Diese bildungspolitischen Herausforderungen gilt es zu lösen
Diesen Sommer hat die Diskussion um die Botschaft für Bildung, Forschung und Innovation 2025-2028 (BFI-Botschaft 25-28) begonnen. Aus Sicht von Travail.Suisse, dem unabhängigen Dachverband der Arbeitnehmenden, bietet dies die Möglichkeit, verschiedene bildungspolitische Probleme anzupacken und zu lösen. Die Folgenden sind dabei besonders wichtig und dringlich.
1. Die Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung BSLB ist nach Art. 51.1 Berufsbildungsgesetz (BBG) Sache der Kantone. Entsprechend beteiligt sich der Bund nicht an deren Kosten. Das Berufsbildungsgesetz spiegelt zudem in keiner Art und Weise die Wichtigkeit dieser Dienstleistung. Dies wurde von den Akteuren erkannt und die Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung zu einem wichtigen Thema von «Berufsbildung 2030» gemacht. Seitdem sind die Kantone daran, eine nationale Strategie dafür zu entwickeln. Schon jetzt zeichnet sich aber ab, dass für die Umsetzung der nationalen Strategie bei den Kantonen das Geld fehlen wird. Mit einem ähnlichen Problem wird das Projekt «viamia» ab 2025 zu kämpfen haben. «Viamia» ermöglicht Personen über 40 eine kostenlose berufliche Standortbestimmung. Bis 2024 trägt der Bund 80% der Kosten. Wird keine nachhaltige finanzielle Lösung für dieses Angebot gefunden, wird es wohl nicht in allen Kantonen aufrechterhalten werden. Die Politik ist also gefordert, bis Ende 2024 Lösungen sowohl inhaltlicher wie auch finanzieller Art im Zusammenhang mit der Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung zu finden.
2. Seit 2013 sind sowohl die Berufsbildung wie auch die akademische Bildung im Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation SBFI angesiedelt. Der Austausch zwischen diesen beiden Bereichen hat sich jedoch aus Sicht von Travail.Suisse nicht signifikant verbessert. Gäbe es nicht den Ausschuss der Arbeitswelt innerhalb des Hochschulrates, so existierte überhaupt kein offizielles Organ, in dem die Vertretungen der Berufsbildung mit der akademischen Bildung in ein Gespräch über das gesamte Bildungssystem treten können. Hier ist Abhilfe zu schaffen. Anzustreben ist, dass ab 2025 eine Eidgenössische Bildungskommission eingesetzt wird, die das gesamte Bildungssystem im Blick hat. In dieser Kommission sollen der Bund, die Kantone, die Dachverbände der Wirtschaft und der Arbeitgebenden- und Arbeitnehmendenseite sowie swissuniversities vertreten sein.
3. Die durch die technologischen Entwicklungen notwendigen Veränderungen in der Arbeitswelt können nur durch Bildung initiiert und bewältigt werden. Dabei sind alle drei Formen der Bildung (formal, nichtformal und informell) bedeutsam. Eine wichtige Rolle in diesen Veränderungsprozessen kommt der Anpassungsbildung zu. Arbeitnehmende, die schon über einen Abschluss auf der Sekundarstufe II verfügen, sollen beim Verschwinden ihres Berufes, bei starken Veränderungen in ihrem Berufsfeld oder beim Wechsel des Berufsfeldes die Möglichkeit haben, ihre Kompetenzen den neuen Anforderungen effizient anzupassen. Die aktuelle Bildungspolitik setzt dabei vor allem bei diesen Re- oder Neuqualifizierungen auf Instrumente, die zu einem formalen Abschluss führen. Dabei wurde bisher zu wenig überlegt, welche Rolle die Branchenzertifikate bei der Anpassungsbildung spielen könnten. Das Parlament ist aufgefordert, dieser Frage nachzugehen.
4. Für Menschen mit Lernschwierigkeiten, die keinen Zugang zu einem anerkannten Berufsabschluss (EBA, EFZ) haben, existiert ein niederschwelliges privates Berufsbildungsangebot, die so genannte praktische Ausbildung PrA. Träger dieses Angebots ist INSOS Schweiz. Gemäss der UNO-Behindertenrechtskonvention ist die Schweiz als Vertragsstaat verpflichtet, ein integratives (inklusives) Bildungssystem auf allen Ebenen zu verwirklichen. Für die Politik stellt sich daher die Frage, wie sie dieses Ziel erreichen will und wie sie allenfalls das private Angebot von INSOS Schweiz organisatorisch, rechtlich und finanziell in die öffentliche Bildungslandschaft einbinden will. Aus Sicht von Travail.Suisse ist diese Frage bis Ende 2024 zu lösen, so dass über die BFI-Botschaft 2025-2028 die diesbezüglich sinnvollen gesetzlichen Veränderungen in Kraft gesetzt werden können.
5. Mit den einstimmig angenommenen Motionen 18.3240 und 18.3392 zur Stärkung der Höheren Fachschulen hat das Parlament den klaren Willen geäussert, dass den Schwächen der Höheren Fachschulen entgegengetreten werden soll. Dazu zählen a) die fehlende Sichtbarkeit, b) der fehlende Schutz der Bezeichnung «Höhere Fachschule», c) das Fehlen des Zusatzes «eidgenössisch» im Titel, d) die fehlende Möglichkeit, sich als Institution anerkennen zu lassen und e) die Möglichkeit der Kantone, auch HF-Bildungsgänge anzuerkennen, welche über keine nationale Anerkennung verfügen. In einem Bericht, der aufgrund der Motionen in Auftrag gegeben wurden, werden noch andere Defizite sichtbar, zum Beispiel das Problem der Positionierung und Anerkennung auf dem internationalen Arbeitsmarkt. Werden diese Schwächen nicht effizient und effektiv bekämpft, werden die Höheren Fachschulen – mit Ausnahme jener im Bereich Gesundheit – Mühe haben, sich im Bildungsmarkt mittel- und langfristig als relevante Bildungsanbieter halten zu können. Das Parlament ist deshalb aufgefordert, der Umsetzung ihrer Motionen Nachdruck zu verleihen.
6. Die Weiterbildungspolitik ist vor allem mit dem Problem der unterdurchschnittlichen Beteiligung von gering qualifizierten Personen an der Weiterbildung konfrontiert. Dieser Umstand hängt insbesondere damit zusammen, dass gerade einmal 31% der Arbeitnehmenden ohne nachobligatorische Ausbildung durch die Arbeitgebenden darin unterstützt werden. Bei Personen mit einem Abschluss auf Sekundarstufe II liegt der Anteil bereits bei 56% und bei Arbeitnehmenden mit einem Tertiärabschluss sogar bei 75%. Angesichts dieser Tatsache hält die Weiterbildungsstudie von Avenir Suisse «weiterbilden – aber gezielt» ( Ebd. S.7) zu Recht fest, dass sich der Bildungsunterschied zwischen Hoch- und Niedrigqualifizierten durch Weiterbildung nicht verkleinert, sondern im Gegenteil verschärft. Was ist hier aus Sicht der Politik zu unternehmen? Avenir Suisse favorisiert die Abgabe von Weiterbildungsgutscheinen (Ebd. S.8) für gering qualifizierte Personen. Travail.Suisse betrachtet dies als gangbaren Weg und fordert das Parlament deshalb auf, im Hinblick auf die BFI-Botschaft 25-28 ein Konzept zur Abgabe von Weiterbildungsgutscheinen zu entwickeln und die dafür notwendigen gesetzlichen Grundlagen zu schaffen.
7. Die Schweizer Hochschulen stehen in einem internationalen Wettbewerb. Um diesen erfolgreich bestehen zu können, sind verschiedene Massnahmen notwendig. Neben einer – heute leider fehlenden – guten Einbindung in die europäischen Rahmenprogramme sind folgende Punkte relevant:
Die Kooperationsfähigkeit zwischen den Hochschulen stärken
Ganz wichtig für die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Hochschulen ist die Kooperationsfähigkeit innerhalb der Schweiz. Statt den Wettbewerb unter den Schweizer Hochschulen anzustacheln, sollten sie vielmehr die bereits vorhandenen Kooperationsmöglichkeiten besser ausnutzen und ausbauen. Die Hochschulräte sollen dafür den Austausch mit anderen Hochschulräten suchen und mögliche Kooperationen und Partnerschaften ausloten.
Barometer «Gute Arbeitsbedingungen an Hochschulen» lancieren
Die Qualität und Wettbewerbsfähigkeit von Hochschulen hängt grossmehrheitlich von motivierten und kompetenten Mitarbeitenden ab. Eine wichtige Aufgabe einer Hochschule ist es daher, die Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass die Arbeitszufriedenheit bei den Mitarbeitenden gross ist. Um dies zu erreichen, soll ein Projekt mit dem Titel «Gute Arbeitsbedingungen an Hochschulen» zur Überprüfung der Arbeitszufriedenheit an Hochschulen lanciert werden. Dieses soll mindestens drei Bedingungen erfüllen: Es soll auf Längerfristigkeit angelegt sein, so dass Entwicklungen ablesbar sind. Es soll an möglichst allen Hochschulen durchgeführt werden, damit Vergleichbarkeit entsteht und Best-practice-Modelle sichtbar werden. Es soll von einer externen Evaluationsgruppe durchgeführt werden.
Eine lebendige Mitwirkungskultur aufbauen und pflegen
Mitwirkung ist nicht nur eine Forderung des Hochschulförderungs- und Koordinationsgesetzes HFKG, sondern sie ist ein die Hochschulen stärkendes Instrument. Denn sie schafft zukunftsfähige Entscheidungen indem die vielfältigen Erfahrungen der Hochschulangehörigen in die Diskussionen einfliessen,. Zudem trägt sie zu einem motivierenden und fördernden Arbeitsklima bei. Leider sind die Mitwirkungsrechte insbesondere an den Fachhochschulen noch nicht wirklich Teil der Führungskultur. Daran muss noch intensiv gearbeitet werden.
Effizienzsteigerungen in der Administration anstreben
Die Administration hat die Aufgabe, optimale Bedingungen für die Lehre, die Forschung und die Dienstleistungen zu schaffen. Sie hat sich aber so weit als möglich zurückzunehmen. Jede Hochschule sollte daher ihre administrativen Kosten zu senken versuchen. Das kann nur erreicht werden, wenn Hochschulen sich diesbezüglich klare Ziele setzen und entsprechende Massnahmen ergreifen.
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Bruno Weber-Gobet ist seit dem 01.12.1995 Leiter Bildungspolitik von Travail.Suisse. Am 31.10.2021 wird er pensioniert und sein Aufgabengebiet an Gabriel Fischer, den bisherigen Leiter Wirtschaftspolitik, übertragen. Als Mitglied der Eidg. Berufsbildungskommission, der Eidg. Fachhochschulkommission und der vorparlamentarischen Gesetzeskommission für die Reform des Berufsbildungsgesetzes und der Revision der Fachhochschulgesetzes hat er die Entwicklung des Bildungssystems der Schweiz mitgeprägt. Ein besonderes Anliegen war ihm die Stärkung der Höheren Berufsbildung, die bessere Einbindung der Beruf-, Studien- und Laufbahnberatung in das nationale Bildungssystem, die Schaffung eines Weiterbildungsgesetzes, die Förderung der Nachholbildung, eine Bildungspolitik für Personen 40+ und bessere Rahmenbedingungen für den allgemeinbildenden Unterricht in der Berufsbildung. In den letzten Jahren hat er sich besonders für eine bessere Integration von Menschen mit Behinderungen in die Bildung und den Arbeitsmarkt eingesetzt.