Mediale Tatsachenbeschönigung: Lohngleichheit bleibt in weiter Ferne
Die Lohndiskriminierung hat zwischen 2016 und 2018 weiter zugenommen, wie die neusten Zahlen des Bundesamtes für Statistik belegen. Mit dem revidierten Gleichstellungsgesetz müssen Unternehmen mit mindestens 100 Mitarbeitenden eine Lohnanalyse durchführen. Dass damit der grosse Sprung in Richtung Lohngleichheit getan ist, wie aktuell einzelne Medienberichterstattungen glauben machen wollen, darf aber bezweifelt werden. Nicht zuletzt, weil sich Lohndiskriminierung besonders bei kleineren Unternehmen manifestiert und gerade diese nicht vom Gleichstellungsgesetz tangiert werden.
«Kaum Lohndiskriminierung von Frauen» – unter diesem Titel veröffentlichte die NZZ am Sonntag (1) kürzlich einen schönfärberischen Artikel zur Lohndiskriminierung in der Schweiz. Die Hauptaussage war, dass nur 5 Prozent der Unternehmen den Frauen unfaire Löhne bezahlen. Gestützt wird diese Aussage mit Daten von zwei Anbietern von Lohnanalysen. Dem tendenziösen Grundton dieses Artikels sind dreierlei Argumente entgegenzuhalten.
Erstens ist die Stichprobe alles andere als repräsentativ. Die Unternehmen, die bei den externen Anbietern eine Lohnanalyse haben durchführen lassen, sind weder von der Branchenstruktur noch von der Unternehmensgrösse her ein Abbild der Struktur der Schweizer Wirtschaft. Die Kernaussage des Artikels ist somit mit der Feststellung vergleichbar, dass im Simmental im Berner Oberland nur 5 Prozent der Häuser nicht aus Holz gebaut sind, und daraus zu schliessen, dass 95 Prozent aller Häuser in der gesamten Schweiz Holzhäuser seien.
Zweitens verschärft sich die Problematik der nicht-repräsentativen Stichprobe durch das Gesetz selbst. Nur Unternehmen mit mindestens 100 Mitarbeitenden müssen nach dem revidierten Gleichstellungsgesetz eine Lohnanalyse durchführen – dies entspricht lediglich 0.9 Prozent aller Unternehmen in der Schweiz, oder anders ausgedrückt: nicht einmal jedes hundertste Unternehmen ist davon betroffen.
Drittens wird beim Logib – dem Standard-Analysetool des Bundes – mit einer Toleranzschwelle von 5 Prozent gearbeitet. Dies bedeutet, dass Lohndiskriminierung bis 5 Prozent «reingewaschen» wird. Beim Medianlohn von rund 6’500 Franken wird damit eine Lohndiskriminierung zwischen den Geschlechtern von über 4’000 Franken pro Jahr gesetzlich akzeptiert.
Wenn in Gruppen von untersuchten Unternehmen eine eher tiefere Lohndiskriminierung gefunden wird, ist dies durchaus positiv zu bewerten. Daraus dann allerdings eine Lobhudelei auf die gesamte Wirtschaft zu zimmern, ohne ausreichend auf die mit den verwendeten Daten zusammenhängenden Probleme aufmerksam zu machen oder die Schwachstellen des revidierten Gleichstellungsgesetzes aufzuzeigen, ist irreführend und der ernsthaften Problematik der Lohndiskriminierung unwürdig.
Repräsentative Daten zeigen Zunahme der Lohndiskriminierung
Alle zwei Jahre lässt der Bund die Lohnstruktur in der Schweiz erheben. Die Resultate werden auch verwendet, um die Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern auf dem Schweizer Arbeitsmarkt zu analysieren. Nun liegt die Analyse zur Lohnstrukturerhebung 2018 vor. Travail.Suisse, der unabhängige Dachverband der Schweizer Arbeitnehmenden, schlüsselt die wichtigsten Ergebnisse auf und ist von den Resultaten beunruhigt: Während die unerklärbaren Lohnunterschiede von 2012 bis 2014 abgenommen haben, nehmen sie seither wieder zu. Dieser unerklärbare Anteil der Lohnunterschiede gibt Auskunft darüber, welche Unterschiede bestehen bleiben, wenn Frauen mit Männern verglichen werden, die im Schnitt die gleichen beobachtbaren Erklärungsfaktoren wie Ausbildung, Beruf, Branche etc. aufweisen. Eine unerklärbare Lohndifferenz liegt somit vor, wenn Frauen und Männer für die gleiche Arbeit und mit der gleichen Qualifizierung im Schnitt unterschiedliche Löhne erhalten.
In der Gesamtwirtschaft liegt eine durchschnittliche Lohndifferenz von 17,8 Prozent vor. Davon lassen sich nur rund 55 Prozent mittels Einflussfaktoren wie Ausbildung, Beruf oder Dienstalter erklären. Der unerklärbare Anteil beträgt also 45 Prozent, womit Frauen unbegründet 8.1 Prozent weniger verdienen als Männer. Hier handelt es sich um Diskriminierung.
Grosse Unterschiede nach Branche und Unternehmensgrösse
Nicht in allen Branchen sind die unerklärbaren Lohnunterschiede gleich gross (vgl. Abb. 2). Mit 16 Prozent ist sie in der Branche «Herstellung Textilien/ Lederwaren» am höchsten, gefolgt von «Übriges verarbeitendes Gewerbe / Industrie» (14.8%) und «Baugewerbe» (14.3%). In diesen Branchen verdienen Frauen also bei vergleichbaren erklärenden Merkmalen rund 15 Prozent weniger. Die tiefste unerklärbare Lohndifferenz findet sich mit 3 Prozent in der Branche «Gastgewerbe/Beherbergung und Gastronomie». Eine erfreuliche Nachricht aus einer Branche, die sonst oft für wenig vorteilhafte Arbeitsbedingungen und tiefe Löhne in der Kritik steht. Branchen, in denen die unerklärbare Lohndifferenz zu Gunsten der Frauen ausfallen würde, gibt es keine. Dies ist ein weiteres Zeichen, dass der Schweizer Arbeitsmarkt Frauen systematisch benachteiligt.
Der Anteil der unerklärbaren Lohnunterschiede nimmt mit wachsender Unternehmensgrösse ab, d.h. kleine Unternehmen weisen tendenziell einen grösseren unerklärbaren Lohnunterschied auf als grosse Unternehmen. Der Unterschied ist beachtlich: In Unternehmen mit weniger als 20 Angestellten beträgt der unerklärbare Lohnanteil 9.7%, während er in Unternehmen mit 1’000 oder mehr Beschäftigten bei 6.9% liegt. Damit müssen kleine Unternehmen beim Thema Lohngleichheit eindeutig mehr Verantwortung übernehmen. Der Bund stellt dafür die nötigen Instrumente zur Verfügung. Dieses Jahr wurde das Lohnanalyse-Tool Logib Modul 2 lanciert, welche Lohngleichheitsanalysen bereits ab 2 Mitarbeitenden erlaubt. Damit haben KMU nun keine Ausrede mehr, weshalb sie Ihre Lohnstruktur nicht auf Diskriminierung kontrollieren können.
Zwar hat das Parlament es verfehlt, kleine Unternehmen bei der Lohngleichheitsanalyse gesetzlich in die Pflicht zu nehmen und bei der Revision des Gleichstellungsgesetzes nicht vorgesehen, dass Unternehmen mit weniger als 100 Mitarbeitenden eine Analyse durchführen. Doch hier bietet Travail.Suisse eine Lösung: kleine Unternehmen, die die Lohngleichheit ernst nehmen und ihre Lohnstruktur analysiert haben, können sich auf der weissen Liste der Plattform RESPECT8-3.ch eintragen. Sie können sich so als besonders fortschrittliche Unternehmen von der Konkurrenz abheben und in Zeiten von spürbarem Fachkräftemängel junge Talente anziehen. Dies, zusammen mit der gesellschaftlichen Verpflichtung, einen Beitrag gegen die Geschlechterdiskriminierung zu leisten, sollte Anreiz genug zu sein, eine Lohngleichheitsanalyse durchzuführen.
Lohndiskriminierung bereits beim Berufseinstieg
Die Lohnzerlegung nach Altersgruppen zeigt, dass sowohl die gesamte als auch die unerklärbare Lohndifferenz mit zunehmendem Alter der Beschäftigten steigt. Doch der relative Anteil der unerklärbaren Lohnunterschiede nimmt dabei stetig ab. Damit können die im Modell verwendeten Variablen mit zunehmendem Alter einen grösseren Anteil der Lohndifferenzen erklären. Aber bei Karrierebeginn können die im Modell verwendeten erklärenden Faktoren wie Ausbildung, Erfahrung oder Beruf oder Branche usw. die Lohnunterschiede zwischen den Geschlechtern nur schlecht erklären. Dieses Resultat bestätigt die Ergebnisse anderer Studien, wonach junge Frauen bereits zu Karrierebeginn mit diskriminierenden Lohnpolitiken konfrontiert sind.
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Quellen:
(1) : NZZ am Sonntag vom 15.8.2021
Abbildung 1+2: Grafik: Travail.Suisse; Quelle: LSE 2018