Der Arbeitskräftemangel ist die zentrale demografische Herausforderung für die Schweiz. Der Stärkung und Förderung der Arbeitnehmenden in der Schweiz muss deshalb höchste Priorität zukommen. Ebenfalls wichtig sind der freie Personenverkehr und die Zulassungspolitik gegenüber Drittstaaten. In beiden Bereichen sind jedoch Massnahmen nötig, welche die Übereinstimmung der Zuwanderung mit den Interessen der Gesamtbevölkerung sicherstellen. Nur wenn Löhne, Bildung und Integration nicht unter die Räder kommen, kann auch die Akzeptanz der Migrationspolitik in breiten Bevölkerungskreisen erhalten werden.
Der Arbeitskräftemangel ist die zentrale demografische Herausforderung für die Schweiz. Gemäss einer im Auftrag von Travail.Suisse erstellten Studie des Büro BASS werden in der Schweiz im Jahr 2030 bis zu 400 000 Arbeitnehmende fehlen. Um diese Herausforderung zu bewältigen, müssen primär die Arbeitnehmenden, die heute in der Schweiz arbeiten, gefördert und gestärkt werden.
Flankierende Massnahmen stärken
Darüber hinaus wird aber die Rekrutierung von ausländischem Personal eine wichtige Rolle spielen für den Erhalt von Wohlstand und Lebensqualität in der Schweiz. Ein grosser Teil der benötigen Arbeitskräfte wird dabei aufgrund der Personenfreizügigkeit aus Europa rekrutiert werden können. Zentral für den Erhalt der politischen Unterstützung der Personenfreizügigkeit ist aber, dass die wirtschaftliche Situation der ansässigen Bevölkerung nicht leidet. Der Schutz der Löhne und Arbeitsbedingungen ist deshalb fundamental. Die heutigen flankierenden Massnahmen reichen dazu ganz offensichtlich nicht aus, wie auch der kürzlich publizierte Bericht der Geschäftsprüfungskommission (GPK) zeigt. Eine deutliche Stärkung der flankierenden Massnahmen ist unabdingbar. Dazu gehören beispielsweise die Solidarhaftung des Generalunternehmers, direkte Sanktionen von fehlbaren Arbeitgebern sowie flächendeckende regionale und branchenweite Minimallöhne.
Bedingungen einer flexiblen Zulassungspolitik
Da die Länder der EU vor der gleichen demografischen Herausforderung und einer abnehmenden Erwerbsbevölkerung stehen, wird aber auch der globale Wettbewerb um gute und fähige Arbeitskräfte zunehmen. Die EU hat bereits die Zulassungsbedingungen für aussereuropäische Arbeitnehmende vereinfacht. Das zwingt die Schweiz, auch ihre eigene Zulassungspolitik für Personen aus Drittstaaten zu überdenken. Eine Anpassung der Zulassungspolitik darf aber nicht zu grösserem Druck auf die Löhne sowie die Arbeitsbedingungen führen und auch nicht den Zielen der Bildungs-, der Entwicklungs- und der Integrationspolitik widersprechen. Diese Risiken sind insbeson-dere bei der heutigen Ausgestaltung der Zulassungspolitik für Arbeitnehmende sehr gross. Denn heute entscheidet der Bundesrat alleine, und der Druck der Wirtschaft für die Berücksichtigung ihrer Interessen ist sehr gross. Deshalb ist eine Anpassung der Zulassungspolitik an strikte Bedingungen zu knüpfen.
Folgende Bedingungen sind für Travail.Suisse zentral:
- Schaffung einer Planungskommission, welcher auch die Sozialpartner angehören. Diese Kommission muss den Bedarf an ausländischem Personal aus Ländern ausserhalb der EU abklären;
- strikte Kontrolle der Löhne und Arbeitsbedingungen am Arbeitsplatz, damit Lohn und Sozialdumping verhindert werden können;
- obligatorische Bildungsmassnahmen zugunsten des ausländischen Personals, das bereits in der Schweiz ist, damit die Fehler der Vergangenheit vermieden und die Sozialversicherungen vor Missbrauch durch die Arbeitgeber geschützt werden können;
- Stärkung der Berufsbildung durch die Verpflichtung der Arbeitgeber zur Schaffung von genügend Ausbildungsplätzen, um zu verhindern, dass die Migration die Notwendigkeit des beruflichen Nachwuchses in der Schweiz schwächt;
- Integrationspolitik zur Nutzung der Potenziale der gesamten Bevölkerung.
Mit diesen Bedingungen wird dafür gesorgt, dass die Zulassung von Personal aus Drittstaaten nicht allein den wirtschaftlichen Interessen der Unternehmen dient, sondern mit den sozialen, bildungspolitischen und gesellschaftlichen Bedürfnissen der ganzen Bevölkerung übereinstimmt.
Nur wenn die Bevölkerung – und insbesondere die Arbeitnehmenden – in der Schweiz sich nicht als Verlierer der Migrationspolitik fühlen, findet die Zuwanderung auch zukünftig die nötige Akzeptanz und kann zu einer gesellschaftlich sinnvollen Bewältigung des Fachkräftemangels beitragen.
Dieser Artikel ist bereits in „Die Volkswirtschaft“ 12/2011 erschienen.