Die Begrenzungsinitiative schadet den Arbeitnehmenden
Travail.Suisse, der unabhängige Dachverband der Arbeitnehmenden, lehnt die Eidgenössische Volksinitiative „Für eine massvolle Zuwanderung (Begrenzungsinitiative)“, über die am 27. September abgestimmt wird, in aller Deutlichkeit ab. Die Initiative ist arbeitnehmerfeindlich, weil mit der Aufhebung der Personenfreizügigkeit auch die flankierenden Massnahmen und damit der Schutz der Löhne und Arbeitsbedingungen aufs Spiel gesetzt würden. Zudem gefährdet die Initiative Arbeitsplätze und verlangsamt die wirtschaftliche Erholung nach Corona.
Ende Juni sind die nationalen Dachverbände der Arbeitgebenden und der Arbeitnehmenden gemeinsam mit Bundesrätin Keller-Sutter vor die Medien getreten und haben gemeinsam Argumente gegen die Initiative dargelegt. Der Auftritt zeigt, wie wichtig die bilateralen Verträge mit der Europäischen Union für die Schweiz sind. Die Schweiz braucht geordnete Beziehungen mit ihren Nachbarländern und wichtigsten Handelspartnern, sie sind zentral für den Wirtschaftsstandort Schweiz. Dank ihnen stieg die Anzahl Arbeitsplätze in den letzten Jahren kontinuierlich auf über 5 Millionen. In den letzten 10 Jahren wurden eine Million neue Arbeitsplätze geschaffen, was zu einer sehr tiefen Arbeitslosigkeit geführt hat. Die Corona-Krise hat jetzt zu einem – hoffentlich temporären - Einbruch geführt.
Während der Krise konnte vielen Menschen mit Corona-EO und der Kurzarbeitsentschädigung Sicherheit gegeben werden. Trotzdem machen sich angesichts der aktuell schwierigen wirtschaftlichen Lage viele Arbeitnehmende Sorgen um ihren Arbeitsplatz. Für Travail.Suisse ist es wichtig, gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeit aufzuzeigen, dass die Schweiz die Krise mit den bilateralen Verträgen besser und vor allem rascher überwinden kann. Kündigen wir die Personenfreizügigkeit und damit die bilateralen Verträge, ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass ein Teil der betroffenen Arbeitsplätze ins Ausland verschoben wird und damit die Arbeitslosigkeit in der Schweiz verschärft bzw. verlängert würde. Als ein Beispiel: Mit dem Wegfall des Zollabkommens müssten die Schweizer Unternehmen ihre Exporte in die EU 24 Stunden im Voraus melden, was erhebliche Auswirkungen auf die Abläufe im Warenhandel mit den EU-Staaten hätte.
Gemäss den aktuellen Wirtschaftsprognosen kann davon ausgegangen werden, dass sich die Situation auf dem schweizerischen Arbeitsmarkt innert einem oder zwei Jahren wieder erholen wird. Bei einem Wegfall der bilateralen Verträge muss die Schweiz indes damit rechnen, dass der konjunkturelle Abschwung in eine strukturelle Krise übergeht und der Schweiz eine länger dauernde Phase hoher Arbeitslosigkeit bevorstehen wird. Dieses Experiment ist alles andere als im Interesse der Arbeitnehmenden in der Schweiz.
Für die Arbeitnehmenden wäre die Situation noch explosiver, weil mit dem Wegfall der Personenfreizügigkeit auch der Schutz der Löhne und Arbeitsbedingungen hinfällig würde. Die flankierenden Massnahmen garantieren, dass in der Schweiz Schweizer Löhne bezahlt werden und Schweizer Arbeitsbedingungen gelten. Mit der Stellenmeldepflicht müssen Unternehmen offene Stellen in Branchen mit hoher Arbeitslosigkeit melden, damit inländische Stellensuchende während fünf Tagen eine Vorrang haben. Diese vom Parlament beschlossene Massnahmen, zusammen mit den Standortbestimmungen für Arbeitnehmende ab 40 Jahren und den vom Parlament in der Sommersession beschlossenen Überbrückungsleistungen für ältere Arbeitslose konnten zudem noch weitere Instrumente zur gerechteren Verteilung der Wohlstandsrendite eingeführt werden. Das zeigt: Die Schweiz kann souverän über eigenständige Lösungen für bestehende Probleme entscheiden. Es braucht aber Lösungen und nicht gleich die Kündigung der Personenfreizügigkeit (die SVP hat alle Massnahmen abgelehnt).
Mit den flankierenden Massnahmen wird der Schweizer Arbeitsmarkt so gut kontrolliert wie noch nie und diese Kontrollen werden laufend verbessert. Dass es sich dabei um äusserst effektive Instrumente zur Aufdeckung von Lohndumping handelt, hat der letzte Seco-Bericht einmal mehr aufgezeigt. Sie machen den Arbeitsmarkt transparenter und helfen damit mit, das Unterbieten von Löhnen und Arbeitsbedingungen zu verhindern. Wichtig zu erwähnen: Nicht nur die Arbeitsbedingungen der ausländischen Arbeitnehmenden werden kontrolliert, sondern auch jene von allen Arbeitnehmenden in der Schweiz. Auch das ist wichtig zu wissen: Die Initianten um die SVP wollen den Lohnschutz weg haben, das haben sie an einer Medienkonferenz im Januar 2018 bekräftigt. Deshalb Achtung: Ein Ja zur Kündigungsinitiative ist ein Nein zum Lohnschutz!
In Zukunft wird der Schutz der Löhne und Arbeitsbedingungen wichtiger denn je. Mit einem Nein zur Kündigungsinitiative kann gerade in den kommenden, schwierigeren wirtschaftlichen Zeiten, in welchen der Druck auf die Löhne und Arbeitsbedingungen steigen wird, dank den bewährten Kontrollen weiterhin wirksam gegen die Verwilderung der Arbeitsbedingungen vorgegangen werden.
Offenbar wollen die Initianten der Wirtschaft weiterhin das Recht geben im Ausland jene Arbeitnehmende zu rekrutieren, die sie wollen. Auf dem Arbeitsmarkt würde sich deshalb nichts ändern, auch wenn die SVP sich nun plötzlich für die älteren Arbeitnehmenden stark macht. Die SVP will aber den Familiennachzug für Arbeitnehmenden aus der EU verhindern. Die Arbeitnehmenden sollen also ihre Familien im Ursprungsland zurücklassen. Das ist eine familien- und arbeitnehmendenfeindliche Ansicht. Wer die Personenfreizügigkeit nicht will, lehnt die klaren Aufenthaltsrechte der aus der EU zugewanderten Mitbürger*innen und damit unserer Arbeitskolleg*innen, Nachbar*innen, Freund*innen, Vereins- und Gewerkschaftskolleg*innen ab. Ihre Ungleichbehandlung ist ungerecht und schwächt den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Man vergisst, dass auch fast eine halbe Million Schweizer*innen in der EU arbeitstätig sind.
Travail.Suisse lehnt deshalb die Kündigungsinitiative und die damit verbundene Opferung der flankierenden Massnahmen entschieden ab.
Zum ausführlichen Argumentarium von Travail.Suisse