Echter Schutz für Whistleblower gefragt, nicht nur pro forma
Die Entwicklung des Arbeitsmarktes und die sozioökonomische Lage erfordern einen echten Schutz von Whistleblowern. Das Recht muss sich an die Situation und die heutigen Herausforderungen anpassen, um Rechtssicherheit zu schaffen. Doch der aktuelle Entwurf zur Gesetzesrevision erfüllt diese Bedingung nicht und bringt weder den einzelnen Personen, der Wirtschaft noch in Bezug auf den sozialen Zusammenhalt irgendwelche Verbesserungen. Im Parlament hat die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates (RK-N) die Vorlage am 31. Januar 2020 zur Ablehnung empfohlen. Eine entsprechende Entscheidung des Nationalrates an seiner nächsten Session würde eine definitive und sinnvolle Ablehnung ermöglichen. Da er sein Ziel nicht erreicht, ist es ist besser, diesen Entwurf abzulehnen.
Der Arbeitsmarkt entwickelt sich weiter, insbesondere mit dem technischen Fortschritt infolge der Digitalisierung. Der Erhalt und die Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmenden müssen auch zu Anpassungen oder Klarstellungen im Bereich Rechtsschutz führen. Um Missbräuchen beim Arbeitnehmendenschutz vorzubeugen, müssen Entwicklungen im Bereich der Arbeitszeiten und -orte und bei der Arbeitsorganisation mit einer gewissen Wachsamkeit hinsichtlich der gesetzlichen und politischen Lage einhergehen. In diesem Zusammenhang stützt Travail.Suisse die Meinung, dass der aktuelle Entwurf zur Gesetzesrevision für Whistleblower sein Ziel verfehlt, ausreichenden Schutz zu gewährleisten.
Zu grosse Risiken und juristische Mängel
2015 hatte das Parlament eine Vereinfachung des ursprünglichen Entwurfs verlangt. Allerdings ist die aktuelle Vorlage noch immer zu komplex und schadet dem Verständnis der gesetzlichen Bedingungen, die für einen ausreichenden Schutz einzuhalten sind. Das Risiko einer Kündigung infolge einer Meldung von Unregelmässigkeiten ist nicht ausgeschlossen, und der Rechtsschutz bei missbräuchlichen Kündigungen bleibt in der Schweiz lückenhaft. Zudem besteht ein Risiko für psychologische Belästigung oder Mobbing – ebenfalls Damoklesschwerter ohne ausreichenden Rechtsschutz. In Anbetracht der zahlreichen Risiken für die potenziellen Whistleblower hat der vorliegende Entwurf eher einen abschreckenden und kontraproduktiven Effekt für die Menschen, die Wirtschaft und die Gesellschaft.
Die Kaskadenlösung, die eine Information der Öffentlichkeit nur unter sehr eingeschränkten Bedingungen zulässt, würde die Möglichkeiten der Arbeitnehmenden, sich bei einer Gewerkschaft zu informieren, beschneiden. Diese Hilfe ist aber essenziell, um die verschiedenen Auflagen und gewisse unbestimmte Rechtsbegriffe zu verstehen. Die Möglichkeit, eine Gewerkschaft beizuziehen und Hilfe zu bekommen, wird in diesem Entwurf erschwert. Wenn die Rolle der Gewerkschaften eingeschränkt wird, führt dies ausserdem zu einer Beeinträchtigung des Zugangs zum Rechtsweg, sofern die Arbeitnehmenden aus finanziellen oder anderen Gründen nicht von einem Anwalt vertreten werden können.
Besserer Schutz bedeutet nicht, Menschen abzuschrecken
Wägt man die Interessen des Whistleblowers, Unregelmässigkeiten zu melden, mit den Interessen des Arbeitgebers ab, neigt sich die Waage im Allgemeinen ganz klar zugunsten des Arbeitgebers. Tatsächlich riskiert der Arbeitnehmende seine Kündigung oder andere Strafmassnahmen. Doch die Möglichkeit, Unregelmässigkeiten zu melden, ist eine Massnahme im Interesse der Öffentlichkeit und darf folglich nicht durch restriktive Regeln erschwert werden. Es sei weiter daran erinnert, dass die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) der Schweiz empfohlen hatte, die Whistleblower besser zu schützen. Das kann nicht erreicht werden, indem ungenügende Gesetzesbestimmungen eingeführt werden, die Whistleblower abschrecken.
Travail.Suisse empfiehlt diese Vorlage zur Ablehnung. Denn es ist unter anderem notwendig, dass die anwendbaren Grundsätze und Verfahren in Bezug auf die Meldung verständlich sind und den betreffenden Personen eine gewisse Rechtssicherheit garantieren. Es ist im Hinblick auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und die IAO-Konventionen auch nicht im Interesse der Schweiz, diesen Gesetzesentwurf zu verabschieden, der nicht mit den internationalen Rechtsnormen kompatibel ist.
Negative Folgen eines unwirksamen Gesetzes
In einem sozialen und wirtschaftlichen Umfeld, wo die Nutzung digitaler Instrumente die Verbreitung von Informationen beschleunigt und deren Reichweite vergrössert, steht der Schutz der Interessen vieler Akteure auf dem Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft daher auf dem Spiel. Das Argument, dass viele Jahre lang an einem solchen Gesetzesentwurf gearbeitet worden sei, hat kein Gewicht in Anbetracht der berechtigten Interessen, die Whistleblower zu schützen, und der damit verbundenen gesetzlichen und politischen Verantwortung. Daher wäre die Verabschiedung eines unwirksamen Gesetzesentwurfs wie ein Eingeständnis, dass Whistleblower keinen besseren Schutz benötigen und die Gesellschaft entsprechend auch nicht.
Im Übrigen darf die Verabschiedung eines neuen Gesetzesentwurfs nicht die Tendenz unterstützen, den Arbeitnehmendenschutz schrittweise abzubauen. Diese Tendenz äusserst sich in verschiedenen Versuchen, die Arbeitszeiten und die Arbeitsorganisation immer weiter zu flexibilisieren.
Aus all diesen Gründen lehnt Travail.Suisse diesen Gesetzesentwurf ab und bittet den Nationalrat, es ihm gleichzutun. Die Erarbeitung eines Gesetzes zum Schutz der Whistleblower darf, unabhängig davon, wie viel Zeit dafür aufgewendet wird, nicht zulasten pragmatischer Überlegungen gehen, die ein wirksames Ergebnis ermöglichen.