In der Bevölkerung nimmt das Unbehagen gegenüber der Personenfreizügigkeit zu. Travail.Suisse begrüsst die Beschlüsse der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrates (WAK-NR), die flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit zu verschärfen. Besonders wichtig ist die Einführung der Solidarhaftung von General- gegenüber ihren Subunternehmen. Zusätzlich fordert Travail.Suisse eine markante Erhöhung der Bussen und mehr verbindliche Mindestlöhne in Tieflohnbranchen.
Der Bericht über die Umsetzung der flankierenden Massnahmen im Jahr 2010 hat eine starke Zunahme von Lohndumpingfällen zutage gebracht. Gleichzeitig wurde aufgezeigt, dass die Sanktionierung von Verstössen nur unbefriedigend funktioniert und das Schutzinstrumentarium, namentlich die erleichterte Einführung von Normalarbeitsverträgen und Gesamtarbeitsverträgen, kaum angewandt wird. Auch die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates stellte den flankierenden Massnahmen letzten Herbst kein gutes Zeugnis aus. Als Hauptkritikpunkte wurden der Lohndruck und die unvollständige Umsetzung der flankierenden Massnahmen angeführt. Dazu kommt, dass die Zuwanderung im letzten Jahr nochmals stieg und damit die Diskussion über überlastete Verkehrsinfrastrukturen und hohe Wohnungsmieten weiter anheizte.
Steigendes Unbehagen gegenüber der Personenfreizügigkeit
Deshalb ist es nicht erstaunlich, dass in Umfragen bei der Schweizer Bevölkerung die Personenfreizügigkeit mit der EU an Zustimmung verliert. Dieses diffuse Unbehagen gegenüber der Personenfreizügigkeit ist ernst zu nehmen. Denn die Gelegenheit, über die Erweiterung der Personenfreizügigkeit auf Kroatien abzustimmen, wird sich spätestens im Jahr 2014 bieten. Ein Nein zur Personenfreizügigkeit würde bedeuten, dass aufgrund der Guillotineklausel die gesamten Bilateralen Verträge aufgelöst würden. Das wiederum hätte schwerwiegende Folgen für die Wirtschaft und die Beschäftigung in der Schweiz.
Anrufung der Ventilklausel zeigt kaum grosse Wirkung
Doch dem steigenden Unbehagen gegenüber der Personenfreizügigkeit ist allein mit der Anrufung der Ventilklausel für die Langzeitaufenthalter aus den EU-8 Staaten nicht beizukommen. Die Ventilklausel betrifft nur etwa 4000 Aufenthaltsbewilligungen und hat somit kaum bremsende Wirkung auf die Einwanderung. Insbesondere ändert die Anrufung der Ventilklausel nichts an der hohen Zahl von Lohndumpingfällen.
Verstärkung der flankierenden Massnahmen per 2013 einführen
Dass die Hausaufgaben zuhause gelöst werden müssen, hat auch die Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrats (WAK-NR) erkannt. Zusätzlich zu den vom Bundesrat vorgeschlagenen Gesetzesänderungen (Bekämpfung der Scheinselbständigkeit, Einführung von Sanktionsmöglichkeiten bei erleichtert erklärten Gesamt- und Normalarbeitsverträgen) hat sie im März folgende weiteren Verbesserungen der flankierenden Massnahmen aufgegleist.
- Einführung der Solidarhaftung: Subunternehmer werden vertraglich verpflichtet, die gesetzlichen Bestimmungen und die allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsverträge einzuhalten. Der Erst- und der Subunternehmer haften solidarisch für die Nichteinhaltung der gesetzlichen Mindestbestimmungen.
- Einführung der Lohnmeldung: Neu sind bei der Meldung von Entsandten nicht nur die Identität der Personen, sondern auch deren Löhne anzugeben.
Travail.Suisse hat die Einführung der Solidarhaftung schon lange gefordert. Nur so kann dem wiederholten Lohndumping in Subunternehmerketten ein Riegel geschoben werden. Die Lohnmeldepflicht ist wichtig, weil sie die Kontrolltätigkeit der Inspektoren vereinfacht.
Es ist ganz zentral, dass National- und Ständerat in der Sommersession den eingeschlagenen Weg konsequent weiterverfolgen, damit diese wichtigen Gesetzesänderungen per 2013 in Kraft gesetzt werden können.
Höhere Bussen und mehr Mindestlöhne
Zusätzlich zu diesen zwei Verbesserungen ortet Travail.Suisse weiteren Handlungsbedarf bei den flankierenden Massnahmen.
- Erhöhung der Bussen: Die geltenden Verwaltungsbussen von 5000 Franken, die ein Kanton bei Verstössen gegen das Entsendegesetz aussprechen kann, sind zu tief und nicht abschreckend genug. Der Anreiz eines Arbeitgebers, mit Lohnunterbietungen zusätzlichen Gewinn zu erzielen, übersteigt oftmals die Gefahr, eine Busse von 5000 Franken bezahlen zu müssen. Travail.Suisse fordert, dass eine Mindestbusse eingeführt und die Maximalbusse markant erhöht wird. Als Beispiel könnte Österreich dienen, wo die Mindestbusse pro Arbeitnehmenden 500 Euro und die Maximalbusse pro Arbeitnehmenden 50’000 Euro beträgt. Eine andere Möglichkeit wäre, die Höhe der Busse an das Auftragsvolumen zu koppeln.
- Mehr branchenweite und regionale Mindestlöhne: Heute wird auch bei wiederholten Lohndumpingfällen auf die Einführung von erleichtert erklärten Gesamtarbeitsverträgen oder Normalarbeitsverträgen mit verbindlichen Mindestlöhnen verzichtet. Dies muss geändert werden. Ziel ist es, insbesondere in Tieflohnbranchen flächendeckende regionale oder branchenweite Mindestlöhne zu erlassen. Dort, wo keine funktionierende Sozialpartnerschaft besteht, sollen mittels Normalarbeitsverträgen verbindliche Minimallöhne erlassen werden können. Dazu braucht es weitere Gesetzesanpassungen.