Die Schweizer Wirtschaft hat die internationalen Krisenjahre relativ schadlos überwunden und befindet sich wieder in einer Phase von anziehendem Wachstum. Neben dem dynamischen Binnenmarkt verbessern sich auch die Aussichten für die Exportwirtschaft. Mit grossem Einsatz, viel Flexibilität und bescheidenen Lohnerhöhungen in den letzten Jahren haben auch die Arbeitnehmenden ihren Beitrag zur Überwindung der Krise geleistet. In den meisten Branchen ist Luft vorhanden, um diesen Einsatz der Arbeitnehmenden mit deutlichen Lohnerhöhungen in diesem Jahr zu honorieren. Travail.Suisse, der unabhängige Dachverband der Arbeitnehmenden, fordert für die Lohnrunde 2015 Lohnerhöhungen für die Arbeitnehmenden in der Grössenordnung von 2 Prozent.
Die Schweizer Wirtschaft hat die Finanz- und Wachstumskrise von 2008 erfreulich gut überwunden. Bereits Mitte 2010 hat die Schweiz das Vorkrisenniveau wieder erreicht und durchlebt seither eine solide Wachstumsphase. Mit Wachstumsprognosen von zwei und mehr Prozent sind sie Aussichten positiv; die Schweiz scheint vom Rückenwind der anziehenden Weltkonjunktur zu profitieren. Es ist an der Zeit, die Arbeitnehmenden am erfreulichen Wirtschaftswachstum teilhaben zu lassen.
Schweizer Wirtschaft mit positiven Aussichten
Das Staatssekretariat für Wirtschaft SECO 1 rechnet für das laufende Jahr mit einem Wirtschaftswachstum von 2 Prozent und prognostiziert für das Jahr 2015 gar ein anziehendes Wirtschaftswachstum von 2.6 Prozent. Während der Krise der letzten Jahre war der Binnenmarkt jeweils die tragende Stütze der Schweizer Konjunktur. Zum einen hat sich der private Konsum sehr positiv entwickelt, er dürfte auch in naher Zukunft wichtig bleiben. Die ausserordentliche Dynamik der letzten Jahre dürfte sich allerdings etwas abschwächen. Es ist insbesondere das absehbare Ende der Null- (oder gar Minusteuerung), das hier bremsend wirkt. Zum anderen war der Bausektor während der internationalen Krisenjahre ein wichtiger Treiber des schweizerischen Wirtschaftswachstums. Auch dieser Bereich leistet für 2014 nochmals einen wichtigen Beitrag zur Stützung der Konjunktur, dürfte sich allerdings mittelfristig, aufgrund des abnehmenden Arbeitsvorrates, etwas abkühlen.
Die Exportwirtschaft sah sich in den letzten Jahren durch das rezessive Umfeld im Euroraum und die starke Aufwertung des Schweizer Frankens mit einer sehr anspruchsvollen Situation konfrontiert. Die Entwicklung der schweizerischen Wirtschaft gesamthaft und insbesondere die Robustheit der Exportwirtschaft ist in diesem Kontext umso bemerkenswerter. So hat sich die wirtschaftliche Lage der meisten Industrieunternehmen im ersten Halbjahr 2014 verbessert und insbesondere aus der MEM-Industrie sind steigende Auftragseingänge bekannt 2 , welche die Kapazitätsauslastungen bereits wieder über den langjährigen Durchschnitt steigen liessen. Und die Aussichten für die Exportwirtschaft verbessern sich im Zuge der weltwirtschaftlichen Erholung weiter. Entscheidend ist hier, dass auch der EU-Raum wieder auf den Wachstumskurs zurückgefunden hat. Die Wachstumsprognosen belaufen sich für den Euroraum im 2014 auf 1 Prozent. Bereits diese leichte Erholung im Euroraum vermag den Exportsektor in der Schweiz zu beleben und führt dazu, dass die Schweizer Exportwirtschaft wieder vermehrt zum Konjunkturaufschwung beiträgt. 3
Arbeitsmarkt ist weiter sehr stabil
Der schweizerische Arbeitsmarkt ist in einer soliden Verfassung. Das Beschäftigungswachstum entwickelt sich mit gemässigtem Tempo weiter – wieder mit leicht zunehmenden Wachstumsraten. Erfreulicherweise hat das Beschäftigungswachstum seit Ende 2013 mit dem Gastgewerbe, dem Detailhandel und der Industrie auch Branchen erfasst, die zuvor seit längerer Zeit keine Stellen mehr aufgebaut haben. Das Beschäftigungswachstum präsentiert sich somit momentan deutlich breiter abgestützt als in den letzten Jahren. Der Arbeitsmarkt reagiert verzögert auf die positive Wirtschaftsentwicklung. Während für dieses Jahr noch eine Arbeitslosenquote von 3.1 Prozent prognostiziert wird, dürfte sie 2015 unter 3 Prozent fallen und bei 2.8 Prozent zu liegen kommen. Der Indikator der Beschäftigungsaussichten 4 hat sich sowohl für den zweiten wie dritten Sektor erhöht, was einen weiteren Stellenaufbau erwarten lässt.
Positive Wirtschaftsentwicklung soll zu angemessenen Lohnerhöhungen führen
Die Lohnrunde 2015 steht ganz im Zeichen der vergangenen unsicheren Jahre, in denen die Arbeitnehmenden trotz grosser Unsicherheit und starker Belastung eine hohe Leistung erbracht haben. Gleichzeitig sind die Lohnrunden der letzten Jahre unterdurchschnittlich ausgefallen. Mit Blick auf diese bescheidenen Lohnerhöhungen der letzten Jahre und den sich weiter verbessernden Wirtschaftsaussichten ist für Travail.Suisse klar, dass bei den Arbeitgebern genügend Luft vorhanden ist, um den Arbeitnehmenden spürbare und faire Lohnerhöhungen zuzugestehen. Lohnerhöhungen in der Grössenordnung von 2 Prozent sind aus folgenden Gründen realistisch und angemessen:
• Bescheidene Nominallohnentwicklung in den letzten Jahren: Die Lohnerhöhung über die letzten vier Jahre fiel sehr bescheiden aus. Für das letzte Jahr rechnet die Lohnumfrage der UBS vom Herbst 2013 mit einer Nominallohnerhöhung von lediglich 0.9 Prozent. Mit dem absehbaren Ende der Zeit mit Null- oder gar Negativteuerung (die Prognosen gehen für dieses und insbesondere nächstes Jahr von einer anziehenden Inflation von 0.6 Prozent aus) steigt der Bedarf von Lohnerhöhungen. Damit der private Konsum auch in naher Zukunft eine wichtige Stütze der schweizerischen Konjunktur bleiben wird, ist es wichtig, dass die Lohnrunde 2015 die Kaufkraft der Arbeitnehmenden stärkt. Travail.Suisse erwartet für die Lohnrunde 2015 eine deutlich grössere Nominallohnerhöhung als im Vorjahr.
• Früchte des Wachstums gerecht verteilen: Die Managerlohnstudien von Travail.Suisse zeigen, dass sich die Lohnschere – das Verhältnis zwischen dem höchsten und dem tiefsten Lohn im gleichen Unternehmen – in den letzten Jahren stark geöffnet hat. Während sich die Teppichetage ihre Bezüge um ein Mehrfaches erhöht hat, blieben für die normalen Arbeitnehmenden nur geringfügige Lohnerhöhungen übrig. Wenn das erreichte Wachstum in erster Linie den Chefs und Aktionären zugute kommt, führt dies zu einer ungleichen Einkommensverteilung. Neben einer politischen Lösungsfindung für das Problem der überhöhten Managersaläre braucht es zwingend kontinuierliche und spürbare Lohnerhöhungen für alle Arbeitnehmenden. Ausserdem ergibt sich durch die wieder stärker wachsende Arbeitsproduktivität für die Unternehmen ein grösserer Spielraum für die Lohnverhandlungen. Lohnerhöhungen in der Grössenordnung des Wirtschaftswachstums sind in den meisten Branchen realistisch.
• Fokus auf Mindestlöhne und Frauenlöhne: Im Vorfeld der Abstimmung zur Mindestlohninitiative ist von Seiten der Wirtschaft und der Arbeitgeber immer wieder betont worden, dass Mindestlöhne in der Sozialpartnerschaft und nicht im Gesetz geregelt werden müssen. Nachdem ein gesetzlicher Mindestlohn jetzt vom Tisch ist, müssen die Arbeitgeber den Beweis erbringen, dass sie gewillt sind, in den Lohnverhandlungen gezielt Verbesserungen für die Arbeitnehmenden mit den tiefsten Einkommen zu ermöglichen. Für Travail.Suisse ist klar, dass im diesjährigen Lohnherbst ein besonderer Fokus auf Vereinbarungen, resp. Erhöhungen von orts- und branchenüblichen Mindestlöhnen gelegt werden muss. Gleiches gilt für die Lohngleichheit zwischen den Geschlechtern. Der freiwillige Lohngleichheitsdialog ist praktisch ergebnislos beendet worden. Es liegt jetzt an den Arbeitgebern zu beweisen, dass die Lohngleichheit zwischen Mann und Frau nicht nur toter Buchstabe in der Verfassung ist, sondern auch effektiv angestrebt wird. Travail.Suisse fordert daher, dass in den Lohnverhandlungen in diesem Herbst ein sozialpartnerschaftlicher Fokus auf die Verbesserung der Frauenlöhne gelegt wird.
• Reguläre Lohnerhöhungen statt Boni; generelle statt individuelle Lohnerhöhungen: Travail.Suisse fordert für die Arbeitnehmenden reguläre Lohnerhöhungen anstelle eines Bonus. Nur reguläre Lohnerhöhungen garantieren eine nachhaltige Lohnentwicklung und führen zu einem konsolidierten Rentenanspruch. Ein Bonus mag zwar ein willkommener Zustupf sein, ist aber kein beständiger Lohnbestandteil und soll nur in Ausnahmefällen und vor allem nicht als Ersatz für reguläre Lohnerhöhungen ausbezahlt werden. Ausserdem sollen Lohnerhöhungen in erster Linie generell gewährt werden. Am Wirtschaftswachstum sollen alle Arbeitnehmenden teilhaben. Nur ein kleiner Teil der gesamten Lohnerhöhungen soll für individuelle Lohnerhöhungen verwendet werden. Während seit 2010 der Anteil der generellen Lohnerhöhungen zugenommen 5 hat, zeigen die neusten Zahlen des Bundesamtes für Statistik, dass im 2013 deutlich mehr als die Hälfte der Lohnerhöhungen individuell ausgeschüttet wurden. Diese Entwicklung ist zwingend wieder zu korrigieren.
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p(footnote). 1 Konjunkturtendenzen Sommer 2014.
2 SwissMEM Panorama 2014.
3UBS Outlook Schweiz. 3.Quartal 2014.
4BFS Arbeitsmarktindikatoren 2014.
5BFS, Gesamtarbeitsvertragliche Lohnabschlüsse 2013.