Kommission will weitgehende Flexibilisierung des Arbeitsgesetzes
Die Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Ständerats (WAK-S) hat gestern die parlamentarische Initiative Graber trotz laufender Verhandlungen der Sozialpartner wieder aufgenommen. Sie sieht weitgehende Liberalisierungen der Arbeitsbedingungen für leitende Arbeitnehmende und FachspezialistInnen aus bestimmten Dienstleistungsbereichen vor. Travail.Suisse, der unabhängige Dachverband der Arbeitnehmenden, kritisiert das Vorgehen der Kommission, wird sich aber weiterhin für konstruktive Lösungen auf dem Verordnungsweg einsetzen. Arbeitnehmerfeindlichen Gesetzesanpassungen wird sich Travail.Suisse hingegen vehement entgegenstellen.
Die WAK-S hat gestern die Arbeit an der parlamentarischen Initiative Graber (siehe Kasten) wieder aufgenommen, obschon die nationalen Sozialpartner mitten in den Verhandlungen für eine konstruktive Lösung auf Verordnungsebene stehen. «Das Vorgehen der Kommission überrascht und befremdet uns. Die Sozialpartner befassten sich im Auftrag von Parlament und Bundesrat intensiv mit der Lösungssuche. Der Entscheid der Kommission ist deshalb unverständlich und erfolgt ohne jeden zeitlichen Druck», so Adrian Wüthrich, Präsident von Travail.Suisse.
Die parlamentarische Initiative Graber würde nach dem gestrigen Entscheid einen Teil der Arbeitnehmenden aus bestimmten Dienstleistungsbereichen von den Regelungen des Arbeitsgesetzes ausnehmen. Die Folgen wären massive Verschlechterungen im Bereich der wöchentlichen Höchstarbeitszeit, der Sonntags- und Nachtarbeit und der Ruhezeit (siehe Kasten). «Travail.Suisse wird sich diesen sehr grundsätzlichen Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen entgegenstellen», sagt Thomas Bauer, Leiter Wirtschaftspolitik bei Travail.Suisse. «Mit dem Argument, das Arbeitsgesetz sei aus dem Industriezeitalter und deshalb veraltet, strebt eine Mehrheit der Kommission offenbar eine Rückkehr zu den Arbeitsbedingungen vor der Fabrikgesetzgebung an. Arbeit braucht Grenzen und sie muss planbar sein, das gilt erst recht in einer digitalisierten Arbeitswelt», hält Bauer fest.
Die parlamentarische Initiative Graber (16.414) – Teilflexibilisierung des Arbeitsgesetzes und Erhalt bewährter Arbeitszeitmodelle
Die parlamentarische Initiative sieht für leitende Arbeitnehmende und FachspezialistInnen aus dem Dienstleistungsbereich weitgehende Liberalisierungen im Rahmen eines Jahresarbeitszeitmodells vor. Die wöchentliche Höchstarbeitszeit würde aufgehoben, die Ruhezeit eingeschränkt, das Verbot von Nach- und Sonntagsarbeit aufgehoben und es müsste keine Rücksicht mehr auf Familienpflichten bei der Festsetzung der Arbeits- und Ruhezeiten genommen werden. Die Kommission hat nun im Rahmen der Diskussionen rund um die parlamentarische Initiative entschieden, leitende Arbeitnehmende und Fachspezialisten aus der Informatik, der Wirtschaftsprüfung, der Beratung und der Treuhand ganz von den Bestimmungen des Arbeitsgesetzes auszunehmen. Damit würden die entsprechenden Einschränkungen, beispielsweise zur Ruhezeit oder der Nacht- und Sonntagsarbeit für sie gänzlich wegfallen.
Die parlamentarische Initiative wurde in den Jahren 2016 bzw. 2017 von den Kommissionen beider Räte gutgeheissen. Unter anderem aufgrund des fehlenden Einbezugs der Sozialpartner wurde die Frist zur Behandlung aber verlängert. Die Sozialpartner wurden beauftragt, an Stelle einer Gesetzesänderung einen Verordnungsentwurf zu erarbeiten, der die spezifischen Bedürfnisse einzelner Branchen berücksichtig. Die Entscheidung der Kommission erfolgt deshalb sehr überraschend, da die konstruktiven Verhandlungen zwischen den Sozialpartnern noch nicht abgeschlossen waren. Die Sozialpartner haben entschieden ihre Gespräche für eine konstruktive Lösung auf dem Verordnungsweg weiterzuführen.