Wohin soll sich die Berufsbildung entwickeln? Welches sind die relevanten Fragen, auf welche die Berufsbildung Antworten finden muss? Im letzten Mediendienst vom 6. Juni von Travail.Suisse, dem unabhängigen Dachverband der Arbeitnehmenden, wurden fünf Themenfelder skizziert, die im Rahmen der Vision Berufsbildung 2030 1 diskutiert werden müssen. Heute soll diese Liste mit weiteren fünf Fragestellungen ergänzt werden.
Am diesjährigen Spitzentreffen der Berufsbildung kam man überein, eine gezielte Weiterentwicklung derselben ins Auge zu fassen. Travail.Suisse trägt diese Entscheidung gerne mit und leistet hiermit einen zweiten Beitrag dazu.
1. Das Verhältnis der Berufsbildung zu den Fremdsprachen ist noch nicht optimal gelöst. Für zu viele Jugendliche hört das Fremdsprachenlernen mit dem Eintritt in die Lehre auf. Dabei werden in der vorgelagerten Schulzeit die Grundlagen für den Fremdsprachengebrauch gelegt. Ziel müsste es sein, dass das Erarbeitete gepflegt und auf ein höheres Niveau gehoben wird. Die Frage stellt sich: Wie kann dieses Ziel erreicht werden zum Beispiel angesichts der dichten Stundenpläne oder des nicht in allen Branchen unmittelbar ausgewiesenen Bedarfs? Die Berufsbildung steht bei den Fremdsprachen vor einer wirklichen Knacknuss. Angesichts des internationalen Arbeitsmarktes und der Bedeutung der Fremdsprachen beim beruflichen Weiterkommen sollte die Lösungssuche allerdings nicht zu schnell aufgegeben werden. Die Berufsbildung braucht bessere Lösungen als die heute im Berufsbildungsgesetz (Art. 6 BBG) und in der Berufsbildungsverordnung (Art. 20.4 BBV) vorgezeichneten. Der Bericht des BBT „Stossrichtungen zur Förderung der Mobilitätsaktivitäten und des schulischen Fremdsprachenerwerbs in der Berufsbildung“ von 2012 ist daraufhin auszuwerten und zu vertiefen.
2. Die Höhere Berufsbildung gehört sowohl zur Berufsbildung wie auch zum Tertiärbereich, dem auch die Hochschulen angehören. Sie befindet sich damit in einer Art Zwischenbereich. Nach Meinung von Travail.Suisse muss das Verhältnis zwischen der Höheren Berufsbildung und den Hochschulen besser geklärt werden. Die Entwicklung einer Vision Berufsbildung 2030 ist deshalb auf ein konstruktives Gespräch mit den Hochschulen angewiesen. Das ist heute einfacher als auch schon, da sowohl die Hochschulen wie auch die Berufsbildung bundesseitig unter dem gleichen Dach angesiedelt sind, nämlich unter dem Staatsekretariat für Bildung, Forschung und Innovation SBFI. Wichtige Themen des Gesprächs sind: Aufbau eines gemeinsamen Qualifikationsrahmens, gegenseitige Zulassungsfragen, Möglichkeiten der Einbindung der Höheren Fachschulen in den Innovationsprozess der KTI, Verhältnis von Hochschulweiterbildung und Höherer Berufsbildung, Rolle der Höheren Berufsbildung im Thema Industrie 4.0.
3. Einer der zentralen Gründe für die Vision Berufsbildung 2030 ist die in der Arbeitswelt spürbare Digitalisierung. Damit verbunden sind zwei Fragen, die sich überlagern. Einerseits geht es um die Frage der Strategie einer Branche oder eines Unternehmens: Wie schnell, wie weit und wie aktiv muss die Digitalisierung vorwärtsgetrieben werden, damit die Wettbewerbsfähigkeit erhalten und allenfalls sogar ausgebaut werden kann? Andererseits geht es um die Strategie des Berufes: Wie muss sich die branchenspezifische Berufslehre angesichts der Digitalisierungsstrategie einer Branche verändern, damit die Ausgebildeten über die von ihnen verlangten Kompetenzen verfügen können? Und – von der vorhergehenden Fragestellung weitergedacht: Was muss unternommen werden, um die heute schon ausgebildeten Berufsleute zu befähigen, die neuen beruflichen Erwartungen zu erfüllen. Im Hinblick auf das Berufsbildungsgesetz ist zu fragen, was sein Beitrag zur Bewältigung der Digitalisierung ist.
4. Internationale Fragen in der Berufsbildung haben in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen. Das zeigt sich zum Beispiel in dem vom Bundesrat 2010 verabschiedeten Bericht „Internationale Strategie der Schweiz im Bereich Bildung, Forschung und Innovation“ oder im 2014 veröffentlichte Bericht „Internationale Berufsbildungszusammenarbeit IBBZ – Konkretisierung der internationalen BFI-Strategie der Schweiz für den Bereich Berufsbildung“. Im Berufsbildungsgesetz BBG von 2002 ist vom Internationalen – mit Ausnahme im Art. 68 – noch kaum etwas zu spüren. Bei einer Revision des BBG ist dies zu ändern. Es braucht zumindest bei den Zielen (heute Art. 4.) wie auch im Hinblick auf die Projekte im öffentlichen Interesse (heute Art. 55) Bestimmungen, welche die internationalen Fragen widerspiegeln 2 .
5. Eine der wichtigsten und erfolgreichsten Neuerungen des Berufsbildungsgesetzes von 2002 ist die Projektförderung nach Art. 54 und 55 BBG. Die Projektförderung schafft wichtige Voraussetzungen für Innovationen in der Berufsbildung. Im Hinblick auf eine Revision des Berufsbildungsgesetzes ist die Projektförderung einer Evaluation zu unterziehen, vor allem mit Blick darauf, welche neuen Leistungen im öffentlichen Interesse in die Liste aufgenommen werden müssen. Denn es nützt nichts, Finanzen für die Projektförderung zu haben, wenn sich die Liste der Leistungen im öffentlichen Interesse nicht an den die aktuellen und zukunftsrelevanten Herausforderungen orientiert.
Das sind weitere fünf Vorschläge für zu diskutierende Themenfelder. Den vorhergehenden Artikel zum Thema finden Sie unter: http://bit.ly/1XniJ7O
Travail.Suisse wird sich im Rahmen der Weiterentwicklung der Berufsbildung vertieft mit diesen zehn Schwerpunktthemen auseinandersetzen und sich im Interesse der Arbeitnehmenden für ihre Aufnahme einsetzen.
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p(footnote). 1 http://www.sbfi.admin.ch/aktuell/medien/00483/00586/index.html?lang=de&…
2 Heute in Art. 64 Abs. 1bis Berufsbildungsverordnung „versteckt“.