Travail.Suisse, der unabhängige Dachverband von 170’000 Arbeitnehmenden, ist besorgt. Um die schweizerischen Lohnbestimmungen zu umgehen, schicken viele ausländische Bauunternehmer ihre Angestellten als Scheinselbständige in die Schweiz. Diese Praktik ist gefährlich: Sie wirkt stark wettbewerbsverzerrend und kann das Lohngefüge der ganzen Branche untergraben. Travail.Suisse fordert deshalb griffige Massnahmen zur Bekämpfung der Scheinselbständigkeit, darunter die Möglichkeit eines sofortigen Arbeitsunterbruchs.
Im Jahr 2010 stieg die Zahl der meldepflichtigen Selbständigen weiter stark an auf rund 11’000 Personen. Dies bedeutet eine Verdoppelung im Vergleich zum Jahr 2005. Über die Hälfte der meldepflichtigen Selbständigerwerbenden sind im Baunebengewerbe tätig. Hauptproblem bei den Selbständigerwerbenden ist die wachsende Bedeutung des Phänomens Scheinselbständigkeit.
Scheinselbständige sind eine Gefahr für Wettbewerb und Lohngefüge
Scheinselbständigkeit entsteht, wenn ausländische Unternehmer ihre Arbeiter in die Schweiz schicken und sie drängen, sich als selbständig auszugeben. Die ausländischen Arbeitgeber umgehen damit die flankierenden Massnahmen und verschaffen sich unrechtmässige Vorteile. Sie bezahlen nicht die schweizerischen Löhne, können billiger offerieren und erhalten den Zuschlag für den Werkvertrag. Besonders betroffen von der Scheinselbständigkeit ist das Ausbaugewerbe, beispielsweise der Küchenbau oder das Plattenlegergewerbe. Die Scheinselbständigen führen einen Auftrag innert einem, zwei oder drei Tagen aus und verschwinden danach wieder über die Grenze. Diese Praktik ist brandgefährlich: Sie bewirkt ungleich lange Spiesse in der Branche, verzerrt den Wettbewerb und gefährdet das Lohngefüge der gesamten Branche. Dennoch: Das Konzept findet immer mehr Nachahmer, nicht zuletzt auch wegen der anhaltenden Frankenstärke.
Scheinselbständigkeit ist bisher schwierig zu ermitteln und zu sanktionieren
Für die Kontrolleure vor Ort ist es schwierig zu beweisen, ob es sich um einen echten Selbständigen oder um einen Scheinselbständigen handelt. Die Selbständigen haben oft keine offiziellen Dokumente bei sich, die ihre Selbständigkeit belegen. Wird Scheinselbständigkeit aufgedeckt, besteht das Problem, dass der ausländische Arbeitgeber nicht gefunden und somit nicht gegen Lohndumping vorgegangen werden kann. Bis heute fehlen griffige gesetzliche Bestimmungen, um Scheinselbständigkeit zu ermitteln und zu sanktionieren.
Es braucht eine griffige Gesetzesänderung inklusive Arbeitsunterbruch
Das soll nun geändert werden. Eine Arbeitsgruppe des Seco, in der auch Travail.Suisse vertreten ist, hat verschiedene Vorschläge ausgearbeitet. Diese wurden letzten Herbst vom Bundesrat in die Vernehmlassung geschickt.
Travail.Suisse ist einverstanden, dass jeder Selbständige neu drei Dokumente, die seine Selbständigkeit belegen, mit sich führen muss. Es handelt sich dabei um die Meldebestätigung, ein Sozialversicherungsdokument sowie die Kopie des Werkvertrags.
Travail.Suisse fordert zudem eine Beweislastumkehr. Solange die Dokumente nicht vorliegen, gilt die Person als angestellt. Dazu will Travail.Suisse die Möglichkeit einführen, die betreffende Person sofort vom Arbeitsort wegzuweisen. Wenn die Arbeiten gestoppt werden und alles liegen bleibt, erhöht sich der Druck auf den ausländischen Arbeitgeber des Scheinselbständigen. Ein sofortiger Arbeitsunterbruch eliminiert auch das Risiko, dass die betreffende Person die Dokumente nicht nachliefert, ihren Arbeitsauftrag trotzdem erfüllt und ungeschoren wieder ausreist.
Von der Scheinselbständigkeit profitiert nur der ausländische Arbeitgeber. Alle anderen sind die Verlierer: der ausländische Arbeiter, der nicht den Lohn bezieht, der ihm in der Schweiz zusteht, wie auch alle anderen Arbeitgeber, die sich an die flankierenden Massnahmen halten. Gelingt es nicht, die Scheinselbständigkeit in den Griff zu bekommen und zu sanktionieren, muss schweizweit die Solidarhaftung zwischen Erst- und Subunternehmungen eingeführt werden.