Was macht die Pandemie mit der Berufsbildung? Eine Bilanz
Anfang Mai 2020 hat der Bundesrat eine Task Force mit dem Namen «Perspektive Berufsbildung» eingesetzt , um die Auswirkungen der Covid-Pandemie auf die Berufsbildung zu beobachten und die negativen Folgen mit geeigneten Mitteln einzudämmen. Mitglied der Task Force sind der Bund, die Kantone und die Dachverbände der Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden. Dazu gehört auch Travail.Suisse, der unabhängige Dachverband der Arbeitnehmenden.
Die Covid-Pandemie hat starke Auswirkungen auf die Berufsbildung. Die Berufswahlphase der Jugendlichen ist durch sie gestört, Berufsmessen können vor Ort nicht durchgeführt werden und Schnupperlehren sind schwieriger zu erhalten. Während der Lehre sind je nach Branche die praktischen Ausbildungen aufgrund von Betriebsschliessungen oder Homeoffice erschwert zu realisieren. Beim Lehrabschluss stellt sich die Frage, wie die Schlussprüfungen unter Corona-Bedingungen durchgeführt werden können. Sind die Lernenden genügend vorbereitet, um diese Herausforderungen zu meistern? Können die Kantone die organisatorischen Herausforderungen trotz Corona-Auflagen bewältigen. Und dann stellt sich noch die Frage: Wird es den Lehrabgänger*innen gelingen, im Arbeitsmarkt Fuss zu fassen?
Die Koordinationsaufgaben der Task Force
In dieser Situation ist die Task Force stark durch Koordinationsaufgaben gefordert. Denn in der Berufsbildung spielen viele Akteure eine zentrale Rolle. Erfolge sind somit nur dank einer engen Zusammenarbeit möglich. Als Grundlage für die Koordination dienen verlässliche Zahlen, gemeinsame Ziele, eine frühzeitige Planung und transparente Abmachungen. Die Task Force ist daran zu messen, ob sie diese Koordinations- und Führungsaufgabe zu erfüllen vermag.
Vollwertige Qualifikationsverfahren 2021
Schon im November 2020 hat die Task Force darauf gesetzt, dass die Qualifikationsverfahren der beruflichen Grundbildung und die kantonalen Berufsmaturitätsprüfungen 2021 trotz Pandemie – wenn immer möglich – regulär durchgeführt werden. Damit gab sie den Branchen wie auch den organisierenden Kantonen Planungssicherheit. Parallel dazu hat sie mit den Akteuren Ausnahmeregelungen erarbeitet, die dann in Kraft treten, wenn die epidemiologische Lage die reguläre Durchführung trotz Einhaltung der Schutzkonzepte landesweit oder regional nicht zulässt. Dies alles ist in einer Verordnung des Bundesrates vom 12. März 2021 festgehalten und hat damit verpflichtenden, aber auch klärenden Charakter.
Virtuelle Berufserkundungen
Jugendliche müssen trotz Corona Berufsentscheidungen treffen. Wie ist das aber möglich, wenn Berufsmessen abgesagt werden und Schnupperlehren nur erschwert zugänglich sind? Um diese Frage zu beantworten, hat die Task Force, im November 2020 zu einem runden Tisch eingeladen und alternative Massnahmen und Vorgehensweisen diskutiert und festgelegt. Die Ergebnisse sind heute zum Beispiel sichtbar auf der Webseite der Berufsberatung oder von Berufsbildungplus. Vieles passiert natürlich virtuell. So wurden zum Beispiel Berufsmessen ins Internet verlegt. Aber auch Berufserkundungen in Branchen und Betrieben sind möglich, zum Teil virtuell und interaktiv, zum Teil sogar vor Ort. Und die Plattformen zeigen auch auf, wie und wo Jugendliche heute zu einer Schnupperlehre kommen.
Ersatzformate für ausfallende betriebliche Ausbildungen
Es gibt Branchen, die besonders hart von der Corona-Pandemie betroffen sind und deshalb die betriebliche Ausbildung nicht im gewünschten Mass realisieren können. Darunter leiden die Lernenden. Dank dem Projektfonds kann die Task Force Alternativformate unterstützen wie zum Beispiel Schulungshotels und -restaurants für Lernende aus der Hotellerie und Gastronomie oder virtuelle Grossveranstaltungen für die Eventbranche, an denen die Lernenden ihr Kompetenzen testen und Ausbildungslücken schliessen können.
Erfassen der Lehrstellenvergabe
Bewegen wir uns wegen Corona auf eine Lehrstellenkrise zu? Oder wird es auch im Sommer 2021 genügend geeignete Lehrstellen für die Jugendlichen geben? Die Task Force hat zusammen mit den kantonalen Berufsbildungsämtern ein Monitoring aufgebaut, welches Auskunft gibt über den Fortschritt bei der Lehrstellenvergabe. Auch wenn das Instrument nicht perfekt ist – es fehlen zum Teil Vergleichsdaten mit den Vorjahren – so kann es doch frühzeitig Hinweise geben über die aktuelle Entwicklung und über den Bedarf an weiteren Massnahmen. Aktuell kann von einer stabilen Lehrstellensituation ausgegangen werden. (1)
Austausch mit der Wissenschaft
Der Task Force ist es auch ein Anliegen, die aktuelle Situation mit der Wissenschaft zu diskutieren und von der Forschung Impulse für ihre Arbeit zu erhalten. Welche Auswirkungen haben Wirtschaftskrisen mittel- und längerfristig auf den Lehrstellenmarkt? Wie wichtig sind Schnupperlehren für eine fundierte Berufswahl? Was kann Betriebe dazu motivieren, auch in schwierigen Zeiten Lehrstellen anzubieten? Solche und ähnliche Fragen hat die Task Force in einem Hearing 2020 mit der Wissenschaft diskutiert und wird es auch im Jahre 2021 wieder tun.
Berufsbildungskampagne
Die Arbeit der Task Force wird begleitet durch eine Sensibilisierungskampagne unter dem Hashtag #PROLEHRSTELLEN. Diese soll einerseits Eltern und Jugendliche für die Berufsbildung und ihre Angebote sensibilisieren und andererseits die Lehrbetriebe motivieren, ihr Engagement in der Berufsbildung auch in Corona-Zeiten aufrechtzuerhalten. Einer der aktuellen Slogans heisst: «Die Jugend stärkt die Wirtschaft. Die Wirtschaft stärkt die Jugend.»
Politische Rahmenbedingungen
Die Berufsbildung ist darauf angewiesen, dass die politischen Rahmenbedingungen unter Covid so ausgestaltet sind, dass die praktische Ausbildung der Lernenden nicht verunmöglicht wird. Die Task Force hat insbesondere auf zwei Entscheidungen hingearbeitet: Die überbetrieblichen Kurse sollen vom Verbot der Präsenzveranstaltungen ausgenommen werden. Und ein Betrieb, der Kurzarbeit angemeldet hat, kann für die Zeit, welche die Berufsbildnerinnen und -bildner auch während der Kurzarbeit für die Ausbildung der Lernenden aufwenden, Kurzarbeitsentschädigung beantragen, obwohl kein eigentlicher Arbeitsausfall vorliegt. Beides wurde im Sinne der Task Force geregelt.
Fazit aus Sicht von Travail.Suisse
Die Corona-Krise zeigt: Die Berufsbildung verfügt insgesamt über eine funktionierende Struktur. Die Verbundpartnerschaft ist fähig, miteinander Probleme zu lösen. Die finanzielle Basis über den Projektfonds Artikel 54/55 des Berufsbildungsgesetzes ermöglicht unkompliziert, notwendige Bildungsprojekte zu lancieren und zu unterstützen. Die Berufsberatung ist ein wichtiger Teil der Berufsbildung und kann ihre Stärke ausspielen, wenn sie sich national koordiniert. Die Berufsbildung kann auf das Engagement vieler Personen zählen, wenn die Kommunikation frühzeitig und transparent geschieht und für sie Möglichkeiten bestehen, sich in die Entscheidungsprozesse einzugeben. Die Unterschiede zwischen den Sprachregionen dürfen zwar nicht unterschätzt werden, können aber durch eine offene Kommunikation und das Schaffen von Spielräumen entschärft werden. Die aktuellen statistischen Daten zum Berufswahlprozess sind suboptimal und müssen verbessert werden. Für die Lernenden und die Branchenverbände ist es wichtig, dass für Probleme einheitliche nationale Lösungen gefunden werden und sich nicht unterschiedliche kantonale Regelungen durchsetzen. Das Hauptziel aller Akteure muss es sein, dass Jugendliche eine geeignete Lehrstelle finden, auch unter erschwerten Bedingungen eine gute Ausbildung erhalten und an einer Schlussprüfung ihre Kompetenzen testen und zeigen können, damit sie gerüstet sind für den Übertritt in den Arbeitsmarkt.
(1) Medienmitteilung SBFI vom 15.2.2021, Medienmitteilung SBFI vom 10.3.2021