Für ein Ja zur Pflegeinitiative
Man kann es drehen und wenden wie man will, wer eine gute Pflege fördern und dem Fachkräftemangel entgegenwirken will, muss Ja sagen zur Pflegeinitiative. Studien zeigen deutlich: Werden die Arbeitsbedingungen in der Pflege nicht verbessert, verlassen gut ausgebildete und im Grundsatz hochmotivierte Pflegende ihren Beruf. Das können und dürfen wir uns nicht leisten.
Der Fachkräftemangel im Gesundheitswesen wird von kaum jemandem bestritten. Entsprechende Untersuchungen weisen auf einen hohen und wachsenden Fachkräftebedarf hin (1). Um dieser Problematik zu begegnen, werden normalerweise folgende zwei Massnahmen gefordert: mehr Ausbilden und mehr Zuwanderung. Dies ist eine überaus kurzsichtige Lösung, denn der Fachkräftemangel im Gesundheitswesen gründet im Wesentlichen auf den schlechten Arbeitsbedingungen und den dadurch bedingten Berufsausstiegen.
Hohe und frühe Berufsausstiege in der Pflege
Das Schweizerische Gesundheitsobservatorium (Obsan) hat die Berufsausstiege in der Pflegebranche detailliert untersucht (2). Die Resultate zeigen, dass 43% der Pflegefachpersonen ihren Beruf im Laufe ihres Arbeitslebens verlassen. Damit liegen die Werte deutlich über denjenigen der meisten anderen Gesundheitsberufe. Pflegende beenden überdurchschnittlich häufig ihre Erwerbstätigkeit, sie wechseln häufiger als andere den Beruf und deutlich häufiger die Branche. Auffällig in der Pflege ist vor allem auch, dass diese Berufswechsel bereits in jungen Jahren erfolgen. 32% der Pflegefachpersonen unter 35 Jahren verlassen ihren Beruf. Dies zeigt, es werden zu viele Pflegerinnen und Pfleger ausgebildet, welche ihren Beruf nach relativ kurzer Zeit wieder verlassen. Massnahmen zur Bekämpfung des Fachkräftemangels in der Pflege dürfen sich deshalb nie nur auf die Ausbildung von mehr Pflegenden konzentrieren. Sie müssen immer auch das Ziel verfolgen, dass weniger Pflegende ihren Beruf verlassen. Dies ist nicht nur eine ökonomische Frage, sondern vor allem auch eine Frage des Respekts.
Mögliche Gründe für den Berufsausstieg – Belastung, Löhne, Vereinbarkeit
Die Zürcher Fachhochschule (ZHAW) hat für ihre Langzeitstudie (3) Pflegende und Pflegefachpersonen bis sechs Jahre nach ihrem Berufsabschluss begleitet. Die Erkenntnisse sind für das gesamte Gesundheitswesen erhellend. Pflegende weisen eine sehr starke Bindung an ihren Beruf auf. 90% der Befragten wollen auch in den kommenden 10 Jahren im Beruf bleiben, sofern sich die Arbeitsbedingungen verbessern. Die Studie stellt des Weiteren fest, dass sich mehr als die Hälfte der befragten Pflegefachpersonen wegen Belastungen bei der Arbeit häufig müde und angespannt fühlt. Fast die Hälfte der Befragten gibt zudem an, dass die Arbeit ihre Gesundheit belastet. Dies wird auch als wichtiger Grund für eine Teilzeitarbeit genannt. Die Arbeitszeit wird also auf eigene Kosten wegen der hohen Arbeitsbelastung reduziert. Die selbsteingeschätzte Gesundheit der jungen Pflegefachpersonen ist zwar grundsätzlich gut, liegt aber deutlich unter dem Durchschnitt aller 25-35-Jährigen. Unzufriedenheit herrscht bei 87% der Befragten auch bei den Löhnen. Dies, obwohl der Lohn verglichen mit anderen Berufen einen eher geringen Stellenwert einnimmt bei den Pflegenden. Zudem ist für 72% der Befragten eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf Voraussetzung dafür, dass sie im Beruf verbleiben. Zusammenfassend können die Gründe für die Unzufriedenheit im Beruf und damit für den Berufsausstieg auf drei wesentliche Faktoren zurückgeführt werden: zu hohe Belastung, zu geringe Löhne und ungenügende Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Das fordert die Pflegeinitiative
Die Initiative für eine starke Pflege verfolgt drei Ziele: erstens sollen genügend Pflegefachpersonen ausgebildet, zweitens soll die Qualität der Pflege gesichert und drittens sollen gute Arbeitsbedingungen geschaffen werden. Um diese Ziele zu erreichen, sollen in der Verfassung zwei Grundsätze festgehalten werden: Erstens sollen Bund und Kantone die Pflege als wichtigen Bestandteil der Gesundheitsversorgung anerkennen und fördern. Zweitens sollen sie sicherstellen, dass eine ausreichende Anzahl an diplomierten Pflegefachpersonen ausgebildet und entsprechend ihren Ausbildungen und Kompetenzen eingesetzt werden. Diese beiden Grundsätze werden in den Übergangsbestimmungen konkretisiert. Sie sehen vor, dass der Bund Bestimmungen erlässt für erweiterte Kompetenzen des Pflegepersonals, gute Löhne in der Pflege, anforderungsgerechte Arbeitsbedingungen und bessere Möglichkeiten zur beruflichen Entwicklung der Pflegefachkräfte. Zudem soll der Bundesrat innerhalb von 18 Monaten nach Annahme der Initiative wirksame Massnahmen zum Mangel an diplomierten Pflegefachpersonen ergreifen.
Ungenügender Gegenvorschlag
Das Parlament stellt der Pflegeinitiative einen indirekten Gegenvorschlag entgegen. Er wird umgesetzt, wenn die Initiative scheitert. Dieser sieht vor, die Ausbildungstätigkeit zu intensivieren, damit die Abschlüsse diplomierter Pflegefachkräfte erhöht werden können. Dafür wollen Bund und Kantone über acht Jahre rund acht Milliarden Schweizer Franken investieren. Keine Verbesserungen bringt der Gegenvorschlag hingegen bei den Arbeitsbedingungen. Und genau hier zeigt sich, dass das Parlament ein entscheidendes Problem der Pflegenden nicht erfasst hat: Ohne eine Reduktion der Arbeitsbelastung, bessere Löhne und eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, ist dem in vielerlei Hinsicht selbstverschuldeten Fachkräftemangel bei den Pflegefachkräften nicht beizukommen. Dieses Problem kann nur mit Pflegeinitiative selbst entschärft werden.
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Quellen
(1) Zum Beispiel: Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco): „Fachkräftemangel in der Schweiz – Indikatorensystem zur Beurteilung der Fachkräftenachfrage“, Bern.
(2) Lobsiger, M. und Liechti, D. (2021): „Berufsaustritte und Bestand von Gesundheitspersonal in der Schweiz. Eine Analyse auf Basis der Strukturerhebungen 2016–2018“, (Obsan Bericht 01/2021), Neuchâtel: Schweizerisches Gesundheitsobservatorium.
(3) Schaffert R. (Hrsg.) (2021): „Berufskarrieren Pflege – Resultate einer Längsschnittstudie zum berufsausstieg von diplomierten Pflegenden und Erkenntnissen aus einem kombinierten Datensatz zu diplomierten Pflegenden und Fachfrauen(Fachmännern Gesundheit“, Oktober 2021, Zürich.