Die staatspolitische Kommission des Nationalrates (SPK-N) hat vor einigen Tagen eine Lösung zur Umsetzung von Artikel 121a der Bundesverfassung präsentiert. Mit dem Verzicht auf Schutzklausel und Höchstzahlen und dem sogenannten „Inländervorrang light“ liegt jetzt erstmals eine Variante auf dem Tisch, die mit den bilateralen Verträgen kompatibel ist. Travail.Suisse, der unabhängige Dachverband der Arbeitnehmenden, begrüsst diese Weichenstellung, fordert jetzt aber griffige und konkrete binnenpolitische Massnahmen zum Schutz und zur Förderung der inländischen Arbeitskräfte.
Seit über zweieinhalb Jahren hängt die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative wie ein Damoklesschwert über der zukünftigen Beziehung zur Europäischen Union und der wirtschaftlichen Entwicklung der Schweiz. Der Bundesrat hat mit seinen Vorschlägen einer Schutzklausel, die notfalls auch eigenständig – also ohne Einigung mit der EU – eingeführt werden soll, keine zielführende Lösung präsentiert. Umso wichtiger war deshalb die Weichenstellung, welche die staatspolitische Kommission des Nationalrates am 2. September vorgenommen hat und über die in der laufenden Session im Nationalrat debattiert wird.
Gegen unilaterale Schutzklausel – für Massnahmen zugunsten
der inländischen Arbeitnehmenden
Der Kommissionsentwurf sieht ein dreistufiges Vorgehen vor: In einem ersten Schritt muss der Bundesrat Massnahmen für eine bessere Ausschöpfung des inländischen Arbeitskräftepotenzials aufgleisen. Weiter muss ein Schwellenwert für die Zuwanderung festgelegt werden, bei dessen Überschreiten als zweiter Schritt eine Meldepflicht von offenen Stellen an die regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) eingeführt werden kann. Kann mit den ersten beiden Stufen nicht die gewünschte Wirkung erzielt werden, so kann der Bundesrat als dritte Stufe sogenannte Abhilfemassnahmen beschliessen und in den gemischten Ausschuss des Freizügigkeitsabkommen einbringen. Diese dritte Stufe setzt also ein Einverständnis mit der Europäischen Union voraus.
Dieser Entwurf ist in erster Linie eine Absage an eine unilaterale Schutzklausel und damit eine Abkehr vom Irrweg des Bundesrates. Es ist in den letzten Monaten mehr als deutlich klar geworden, dass eine Einigkeit über eine Schutzklausel mit der EU nicht realistisch ist. Gleichzeitig hat die Rechts- und Planungsunsicherheit aufgrund der unklaren Zukunft der Beziehungen zur EU bereits Spuren hinterlassen – eine schleppende Wirtschaftsentwicklung und steigende Arbeitslosenzahlen. Travail.Suisse hat sich immer für den Erhalt der bilateralen Verträge mit der EU – notabene dem mit Abstand wichtigsten Wirtschafts- und Handelspartner der Schweiz – ausgesprochen.
Griffigere flankierende Massnahmen
Der Entwurf der SPK-N zur Umsetzung von Artikel 121a BV ist richtig, weil er von einer richtigen Analyse ausgeht. Die Zuwanderung in die Schweiz ist in erster Linie eine Zuwanderung in den Arbeitsmarkt. Die Stimmbevölkerung hat mit dem knappen Entscheid zugunsten der Masseneinwanderungsinitiative am 9.2.2014 zum Ausdruck gebracht, dass einerseits die Zuwanderung gesteuert (und so wohl gesenkt) werden soll, dass aber gleichzeitig das gesamtwirtschaftliche Interesse zu berücksichtigen sei. Keinesfalls darf dieses Votum als ein Entscheid gegen die bilateralen Verträge mit der EU interpretiert werden. Entscheidend wird folglich sein, dass die Wirtschaft davon abrückt, ihren Arbeitskräftebedarf vorschnell im Ausland zu decken. Dabei kommt den flankierenden Massnahmen (FlaM) zum freien Personenverkehr eine entscheidende Bedeutung zu. Nur mit den FlaM kann der Grundsatz, wonach in der Schweiz Schweizer Löhne und Arbeitsbedingungen gelten, durchgesetzt werden. Wird dieser Grundsatz eingehalten, so wird verhindert, dass sich Arbeitgeber mit billigen Arbeitskräften aus dem Ausland ökonomische Vorteile verschaffen können. Die FlaM funktionieren gut und dennoch sind Lohnunterbietungen und Verstösse gegen die Arbeitsbedingungen an der Tagesordnung. Für Travail.Suisse ist es daher eine politische Notwendigkeit, konstant an der Optimierung und Weiterentwicklung der flankierenden Massnahmen zu arbeiten, um die Zustimmung der Arbeitnehmenden zur Personenfreizügigkeit zu erhalten.
Konkrete Förderung des Inlandpotenzials
Weiter gilt es, das inländische Arbeitskräftepotenzial besser auszuschöpfen. Dies ist schon aufgrund der demografischen Entwicklung in den nächsten Jahren eine unabdingbare Aufgabe, gleichzeitig kann es helfen, die Zuwanderung auf das wirtschaftlich notwendige Mass zu senken. Hier könnte die Fachkräfteinitiative eine zentrale Rolle spielen, aber das erste nationale Spitzentreffen Fachkräfte Schweizvom 12.September 2016 hat leider einmal mehr deutlich gemacht, dass der Wille zur Förderung des Inlandspotenzials bei Arbeitgebern und Politik nur beschränkt vorhanden ist. Anstatt über konkrete Massnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie (wie etwa eine Betreuungszulage für pflegende Angehörige oder erschwingliche Tarife in der familienexternen Kinderbetreuung), zur Vereinfachung der Nachholbildung (wie z.B. über einen Abbau der finanziellen Hürden für die Arbeitnehmenden) oder zum Erhalt der Arbeitsmarktfähigkeit und Arbeitsmarktmobilität der älteren Arbeitnehmenden (wie z.B. über eine Weiterbildungsoffensive mit einem Sonderkredit) zu beschliessen, besteht die Fachkräfteinitiative weiterhin mehrheitlich in einem Zusammentragen bereits bestehender Massnahmen, mit kaum feststellbarer Wirkung. Auch nach dem ersten nationalen Spitzentreffen ist diese Initiative eher ein Marketinginstrument des WBF anstatt eines wirksamen Programms zur Förderung des Inlandspotenzials.
Es braucht eine verlässliche Politik
Mit dem Entwurf der SPK des Nationalrates liegt jetzt erstmals eine Umsetzung von Artikel 121a der Bundesverfassung auf dem Tisch, der mit den bilateralen Verträgen kompatibel ist. Es ist dies ein erster Schritt hin zu einer verlässlichen Politik. In der ersten Stufe muss der Bundesrat jetzt Massnahmen ergreifen, um eine bessere Ausschöpfung des inländischen Arbeitskräftepotenzials zu erreichen. Nur wenn die Freizügigkeitsrendite gerechter verteilt wird und die Chancen der Arbeitnehmenden auf dem Arbeitsmarkt intakt bleiben, kann die Zustimmung zur Personenfreizügigkeit erhalten werden. In den letzten Jahren hat sich die Vereinbarkeit von Beruf und Familie nur schleppend verbessert, die Arbeitsmarktfähigkeit und Arbeitsmarktmobilität der älteren Arbeitnehmenden hat gar abgenommen. Die Förderung der Nachholbildung für Personen ohne formalen Bildungsabschluss und die Unterstützung des Wiedereinstiegs nach der Familienpause werden nach wie vor stiefmütterlich behandelt und die zunehmenden Herausforderungen im Bereich Arbeit und Angehörigenpflege sowie die problematische Zunahme der Jugendlichen in der Sozialhilfe sind noch kaum auf dem politischen Radar angekommen. Aus Sicht von Travail.Suisse könnte die zweite Stufe, die Meldepflicht für offene Stellen beim RAV, vorweggenommen werden und sofort eingeführt werden. Ein solches System besteht bereits in diversen anderen europäischen Ländern und gerade die älteren Arbeitnehmenden, die nachweislich am meisten Probleme haben nach einem Stellenverlust wieder in den Arbeitsmarkt zurückzukehren, könnten von einem solchen System profitieren.
Eine verlässliche Politik darf ausserdem nicht weiter die Augen vor den Problemen auf dem Arbeitsmarkt verschliessen. Nur mit wirklichen Verbesserungen der FlaM im Bereich der Erleichterung der Allgemeinverbindlicherklärung von GAV’s, der Einführung eines Berufsregisters, in dem die Unternehmen die Einhaltung der Löhne und Arbeitsbedingungen nachweisen und belegen müssen oder wirksamen Massnahmen gegen die Probleme mit den Subunternehmerketten können Lohnunterbietungen und Verdrängungseffekte effektiv bekämpft werden und die Löhne und Arbeitsbedingungen in der Schweiz wirksam geschützt werden.