Hohe – teilweise einseitige – Flexibilität auf dem Schweizer Arbeitsmarkt
Neue Zahlen des Bundesamts für Statistik zeigen: Die Flexibilität der Arbeitnehmenden in der Schweiz ist im europäischen Vergleich sehr gross. Und während der Covid-19-Pandemie hat die Verbreitung von Homeoffice stark zugenommen. Beides deckt sich mit den Ergebnissen des «Barometer Gute Arbeit» und hat sowohl positive wie negative Auswirkungen auf die Arbeitnehmenden.
Die Schweizerische Arbeitskräfteerhebung des Bundesamtes für Statistik (BfS) (1) zeigt es einmal mehr: die Arbeitszeiten in der Schweiz sind bereits sehr flexibel. Dies ist für die Arbeitnehmenden mit positiven wie negativen Auswirkungen verbunden. Einerseits hat ein grösserer Teil der Arbeitnehmenden zumindest einen gewissen Einfluss auf Beginn und Ende ihres Arbeitstages. Während die Arbeitszeiten europaweit für 60.1 Prozent der Arbeitnehmenden vollständig vorgegeben sind, trifft dies in der Schweiz nur auf 49.2 Prozent zu. Auch die Möglichkeiten, sich spontan ein oder zwei Stunden frei zu nehmen, ist für Arbeitnehmende in der Schweiz verbreiteter möglich als im EU-Durchschnitt (39.8 Prozent gegenüber 34.9 Prozent). Ein ähnliches Bild zeigt sich auch für die Möglichkeit einer spontanen Abwesenheit von einem oder zwei Tagen (24.1 Prozent gegenüber 20.0 Prozent). Damit fördert die Flexibilität auf dem Schweizerischen Arbeitsmarkt die Selbstbestimmung der Arbeitnehmenden – schränkt sie aber andererseits auch weiter ein. So wird bei über der Hälfte (52.2 Prozent) der Arbeitnehmenden regelmässig eine Anpassung der Arbeitszeiten verlangt, während dies in Europa nur bei 40.2 Prozent der Arbeitnehmenden der Fall ist. Auch in der Freizeit für die Arbeit verfügbar zu sein, kommt in der Schweiz deutlich häufiger vor als im europäischen Umfeld (26.6 Prozent gegenüber 18.2 Prozent).
Diese Ergebnisse decken sich gut mit den Ergebnissen des «Fokus Arbeitszeiten» aus dem «Barometer Gute Arbeit» (2) von Travail.Suisse und der Berner Fachhochschule. Die Verbreitung der Überstunden bestätigt das Bild der hohen arbeitszeitlichen Flexibilität auf dem schweizerischen Arbeitsmarkt. So gehören für fast 90 Prozent der Arbeitnehmenden Überstunden zur Arbeitsrealität, beinahe die Hälfte (48.8 Prozent) leistet gar regelmässig (30.9 Prozent) bis sehr häufig (17.9 Prozent) Überstunden (vgl. Abbildung 1).
Dass diese Flexibilisierung teilweise einseitig zuungunsten der Arbeitnehmenden ausfällt, zeigt ein anderes Ergebnis aus dem «Barometer Gute Arbeit» – der Vorankündigungsfrist beim Ferienbezug.
Nur rund ein Viertel der Arbeitnehmenden kann seine Ferien kurzfristig beziehen, während über ein Drittel (38.1 Prozent) diese mehr als drei Monate, mehr als jeder Fünfte (21.7 Prozent) gar mehr als ein halbes Jahr im Voraus verbindlich festlegen muss (vgl. Abbildung 2).
Für Travail.Suisse ist klar, dass sich einseitige Flexibilisierungen der Arbeitszeiten zuungunsten der Arbeitnehmenden auswirken und insbesondere die Vereinbarkeit von Beruf, Angehörigenbetreuung, Privatleben, Weiterbildung und Milizarbeit extrem erschweren oder gar verunmöglichen. Travail.Suisse setzt sich daher auch in Zukunft für eine bessere Planbarkeit der Arbeitszeiten und mehr Hoheit der Arbeitnehmenden über ihre Arbeitszeiten ein.
Homeoffice während der COVID-19-Pandemie auf dem Vormarsch
Aber nicht nur die zeitliche Flexibilität ist in der Schweiz ausgesprochen hoch, auch die örtliche Flexibilität. Gerade während der COVID-19-Pandemie hat das Homeoffice sprunghaft zugenommen. Die Zahlen des BfS zeigen, dass noch vor der Pandemie nur knapp jede*r Vierte (24.6 Prozent) Arbeitnehmer*in regelmässig im Homeoffice gearbeitet hat, während dieser Wert im Jahresdurchschnitt 2020 auf 34.1 Prozent geklettert ist.
Das «Barometer Gute Arbeit» präsentierte in der Corona-Spezialbefragung (3) für den Zeitraum des ersten Lockdowns nochmals höhere Werte. Während für knapp die Hälfte (47.1%) der Arbeitnehmenden die Erbringung der Arbeitsleistung in Homeoffice nicht möglich ist, hat je rund ein Viertel der Arbeitnehmenden teilweise (24.3%) oder vollständig (23.9%) im Homeoffice gearbeitet (vgl. Abbildung 3).
Noch nicht berücksichtigt ist die momentane Lage mit der geltenden Homeoffice-Pflicht seit dem 18. Januar 2021. Es ist davon auszugehen, dass sich damit die Zahlen noch einmal erhöht haben dürften, es darf aber nicht vergessen werden, dass es grosse Bereiche des Arbeitswelt gibt, die gar nicht homeofficefähig sind – zu denken ist etwa an den Gesundheits- und Sozialbereich, die Bauwirtschaft oder auch das Reinigungsgewerbe.
Für die Arbeitnehmenden ist das Homeoffice ein zweischneidiges Schwert. Geschätzt werden neben dem Schutz vor einer Corona-Infektion auch der Wegfall des Arbeitsweges und die teilweise ruhigeren Bedingungen am Heimarbeitsplatz. Bei den negativen Auswirkungen dominieren fehlende sozialen Kontakte, mangelhafte Ergonomie am Heimarbeitsplatz und das Verschwimmen der Grenzen zwischen Arbeitszeit und Freizeit, resp. die Zunahme der ständigen Erreichbarkeit.
Für Travail.Suisse ist klar, dass der Bereich des Homeoffice und dabei insbesondere der Schutz und die Rechte der Arbeitnehmenden noch nicht ausreichend geregelt sind. Zentral ist ausserdem die Frage der finanziellen Entschädigung der Arbeitnehmenden, wenn diese ihr Zuhause dem Arbeitgeber zur Verfügung stellen. Während der laufenden Pandemie, kann für das temporär damit zusammenhängende Homeoffice auf eine solche Entschädigung vorübergehend verzichtet werden-. Für Travail.Suisse ist aber klar, dass nach der Pandemie zwingend eine solche Entschädigung bei angeordnetem Homeoffice geschuldet wird.