jahre eine Zunahme der Abschlusszahlen festgestellt wird, ist noch sehr viel Potenzial vorhanden. So gibt es in der Schweiz knapp eine halbe Million Erwerbspersonen ohne Berufsabschluss und es werden jährlich rund 10’000 Abschlüsse für Erwachsenen erreicht, wovon wiederm nur rund die Hälfte Erstabschlüsse sind. Mit anderen Worten: mit 5’000 Personen pro Jahr holt nur rund 1% aller Arbeitnehmenden ohne Berufsabschluss einen solchen nach. Nach Ansicht von Travail.Suisse krankt es insbesondere an drei Stellen: Erstens gibt es keine Zielvereinbarung. Obwohl man sich in der Verbundpartnerschaft einig ist, dass ein Berufsabschluss für Erwachsene die Arbeitsmarktchancen von Arbeitnehmenden verbessert und den Fachkräftemangel lindert, liegt bis jetzt keine Zielgrösse für zu erreichende BAE vor. Zweitens sollten BAE möglichst niederschwellig und effizient erreicht werden. Dies wäre über Validierung oder die Anrechenbarkeit von bereits erbrachten Bildungsleistungen möglich. Gerade diese beiden Bereiche kommen aber kaum vom Fleck, im Bereich Detailhandel wurde die Möglichkeit von Validierungen gar wieder abgeschafft. Als Folge wird die Mehrzahl der BAE über reguläre oder allenfalls leicht gekürzte Lehrverhältnisse erreicht. Eine Lehre im Erwachsenenalter zu absolvieren ist aber in vielerlei Hinsicht eine enorme Belastung für die Arbeitnehmenden. So ist drittens besonders die finanzielle Situation aufgrund von Lohneinbussen ein Hindernis. Dieses Thema wird wie der Elefant im Raum behandelt. Obwohl offensichtlich, wird kaum darüber gesprochen. Obwohl Berichte die Lücken bei der Finanzierung der indirekten Kosten zeigen, geschieht kaum etwas konkretes. Für Travail.Suisse ist klar, dass es in diesen drei Bereichen Lösungen braucht, damit endlich Schub in die Berufsabschlüsse für Erwachsene kommt.