Mehr Schutz, mehr Lohn und mehr Rente – oder anders gesagt – mehr gute Arbeit: Das ist es, wofür wir dieses Jahr am 1. Mai, dem Tag der Arbeit, auf die Strasse gegangen sind. Und das, unser Einsatz für mehr gute Arbeit, ist dringend notwendig.
Mehr gute Arbeit, das ist unsere, die gewerkschaftliche Antwort auf die Krise bzw. auf die Krisen der letzten Jahre. Diese Krisen – die Immobilienkrise in den USA, die weltweiten Banken-, Finanz- und Wirtschaftskrisen und jetzt die sogenannte Schuldenkrise – waren und sind nicht einfach normale Krisen, wie wir sie seit je her immer wieder erlebt haben. Nein, sie sind Ausdruck einer tiefer liegenden Krise, Ausdruck eines mangelnden Respekts vor der Arbeit nämlich, Ausdruck einer totalen Überschätzung des Kapitals und einer Ideologie der Ungleichheit.
Für die neoliberalen Ideologen ist die Arbeit nur ein Kostenfaktor
Für die neoliberalen Ideologen, die die letzten zwanzig bis dreissig Jahre in Wirtschaft und Politik den Ton angegeben haben, ist die Arbeit nur ein Kostenfaktor. Und damit etwas Schlechtes, etwas, das reduziert werden muss, etwas, das es möglichst zu eliminieren gilt. So bestanden denn die letzten 20 Jahre auch aus fortgesetzten wirtschaftlichen und politischen Angriffen auf die Arbeit. Denken wir an die Liberalisierungen und Privatisierungen im Namen des allmächtigen Marktes, an den steigenden Druck auf die Löhne, an die Ausbreitung von atypischen Arbeitsverträgen wie befristete Arbeit oder Arbeit auf Abruf, denken wir an den Anstieg der prekären Arbeit und der Zahl von „working poor“ und an die Entstehung von ganzen Tieflohnbranchen, hier bei uns in der reichen Schweiz.
Die Folgen des ungezügelten und arbeitsverachtenden Finanzkapitalismus waren aber nicht nur am untersten Ende der Lohnskala zu spüren. Die Idee, dass jede und jeder an den Gewinnen beteiligt wird, zu deren Erarbeitung sie oder er beigetragen hat, wurde komplett über Bord geworfen. So sprudelten oben die Gewinne der Unternehmen, die Saläre der Manager sind explodiert, und gleichzeitig wurden auch noch die Unternehmenssteuern und die Einkommenssteuern für die höchsten Einkommen gesenkt.
Für die normalen Arbeitnehmenden hingegen sind die Löhne kaum mehr real gewachsen, Mieten und Krankenkassen hingegen sind weiter angestiegen und der Druck und die Unsicherheit am Arbeitsplatz haben massiv zugenommen.
Als dann im 2008 das weltweite Finanzsystem kurz vor dem Kollaps stand, retteten die vorher so verachteten und verhöhnten Staaten die Banken und mit ihnen die ganze Wirtschaft. Zuerst haben wir noch gehofft, dass jetzt Verbesserungen eintreten könnten, dass vielleicht etwas Zurückhaltung und Bescheidenheit einkehren und das Primat der Politik über die Wirtschaft wieder hergestellt würde.
Doch weit gefehlt. Heute kassieren die Banker bereits wieder Boni in Millionenhöhe und gleichzeitig treiben sie ganze Staaten, ja ganz Europa vor sich hin und verlangen tief greifende Reformen und Sparprogramme, um die Schulden zu reduzieren, die sie vorher selbst verursacht haben. Das ist pure Arroganz. Und erneut sind es nicht die Banken oder Hedge Fonds oder andere Finanzer, die die Kosten der Schuldenkrise tragen sollen.
Die Arbeitnehmenden bezahlen die Zeche
Nein, es sind wiederum die Arbeitnehmenden, die die Zeche bezahlen sollen. Millionen von Arbeitnehmenden stehen in Europa aufgrund der steigenden Arbeitslosigkeit auf der Strasse, und noch viel mehr müssen Kürzungen bei den Löhnen und Renten hinnehmen. Es sind aber auch die gewöhnlichen Arbeitnehmenden, die unter dem Abbau des Service public, unter Verschlechterungen im Gesundheitswesen, in der Bildung, im öffentlichen Verkehr und so weiter leiden.
Soweit sind wir zwar in der Schweiz nicht. Aber auch hier zeigen sich die bürgerlichen Politiker und die Arbeitgeber wenig einsichtig. Gerade diesen Frühling haben sie sich mit Händen und Füssen – und leider erfolgreich – gewehrt gegen mehr Ferien als Ausgleich zur hohen Arbeitsbelastung und als Beteiligung am erarbeiteten Produktivitätsfortschritt. Sie wollen keine Mindestlöhne nirgendwo und sagen sogar öffentlich, dass ein Lohn nicht zum Leben reichen muss. Sie wollen tiefere Renten, eine Erhöhung des Rentenalters und auf gar keinen Fall einen besseren Schutz vor Kündigungen, nicht einmal für die Vertreterinnen und Vertreter der Arbeitnehmenden.
Mit der Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten, der Salamitaktik bei der Sonntagsarbeit und den Erhöhungen der Arbeitszeit in der Industrie lancieren sie Angriff auf Angriff auf die Arbeitsbedingungen in der Schweiz. Ja, sie gehen sogar soweit, simple und dringend notwendige Massnahmen zum Schutz unserer Löhne und Arbeitsbedingungen wie die die Solidarhaftung des Generalunternehmens als flankierende Massnahme zum freien Personenverkehr abzulehnen.
Diese fortgesetzte Arroganz dürfen und müssen wir uns nicht bieten lassen. Es ist höchste Zeit, solchen Absichten und Entwicklungen mit ganzer Kraft entgegenzutreten und eine neue Politik einzufordern, eine Politik für die Arbeitnehmenden und für mehr gute Arbeit. Konkret heisst das:
- Wir wollen Löhne, mit welchen sich eine Familie ihren Lebensunterhalt selbst verdienen, ein gutes Leben führen und am Wohlstand der Schweiz teilhaben kann. Dafür verlangen wir flächendeckende Mindestlöhne für alle Branchen und Regionen der Schweiz.
- Wir wollen eine Altersvorsorge, die den Pensionierten ermöglicht, ihren verdienten Lebensabend ohne finanzielle Sorgen und Ängste zu geniessen. Sichere und gute Renten also und sicher keine Rentensenkungen, weder in der AHV noch in der 2. Säule.
- Wir wollen Arbeitsbedingungen, die nicht krank machen. Wir brauchen einen Ausgleich zur hohen Arbeitsbelastung und zum Stress am Arbeitsplatz. Die Arbeitsbedingungen müssen auch ein Leben neben der Arbeit ermöglich, ein Leben mit der Familie, mit Freunden. Und sie müssen zulassen, dass die Menschen selbst über ihre Pensionierung entscheiden können und nicht immer häufiger wegen gesundheitlichen Problemen ausrangiert werden.
- Wir wollen auch eine Wirtschaftspolitik, die sinnvolle und positive Arbeit fördert, wie zum Beispiel Cleantech-Arbeitsplätze. Arbeit also, die wir auch gegenüber unseren Kindern rechtfertigen können und die nicht einige wenige Reiche noch reicher macht.
- Wir wollen eine Steuerpolitik, die nicht die Reichen entlastet, sondern die dem Staat genügend Mittel zur Verfügung stellt, um seine Aufgaben wahrzunehmen, um einen flächendeckenden und hochstehenden Service public sicherzustellen. Die bald zur Abstimmung kommende Bonisteuer bietet immerhin die Möglichkeit, einen Schritt in die richtige Richtung zu tun.
Nur mit einer solchen Politik für mehr gute Arbeit, für mehr Gerechtigkeit und Ausgleich, also nur dann, wenn die Arbeitnehmenden wieder jenen Anteil des wirtschaftlichen Kuchens bekommen, der ihnen zusteht, nur dann werden wir die immer schneller aufeinander folgenden Krisen hinter uns lassen können und zu einer gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ordnung finden, die langfristig tragfähig und für uns als Arbeitnehmende akzeptabel ist.