50 Jahre Frauenstimmrecht – Wo bleibt die Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt?
Vor 50 Jahren wurde der lange Kampf für die politische Gleichstellung der Frauen endlich belohnt und Schweizerinnen konnten sich erstmals als Wählerinnen und Gewählte am politischen Prozess der Schweiz beteiligen. Aber auch 50 Jahre nach diesem Erfolg müssen Frauen auf dem Arbeitsmarkt weiter für die Gleichstellung kämpfen. Travail.Suisse, der unabhängige Dachverband der Arbeitnehmenden kritisiert, dass Frauen in den Führungsgremien von Schweizer Unternehmen noch immer krass unterrepräsentiert sind und dass es bei der Gesetzesrevision zur Lohngleichheit bei einer Alibiübung geblieben ist.
2021 ist ein Jubiläumsjahr: Vor 50 Jahren erlangten die Schweizerinnen nach unermüdlichem Kampf am 7. Februar 1971 endlich das Stimm- und Wahlrecht und haben seither die gleichen politischen Rechte wie Männer. Doch auch 50 Jahre nach der gesetzlichen Verankerung der politischen Gleichheit werden Frauen in der Politik und Wirtschaft noch immer benachteiligt und sind kaum in Führungsgremien vertreten.
Frauenanteil in den Konzernleitungen: konstante Entwicklung auf beschämend tiefem Niveau
Ende 2020 besetzten in den von Travail.Suisse untersuchten Unternehmen (1) gerade einmal 29 Frauen einen Topmanagerposten und das bei gesamthaft 208 Konzernleitungsmitgliedern. Damit ist nicht einmal jede siebte Führungsposition von einer Frau besetzt. Immerhin hat sich deren Zahl in den vergangenen vier Jahren verdoppelt (vgl. Abbildung 1) und sollte dieses Wachstum anhalten, könnte das gesetzlich festgehaltene Ziel von 20 Prozent Frauenanteil in Konzernleitungen bis 2030 erreicht werden (2). Aber trotz dieser erfreulichen Entwicklungen sind weiterhin in jedem dritten Unternehmen nur Männer in der Chefetage vertreten (3) . Diese Unternehmen müssen ihre Anstrengungen für Gleichstellung eindeutig verstärken, nicht nur, um gesetzeskonform zu bleiben, sondern auch, um den steigenden Erwartungen der Gesellschaft und der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weiterhin gerecht zu werden.
Andere Untersuchungen kommen zu ähnlichen Resultaten. Der Schillingreport (4) verzeichnet in den vom ihm untersuchten Unternehmen einen Frauenanteil von 13 Prozent in den Geschäftsleitungen. Dieser wuchs damit im Vergleich zum Vorjahr um 3 Prozentpunkte. Bleibt diese Dynamik konstant, sollten auch gemäss Schillingreport die gesetzlich angestrebten Geschlechterrichtwerte bis 2030 werden. Jedoch bleibt die Zahl der Unternehmen, in deren Geschäftsleitung aktuell gar keine Frau sitzt, mit 42 Prozent weiterhin hoch. Auch die beschämende Tatsache, dass gerade mal 5 der 119 CEOs Frauen sind, lässt keinen Zweifel daran, dass es noch viele Anstrengungen braucht, bis Berufungen von Frauen in die Geschäftsleitung zur Normalität werden.
Frauenanteil in Verwaltungsräten knackt 30 Prozent Marke
Eine gute Nachricht ist die Entwicklung in den Verwaltungsräten. Im letzten Jahrzehnt hat sich der Frauenanteil in den Verwaltungsräten in den von Travail.Suisse untersuchten Unternehmen etwas mehr als verdoppelt (vgl. Abbildung 2) und das Wachstum scheint anzuhalten. Von den insgesamt 243 Verwaltungsratsmitgliedern waren Ende 2020 73 weiblich, was exakt 30 Prozent entspricht. Damit konnte der für 2025 gesetzlich angestrebte Geschlechterrichtwert bereits erreicht werden. Auch wenn im Vergleich dazu die Zahlen aus dem Schillingreport etwas ernüchternder ausfallen – Ende 2020 betrug der Frauenanteil in den Verwaltungsratsgremien 24 Prozent – wird auch hier prognostiziert, dass die angestrebten 30 Prozent bereits 2023 erreicht werden. In dieser Hinsicht ist es umso bedauernswerter, dass die Politik es verpasst hat, ambitioniertere Ziele zu stecken, als letztes Jahr das Aktienrecht revidiert wurde. Gerade wenn man die Frauenanteile in den Verwaltungsräten im europäischen Vergleich betrachtet, sieht man, dass 30 Prozent Frauen in Führungsgremien heute bei weitem nichts Aussergewöhnliches mehr sind (vgl. Abbildung 1). Um wirklich einen bedeutungsvollen Schritt Richtung Gleichstellung im Wirtschaftsleben zu machen, bräuchte es nach Ansicht von Travail.Suisse daher deutlich ambitioniertere Ziele.
Frauenstreik von 2019 zeigt Wirkung: deutlich mehr Frauen im Parlament
Zum Jubiläumsjahr der Einführung des Frauenstimmrechts lohnt sich auch der Vergleich des Frauenanteils in der Privatwirtschaft mit demjenigen im Parlament (vgl. Abbildung 1). Hier zeigt sich, dass der Frauenanteil im Parlament seit einigen Jahren konstant etwa einen Viertel ausmachte. Erst seit 2019, im Jahr des zweiten Schweizer Frauenstreiks, stieg die Zahl der Parlamentarierinnen sprunghaft auf etwas über einen Drittel und damit auf einen neuen Höchststand. Jedoch gibt es starke Unterschiede zwischen den Räten: Während der Frauenanteil im Nationalrat seit den letzten Wahlen immerhin 42 Prozent beträgt, ist im Ständerat kaum mehr als jeder vierte Sitz von einer Frau besetzt. Damit sind die Frauen in der kleinen Kammer schlechter vertreten als in den Verwaltungsräten. Dabei zeigen sowohl der stetig wachsende Frauenanteil in den privatwirtschaftlichen Führungsgremien als auch der sprunghafte Anstieg der Frauen im Parlament, dass die Bereitschaft der Frauen gross ist, politisch und wirtschaftlich Verantwortung zu übernehmen.
Wo bleibt die Lohngleichheit?
Während sich die Errungenschaft der politischen Gleichstellung beim Stimm- und Wahlrecht dieses Jahr zum 50. Mal jährt, scheint Lohngleichheit weiterhin in weiter Ferne zu sein. Schlimmer noch: Gemäss Bundesamt für Statistik wächst seit einigen Jahren insbesondere der unerklärte – und damit diskriminierende – Anteil der Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern wieder an und belief sich 2018 auf 44.3 Prozent (2014 betrug er 42.4 Prozent) (5). Bezeichnend ist, dass diese geschlechterbasierte Lohndiskriminierung bereits beim Eintritt in den Arbeitsmarkt besteht, wie verschiedene Studien (6) nachweisen konnten.
Leider schien die Politik bis anhin nicht ernsthaft etwas zur Erreichung der Lohngleichheit beitragen zu wollen. So trat letztes Jahr zwar eine Gesetzesrevision zur Gleichstellung in Kraft, die darin festgehaltenen Verpflichtungen betreffen aber nur Unternehmen mit mehr als 100 Angestellten – das heisst nicht einmal ein Prozent aller in der Schweiz tätigen Unternehmen. Zudem sind im Gesetzestext weder Kontroll- noch Sanktionsmechanismen vorgesehen und die Revision bleibt nur während zwölf Jahren im Gesetz verankert und erlischt danach wieder – unabhängig davon, ob sich die Lohnungleichheit bis dahin gemindert hat. Es handelt sich hier also alles in allem um eine völlig zahnlose Angelegenheit.
Um dem entgegenzuwirken, und da es durchaus Unternehmen gibt, die als verantwortungsbewusste Arbeitgebende die Lohngleichheit erreichen wollen, hat Travail.Suisse im vergangenen Jahr die Plattform RESPECT8-3.ch lanciert. Diese bietet Unternehmen ab 50 Mitarbeitenden, die bei der Umsetzung des revidierten Gleichstellungsgesetzes vorwärtsmachen, die Möglichkeit, sich auf einer «weissen Liste» zu registrieren. Bereits über 60 Unternehmen haben sich bislang registriert und damit ein Zeichen für die Lohngleichheit gesetzt.
50 Jahre nach der politischen Gleichstellung der Frau sind die Zeiten der Geschlechterdiskriminierung endgültig vorbei! Höchste Zeit also, dass Unternehmen sowohl ihre Führungs- als auch Lohnpolitik entsprechend anpassen.
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(1) Travail.Suisse untersucht seit 2001 im Rahmen der Managerlohnstudie auch die Entwicklung des Frauenanteils in den Führungsgremien einiger der grössten Schweizer Unternehmen. Dazu gehören ABB, Ascom, Baloise, Bobst, Clariant, Coop, Credit Suisse, Georg Fischer, Helvetia, Implenia, Lindt & Sprüngli, Lonza, Migros, Nestlé, Novartis, Oerlikon, Post, Roche, Ruag, Schindler, Swatch, Swiss Life, Swisscom, UBS, Valora und Zurich.
(2) Das 2020 revidierte Aktienrecht sieht vor, dass Frauen in den Konzernleitungen bis 2030 einen Anteil von 20 Prozent ausmachen sollen und in den Verwaltungsräten 30 Prozent bis 2025. Erreichen die Unternehmen dieses Ziel nicht, müssen sie sich erklären, aber abgesehen davon sind keine Sanktionen vorgesehen.
(3) Baloise, Bobst, Clairant, Coop, Georg Fischer, Schindler, Swisscom, Swisslife, Valora
(4) Medienmitteilung zum Schilling Report 2021
(5) Zur Statistik
(6) Beispiel