Nach der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative am 9. Februar 2014 wurde viel über eine Anpassung der flankierenden Massnahmen (FlaM) zum Schutz der Löhne und Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmenden diskutiert. Über drei Jahre später und vor allem nach dem Entscheid des Parlamentes, die Initiative über eine Stellenmeldepflicht umzusetzen, ist es an der Zeit, für den Bereich der FlaM ein Fazit zu ziehen.
Weitgehend unbestritten war die Feststellung, dass die Angst vor einer Verschlechterung auf dem Arbeitsmarkt – sei es direkt durch Verdrängungseffekte und schlechtere Chancen bei der Stellenbesetzung, sei es durch mehr Druck auf die Arbeitsbedingungen oder eine stagnierende Lohnentwicklung – zur knappen Annahme der Masseneinwanderungsinitiative beigetragen hat. Ebenfalls unbestritten war die Interpretation, dass die Annahme der Initiative keinesfalls als generelles Votum gegen die Personenfreizügigkeit und damit gegen die bilateralen Verträge mit der Europäischen Union zu werten ist. Folglich hat sich auch das Parlament bei der Umsetzung dieser Initiative für den EU-kompatiblen Weg einer Stellenmeldepflicht entschieden. Für Travail.Suisse ist aber klar, dass nur eine kontinuierliche Verbesserung der flankierenden Massnahmen den Schutz der Löhne und Arbeitsbedingungen sicherstellen und damit die Zustimmung der Bevölkerung zur Personenfreizügigkeit nachhaltig aufrechterhalten kann.
Kleine Anpassungen von Selbstverständlichkeiten
Auf den 1. April dieses Jahres sind zwei Anpassungen im Bereich der FlaM in Kraft getreten. Einerseits wurde im Entsendegesetz eine Erhöhung der Sanktionen bei Verstössen gegen die minimalen Lohn- und Arbeitsbedingungen von 5000 auf 30‘000 Franken beschlossen. Aus Sicht von Travail.Suisse war dieser Schritt überfällig, um die präventive Wirkung der FlaM zu erhöhen. Andererseits wurde die gesetzliche Möglichkeit zur Verlängerung eines Normalarbeitsvertrages (NAV) geschaffen. Damit kann ein befristeter NAV mit verbindlichen Mindestlöhnen, welcher aufgrund wiederholter Unterbietungen der orts- und branchenüblichen Löhne erlassen wurde, verlängert werden, ohne dass nach dem Ende der Geltungsfrist wieder auf Lohnunterbietungen gewartet werden muss. Diese Änderung schliesst mehr eine Gesetzeslücke, als dass sie tatsächlich die FlaM verbessert, und ist damit eine Selbstverständlichkeit.
Ähnlich verhält es sich mit der geplanten Anpassung der Entsendeverordnung, für welche noch bis Ende Mai 2017 die Vernehmlassungsfrist läuft. Dabei soll die in der Verordnung festgeschriebene minimale Anzahl Kontrollen pro Jahr von heute 27‘000 auf neu 35‘000 erhöht werden. Was auf den ersten Blick wie eine fast 30-prozentige Erhöhung aussieht, muss auf den zweiten Blick stark relativiert werden. So haben nämlich im Jahr 2015 die paritätischen und tripartiten Kommissionen in der Schweiz knapp 45‘000 Kontrollen durchgeführt 1 . Mit der geplanten Verordnungsänderung wird sich folglich konkret nichts ändern, aber es ist doch ein klares Zeichen, dass die FlaM ein wichtiges und noch wichtiger werdendes Instrument zur Kontrolle des schweizerischen Arbeitsmarktes sind.
Zu starker Fokus auf Vollzugsoptimierungen
Im Rahmen der Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative wurde ausserdem der Fokus stark auf die Optimierung des Vollzugs der FlaM gelegt. Unter dem Namen Aktionsplan Vollzugsoptimierung wurden diverse Massnahmen beschlossen, welche primär eine weitere Professionalisierung und teilweise Vereinheitlichung der Arbeit der paritätischen und kantonalen tripartiten Kommissionen fördern. Im Zentrum stehen dabei die Verankerung einer risikobasierten Kontrollstrategie und die Schulung der Inspektoren und der Austausch unter den verschiedenen Kommissionen. Weiter wurden Mindeststandards für Kontrollen, Verständigungsverfahren und Verwaltungssanktionen festgelegt und es wurde beschlossen, Fristen für die Bearbeitungszeit der Dossiers einzuführen, was teilweise eine Erhöhung des Sitzungsrythmus der Kommissionen bedingt. Travail.Suisse begrüsst Optimierungen im Vollzug, insbesondere wenn sie zu einem einheitlicheren Prozess in den Kantonen führen, bedauert aber gleichzeitig, dass wegen der zu starken Fokussierung auf den Vollzug grundsätzliche Problembereiche im System der FlaM nicht angegangen worden sind.
Grundlegende Probleme ungelöst
Ein grundlegendes Problem ist der tiefe Anteil an Arbeitnehmenden, der in der Schweiz durch verbindliche Mindestlöhne geschützt wird. Mit einer Abdeckung durch einen Gesamtarbeitsvertrag (GAV) von 50 Prozent der Arbeitnehmenden liegt die Schweiz im europäischen Vergleich deutlich zurück. Es braucht dringend eine Erleichterung der Allgemeinverbindlicherklärung von GAV, um mehr Arbeitnehmende unter den Schutz eines GAV zu stellen. Nicht zuletzt fehlt ohne verbindlichen Mindestlohn eine klar bestimmbare Grenze für Lohndumping. Zwar gilt es, die orts- und branchenüblichen Löhne einzuhalten, was allerdings eine schwammige Grenze ist. So werden diese orts- und branchenüblichen Löhne in den Kantonen unterschiedlich ermittelt und zum Teil mit zusätzlichen Abschlägen oder willkürlichen Missbrauchsschwellen versehen. Dies erzeugt grosse Unterschiede zwischen den Kantonen und teilweise sehr tiefe Grenzen für Lohndumping, was die ganze Transparenz und Glaubwürdigkeit des FlaM-Systems untergräbt. Es braucht dringend einen nationalen Lohnrechner und vergleichbare Missbrauchsschwellen, um die Beurteilung von Lohnunterbietungen unterschiedslos vornehmen zu können und eine einheitlichere Anwendung des FlaM-Instrumentariums sicherzustellen. Es ist bezeichnend, dass die grosse Mehrheit der kantonalen Normalarbeitsverträge im Tessin und im Kanton Genf erlassen wurden und sonst lediglich noch die Kantone Wallis und Jura überhaupt NAV kennen. Die grosse Mehrheit der Kantone wendet also ein wichtiges Instrument der FlaM gar nicht erst an. Umso enttäuschender war der Entscheid der tripartiten Kommission des Kantons Zürich vom 2. März 2017, trotz gehäufter Lohnunterbietungen im Detailhandel und im Maschinenbau darauf zu verzichten, den Erlass eines NAV zu beantragen 2 .
Weiter ist das angedachte Projekt, GAV-Bescheinigungen einzuführen, möglichst rasch umzusetzen. Mit einer GAV-Bescheinigung könnte ein Unternehmen nachweisen, dass bei erfolgten Kontrollen keine Verstösse gegen die Lohn- und Arbeitsbedingungen festgestellt wurden. Gerade im öffentlichen Beschaffungswesen würde dies sicherstellen, dass Aufträge nur diejenigen Unternehmen erteilt werden, welche die Einhaltung der Lohn- und Arbeitsbedingungen belegen können. Die öffentliche Hand könnte so sicherstellen, nur mit Unternehmen zusammenzuarbeiten, die den Schutz ihrer Arbeitnehmenden garantieren.