Seit dem 1. Januar 2014 bestimmen die Aktionäre über die Löhne der Top-Manager. Die Verordnung gegen übermässige Vergütungen bei börsenkotierten Aktiengesellschaften regelt, dass die Aktionäre in bindenden Abstimmungen über die Löhne des Managements befinden. Doch ein Grossteil der Unternehmen führt Alibi-Abstimmungen durch, in denen die Aktionäre nur sehr beschränkt mitbestimmen können. Weiter nehmen aber auch die Aktionäre ihre Aufgabe nicht wahr. Sie folgen blind den Anträgen des Verwaltungsrates und beschäftigen sich nicht kritisch mit den Vergütungen. Die Abzocker-Initiative hat ihr Ziel demnach nicht erreicht.
Wer darf bestimmen, wie viel der CEO einer Unternehmung verdient? Liegt diese Aufgabe bei den Mitgliedern der Geschäftsleitung, den Mitgliedern des Verwaltungsrates oder doch bei den Aktionären? Und wer bestimmt, wem diese Aufgabe zufällt? Mit der Annahme der Initiative gegen die Abzockerei schien diese Frage geklärt. Die Initiative verankerte folgenden Satz in der Schweizerischen Bundesverfassung: „Die Generalversammlung stimmt jährlich über die Gesamtsumme aller Vergütungen (Geld und Wert der Sachleistungen) des Verwaltungsrates, der Geschäftsleitung und des Beirates ab.“ Über die genaue Umsetzung dieses Satzes ist man sich aber bei Weitem nicht einig. Im Rahmen der jährlich durchgeführten Managerlohnstudie untersucht Travail.Suisse unter anderem die Vergütungsabstimmungen von 23 Schweizer Unternehmen 1 .
Nur ein Viertel kennt den Idealfall
Eine erste Spezifizierung des Artikels aus der Bundesverfassung lieferte der Bundesrat mit der „Verordnung gegen übermässige Vergütungen bei börsenkotierten Aktiengesellschaften“ (VegüV). Darin wurde festgelegt, dass die Aktionäre einzeln über die Vergütungen der Geschäftsleitung, des Verwaltungsrates und des Beirates abstimmen müssen. Wie genau diese Abstimmungen aussehen und wann abgestimmt werden soll, bleibt den Unternehmen überlassen.
Die logische Schlussfolgerung daraus ist, dass in getrennten Abstimmungen über die fixe Vergütung und die Boni entschieden wird. Diese Aufteilung ist notwendig, da die Aktionäre ansonsten keinen Einfluss darauf nehmen könnten, wie hoch die Grundvergütung und wie hoch der Boni ausfällt. Zusätzlich dazu muss die Abstimmung über die Boni retrospektiv, also bezogen auf das vergangene Jahr, durchgeführt werden. Die rückwirkende Abstimmung bei den Boni ist abzuhalten, weil variable Vergütungen leistungsbezogen sind. Diese Leistung müssen die Aktionäre kennen, wenn sich die Löhne darauf beziehen sollen. Ansonsten ist es ihnen nicht möglich, ungerechtfertigte Bonuszahlungen zu verhindern.
An diesem Idealfall orientieren sich aber gerade mal ein Viertel der von Travail.Suisse untersuchten Unternehmen (Roche, Schindler, UBS, Helvetia und Swatch).
Prospektive Abstimmungen verunmöglichen leistungsorientierte Löhne
Die Praxis bei der grossen Mehrheit der Unternehmen zeigt, dass insgesamt gerademal zwei Abstimmungen zu den Vergütungen durchgeführt werden. Dabei werden wichtige Punkte schon bei der Formulierung der Anträge durch den Verwaltungsrat festgelegt und die Aktionäre damit umgangen. Die beiden Abstimmungen beziehen sich einerseits auf die Geschäftsleitung und andererseits auf den Verwaltungsrat. Bei den Anträgen wird nicht zwischen fixer und variabler Vergütung unterschieden. Die Generalversammlung kann deshalb keinen Einfluss darauf nehmen, wie hoch die Basisvergütung und wie hoch die Boni sein sollen. Weiter werden alle Abstimmungen prospektiv, also im Voraus abgehalten. Die Aktionäre befinden somit über die Prämierung von Leistungen, die noch nicht erbracht wurden.
Mit dieser Praxis bewegen sich die Unternehmen im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen, da sie gesondert über die Vergütung des Verwaltungsrates und der Geschäftsleitung abstimmen. Sie behalten sich aber das Recht vor, die Höhe der ausbezahlten Boni zu bestimmen. Da die abgehaltene Abstimmung zu den Boni bindend war, haben die Aktionäre keine Möglichkeit mehr, rückwirkend Einfluss darauf zu nehmen. Aber genau das wäre dringend nötig. Die ausbezahlten Boni machen einen enorm grossen Anteil der Gesamtvergütung aus. So zahlt zum Beispiel Nestlé seiner Geschäftsleitung 58% der Vergütung in Boni aus. Beim Zürich CEO Martin Senn macht der Bonus für das Jahr 2014 66% der Jahresvergütung aus und bei Novartis CEO Joseph Jimenez sogar 80%, das entspricht 10.1 Millionen Schweizer Franken. Alle drei Unternehmen lassen an ihren Generalversammlungen in einer einzigen Abstimmung prospektiv über das Basisgehalt und die Boni abstimmen.
Aktionäre nehmen Verantwortung nicht wahr
Die Abzocker-Initiative versprach, dass Verwaltungsräte und Geschäftsleitungen unter Druck geraten und die Löhne sinken würden, da sie von den Aktionären stärker beaufsichtigt würden. Blickt man auf die Generalversammlungen des Jahres 2015, zeigt sich aber genau das Gegenteil: Die Abstimmungen zu den Vergütungen werden von den Abstimmenden ohne nachzufragen durchgewinkt. Zum Beispiel haben die Aktionäre von Novartis die Vergütung der Geschäftsleitung und des Verwaltungsrates für das Jahr 2015 mit einem Ja-Stimmenanteil von 93.7% beziehungsweise 97.8% angenommen. Bei Georg Fischer lagen die Ergebnisse bei 98.6% und 89.3%. Die Aktionäre von Roche haben die Abstimmung über die Boni der Geschäftsleitung sogar mit 99.75% Ja-Stimmen angenommen.
Die Aktionäre folgen den Anträgen des Verwaltungsrates also auf Schritt und Tritt. Eine kritische Auseinandersetzung mit den Vergütungen von Seite der Aktionäre findet nicht statt. Und dies, obwohl den Aktionären mit der Annahme der Abzocker-Initiative die Verantwortung für die Vergütung des Managements übertragen wurde. Sie hätten die Möglichkeit, Anträge abzulehnen oder die in den Statuten festgelegten Bestimmungen zu ändern. Da sie dies aber nicht machen und sich auch nicht kritisch mit den Vergütungen auseinandersetzen, nehmen sie die ihnen übertragene Verantwortung nicht wahr.
Ist die Initiative gegen die Abzockerei also gescheitert? Man kann zwar noch nicht sagen, wie sich die Aktionäre in den nächsten Jahren verhalten werden, doch vermutlich wird sich an der heutigen Praxis nichts ändern. Werden keine weiteren Massnahmen ergriffen, so werden die Löhne der Top-Manager in den nächsten Jahren nicht sinken. Die Unternehmen und ihre Aktionäre blockieren jeglichen Fortschritt durch ihre Untätigkeit. Die Unternehmen führen Alibi-Abstimmungen durch, mit denen sie Boni bereits im Voraus festlegen und den Aktionären eine Einflussnahme verunmöglichen. Und die Aktionäre nehmen ihre Verantwortung nicht wahr und winken die Anträge der Verwaltungsräte ohne kritische Hinterfragung einfach durch. Die Abzocker-Initiative ist demnach nicht fähig, Lohnexzesse zu verhindern. Die Generalversammlungen des Jahres 2015 zeigen, dass die Stärkung der Aktionärsrechte nicht ausreicht, um die überrissenen Entschädigungen für Manager in den Griff zu bekommen.
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p(footnote). 1 Nestlé, Implenia, Zürich, Lonza, Georg Fischer, Roche, Swisscom, Oerlikon, Schindler, UBS, Novartis, Swiss Life, Crédit Suisse, Kuoni, Lindt & Sprüngli, Helvetia, Bobst, Bâloise, Swatch, Clariant, Ascom, Valora und ABB.