Das Jahr 2015 wird ein Jahr der Jubiläen. Uri, Schwyz und Unterwalden haben 1315 am Morgarten eine Schlacht gewonnen und ihren Bund gestärkt. Die Niederlage von Marignano 1515 hat zu einer neuen „Aussenpolitik“ der alten Eidgenossenschaft geführt. Und 1815 haben die Grossmächte am Wiener Kongress die Eidgenossenschaft noch einmal als Staatenbund installiert. Das waren zwar alles wichtige Ereignisse, sie haben aber mit unserer heutigen Schweiz wenig zu tun. Fast alles, was uns wichtig ist, – Demokratie, Meinungsfreiheit, AHV, SBB, Schweizer Franken etc. – ist nur dank dem Bundesstaat von 1848 möglich geworden. Deshalb verdient diese Errungenschaft einen allgemeinen Feiertag.
Das Wissen um die eigene Geschichte, um gemeinsame Werte und um Ereignisse, die beispielsweise die heutige Ausdehnung und Zusammensetzung der Schweiz geprägt haben, ist wichtig. Deshalb ist es auch richtig, dass die Ereignisse von 1315, 1515 oder 1815 in der Schweiz gefeiert werden. Falsch wäre es hingegen, wenn wir über diesen Jubiläen die Grundlagen unserer heutigen Schweiz verkennen würden. Denn die Schweiz, die wir heute kennen und schätzen, diese Schweiz hat wenig mit den Urkantonen von 1315 oder mit dem Heer zu tun, das 1515 die Schlacht in Marignano verlor. Und sie ist auch nicht mit der Eidgenossenschaft vergleichbar, die 1815 am Wiener Kongress von Russland, Frankreich und Österreich-Ungarn ins Leben gerufen wurde. Das gilt ganz besonders aus der Perspektive der Arbeitnehmenden.
Die alte Eidgenossenschaft als Ständestaat
In der alten Eidgenossenschaft war die Herkunft entscheidend für politische Rechte und Wohlstand. Regiert haben die Patrizier, d.h. wohlhabende und regimentsfähige Familien, deren Söhne – Frauen spielten eh keine Rolle – im Militär, in der Politik, in der Kirche und in den Zünften sowie als Grossgrundbesitzer die wirtschaftlichen Pfründe und gesellschaftlich wichtigen Positionen unter sich ausmachten. Der Stand war wichtiger als jede Leistung. Das einfache Volk verdiente sich im besten Fall als Bauern und Handwerker ein einigermassen anständiges, im schlechteren Fall als Taglöhner oder Knecht ein miserables Leben. Viele junge Männer zogen in den Krieg für fremde Mächte, die dafür den regierenden Familien grosszügige Pensionen ausrichteten.
Von Luzern nach Zürich oder vom Land in die Stadt zu ziehen war nicht einfach so möglich, denn es gab keine Niederlassungsfreiheit. Einen eigenen Handwerksbetrieb zu gründen wurde durch mächtige Zünfte unterbunden. Vereine gründen, eine eigene Meinung vertreten oder gar eine Regierung wählen – alles entweder unmöglich oder den Mitgliedern von „mehrbesseren“ Familien vorbehalten.
Wenn wir Jubiläen der alten Eidgenossenschaft feiern, dann dürfen wir all das nicht vergessen und müssen uns bewusst sein, dass die Verhältnisse damals wenig mit dem zu tun haben, was uns heute an der Schweiz wichtig ist.
Der Bundesstaat von 1848 als Grundlage von Wohlstand und Freiheit
Erst die Bundesverfassung von 1848 hat die Grundlage dafür geschaffen, dass einfache Bürger und damit auch gewöhnliche Arbeitnehmende zu Wohlstand und Freiheit gekommen sind.
Erst das Jahr 1848 brachte Volksrechte und Demokratie, dank denen wir heute noch wählen und abstimmen dürfen (wenn auch noch nicht für die Frauen). Seit 1848 gelten die Niederlassungsfreiheit, die Gewerbefreiheit, die Vereinsfreiheit, die Religions- (mindestens für alle Menschen christlichen Glaubens) und Meinungsfreiheit. Alle politischen Organisationen, von links bis rechts, von den Gewerkschaften bis zur AUNS, sind nur dank 1848 möglich. Sogar die Schweizer Armee, lange Zeit Inbegriff des Schweizertums, hat erst mit der Verfassung von 1848 die bunten kantonalen Heerhaufen abgelöst.
Die Gründung des Bundesstaates ist ausserdem das Fundament unseres allgemeinen Wohlstands. Denn erst die Bundesverfassung brachte den Schweizer Franken als gemeinsame Währung, die Möglichkeit gemeinsamer „Werke“, also gesamtschweizerischer Infrastrukturen und Unternehmen wie Nationalstrassen, SBB, Post, etc., gemeinsamer Bildungsinstitutionen wie die ETH in Zürich und die EPFL in Lausanne und schaffte so die Möglichkeit für weitere gemeinsame Institutionen wie die Unfallversicherung, die Krankenversicherung oder die AHV, die später dazu gekommen sind. All das, was noch heute die Schweiz als starke Wirtschaft und soziale Gesellschaft ausmacht, all das wäre in der alten Eidgenossenschaft vor 1848 undenkbar gewesen.
Der 12. September als zusätzlicher Nationalfeiertag
Wir feiern in der Schweiz jährlich den 1. August in Erinnerung an die Entstehung der Urschweiz 1291. Das ist nicht falsch, weil dazumal erste Puzzleteile zusammengefügt wurden. In diesem Sinn sind auch die Jubiläumsfeiern zu Morgarten, Marignano und Wiener Kongress in diesem Jahr nicht falsch, weil da weitere Puzzleteile dazu gekommen sind. Die für die heutige, demokratische, wirtschaftlich starke und gleichzeitig soziale Schweiz entscheidenden Puzzleteile wurden aber 1848 angefügt.
Gerade aus Sicht der Arbeitnehmenden – aber auch aus Sicht aller liberalen und sozialen Kräfte in der Schweiz – wäre es deshalb mehr als gerechtfertigt, das Inkrafttreten der ersten Bundesverfassung am 12. September 1848 mit einem gemeinsamen Feiertag zu begehen. Das laufende Jubiläumsjahr muss dazu genutzt werden, diese Diskussion zu lancieren.