Der Wiedereinstieg ins Erwerbsleben ist ein langwieriger Prozess voller Tücken. Das gilt insbesondere für den Zugang zu spezifischen Schulungen. Theoretisch können Wiedereinstiegswillige die vom Arbeitslosenversicherungsgesetz vorgesehenen Massnahmen nutzen. Praktisch stehen diese Menschen jedoch im toten Winkel des Gesetzes. Eine von Nationalrat Jacques-André Maire, Vizepräsident von Travail.Suisse, eingereichte parlamentarische Initiative möchte diese Gesetzeslücke füllen. Sie wird diese Woche von der zuständigen Kommission behandelt.
Der Mangel an qualifizierten, motivierten und in die Schweizer Gesellschaft integrierten Arbeitskräften ist eine schmerzliche Realität. Die Gewerkschaftskreise, in letzter Zeit unterstützt von Wirtschafts- und Arbeitgeberkreisen, sind sich darin einig, dass die Unternehmen auf die in unserem Land verfügbaren Arbeitswilligen zurückgreifen können müssen. Ein Arbeitskräftepotenzial bieten Personen, die aus familiären Gründen mehr als vier Jahre lang dem Arbeitsmarkt ferngeblieben sind. In den meisten Fällen handelt es sich dabei um Frauen. Am 21. Januar dieses Jahres haben der Schweizerische Arbeitgeberverband und economiesuisse das Programm «Zukunft Arbeitsmarkt Schweiz» lanciert. Darin steht, dass man «das inländische Potenzial ausschöpfen» muss. Ins Visier genommen werden Ältere, Frauen, Jugendliche und Personen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen.
Das Projekt knüpft an die Bestrebungen der Regierung an, die bereits 2011 eine Initiative zur Bekämpfung des Mangels an qualifizierten Arbeitskräften, die so genannte «Fachkräfteinitiative FKI», lanciert hat. Im Ausgangsdokument des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements wurden fünf Bevölkerungskategorien als Arbeitskräftereservoirs ermittelt. Dazu gehören Personen, die wieder ins Erwerbsleben einsteigen möchten, sowie Eltern mit Erziehungsaufgaben, die sich vermehrt am Erwerbsleben beteiligen können sollten.
«Expérience ReProf» – von der Studie zur politischen Agenda
Bei Travail.Suisse ist das Problem des Wiedereinstiegs ins Erwerbsleben schon lange bekannt, namentlich dank der Kontakte mit den Beratungsstellen des Netzwerks www.plusplus.ch. Im Auftrag des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation SBFI hat Travail.Suisse von 2011 bis 2013 eine Studie durchgeführt, um in Erfahrung zu bringen, welche Bedürfnisse die Betroffenen haben und vor welchen Herausforderungen sie stehen 1 . Diese Studie hat gezeigt, dass es viele Wiedereinstiegswillige gibt: Die vorsichtigsten Schätzungen gehen von 13’500 Betroffenen pro Jahr aus. Diese verfügen oft über eine abgeschlossene Berufsausbildung auf Sekundarstufe II, die jedoch nach einem Unterbruch von durchschnittlich zehn Jahren nicht mehr auf dem neusten Stand ist. Sie haben berufliche Wissenslücken und sind auch nicht mehr auf dem Laufenden, wie man eine Arbeit sucht und seine Fähigkeiten ins rechte Licht rückt. Dafür legen Wiedereinstiegswillige eine ausserordentliche Motivation an den Tag. Gleichzeitig haben sie das Gefühl, nichts wert zu sein. Das mangelnde Selbstwertgefühl verstärkt sich dadurch, dass ihnen eine Vernetzung mit der Berufswelt und zu Beginn auch eine gewisse Flexibilität fehlt.
Wiedereinstiegswillige müssen über mehrere Monate begleitet werden sowie spezifisch auf sie zugeschnittene Schulungen absolvieren und die erworbenen Kenntnisse in Praktika anwenden können. Sie benötigen finanzielle Unterstützung für die Fortbildung und angemessene Rahmenbedingungen. Faktisch haben diese Personen insbesondere keinen Zugang zu den Leistungen der Arbeitslosenversicherung, obwohl das Gesetz sie explizit nennt. Mit der Revision des AVIG im Jahr 2011 wurde auch ihr Anspruch auf Taggelder von 12 auf 4 Monate gekürzt.
Nach einer breiten Streuung der Studienergebnisse arbeitete Travail.Suisse mit einem Dutzend Parlamentarierinnen und Parlamentariern zusammen, welche die Frage im Bundeshaus aufgegriffen haben. Die Thematik steht nun auf der politischen Agenda 2 .
Wenn die Arbeitslosenversicherung «das Pferd am Schwanz aufzäumt»
Wie das Bundesamt für Statistik in seiner Analyse auf Grundlage der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung 3 festgestellt hat, sind Frauen vor der Stellensuche häufiger erwerbslos als Männer (ca. 50% der weiblichen Arbeitslosen gemäss Definition ILO gegenüber 30% der männlichen). Ausserdem sucht eine Mehrheit der Frauen (6 von 10) eine Stelle, ohne sich beim einem Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum anzumelden. 39,5% der weiblichen Arbeitslosen gemäss ILO und 52,6% der männlichen sind bei einem RAV registriert.
Das AVIG anerkennt die Zielgruppe in seinen Artikeln 9b, 14 und 59d. Der erstgenannte Artikel definiert die Rahmenfrist im Falle von Erziehungszeiten: 4 Jahre, die bei einer weiteren Niederkunft um 2 Jahre verlängert werden. Innerhalb der Rahmenfrist wurde der Anspruch auf Taggelder auf 4 Monate gekürzt, was klar zu wenig ist, um wieder Fuss zu fassen. Artikel 14 befreit Personen in Ausbildung, Erkrankte, Verunfallte, Frauen im Mutterschaftsurlaub, Inhaftierte und Personen aus zerrütteten Familien (Trennung, Scheidung, Tod oder Invalidität des Ehegatten), sofern das Ereignis nicht mehr als ein Jahr zurückliegt, von der Erfüllung der Beitragszeit.
Artikel 59d sieht schliesslich finanzielle Leistungen in Form von arbeitsmarktlichen Massnahmen (kein Taggeld) für Personen vor, die weder die Voraussetzungen bezüglich Beitragszeit erfüllen noch davon befreit sind (Art. 14). Das Problem ist, dass RAV-Beraterinnen und -Berater bei der Gewährung der Massnahmen einen grossen Interpretationsspielraum haben, namentlich bezüglich Pflichten der stellensuchenden Person. Die verlangten Kriterien können von der Zielgruppe unmöglich erfüllt werden: Die Betroffenen müssen nicht nur vermittlungsfähig sein (Art. 15 AVIG), sondern auch jede zumutbare Arbeit unverzüglich annehmen (Art. 16 AVIG) und einen Nachweis für die Stellensuche erbringen (Art. 17 AVIG). Das nennt man «das Pferd am Schwanz aufzäumen»: Wie kann man von einer wiedereinstiegswilligen Person verlangen, einen Nachweis für die Stellensuche zu erbringen, wenn sie ganz am Anfang eines langwierigen, mehrere Monate dauernden Prozesses steht, bei dem sie zuerst ihr Selbstvertrauen aufbauen und ihr Wissen auf den neusten Stand bringen muss?
Wie die Statistiken belegen, sind Personen, die wegen Erziehungsaufgaben länger als 4 Jahre dem Arbeitsmarkt fernbleiben, faktisch vom Feld der Anspruchsberechtigten ausgeschlossen. Wiedereinstiegswillige befinden sich in einem toten Winkel des Gesetzes.
Parlamentarische Initiative Maire: die Gelegenheit, den Worten Taten folgen zu lassen
Nationalrat Jacques-André Maire, Vizepräsident von Travail.Suisse, hat im vergangenen Jahr eine parlamentarische Initiative 4 eingereicht, die diese Woche von der Eidgenössischen Kommission für Wirtschaft und Abgaben behandelt wird. Jacques-André Maire beantragt eine Ergänzung des Artikels, der die Personen mit Leistungsanspruch für Bildungsmassnahmen (arbeitsmarktliche Massnahmen oder AMM) aufführt. Der Vorteil einer Aufnahme der Wiedereinstiegswilligen in Artikel 60 liegt darin, dass sie für die Dauer der Bildungsmassnahme nicht vermittlungsfähig sein müssen.
Artikel 60 des Arbeitslosenversicherungsgesetzes führt derzeit zwei Gruppen von Personen auf: Versicherte, die an einer AMM oder einer Beschäftigungsmassnahme teilnehmen oder sich auf eine selbstständige Erwerbstätigkeit vorbereiten, und Personen, die unmittelbar von Arbeitslosigkeit bedroht sind. Nichts spricht dagegen, eine weitere Gruppe zu einzubeziehen, nämlich Personen, die nach einer Erziehungszeit von über 4 Jahren wieder ins Erwerbsleben einsteigen wollen.
• Das ist notwendig, damit Wiedereinstiegswillige finanzielle Unterstützung für auf sie zugeschnittene Schulungen erhalten und so wieder auf den Arbeitsmarkt zurückkehren können.
• Das ist notwendig, damit für sie nicht Kriterien gelten, die in ihrer besonderen Situation völlig unangemessen sind.
• Das ist notwendig, damit die Wirtschaft auf die Wiedereinstiegswilligen als gebildete, gut integrierte und hoch motivierte Arbeitskräfte zurückgreifen kann.
Die Mitglieder der Kommission für Wirtschaft und Abgaben haben Gelegenheit, den Worten Taten folgen zu lassen. Travail.Suisse hofft, dass sie umsichtig genug sind, um die parlamentarische Initiative von Jacques-André Maire anzunehmen.