Vor einigen Wochen hat das Bundesamt für Statistik eine Broschüre zur Qualität der Beschäftigung in der Schweiz herausgegeben. Dabei wird auf eine Vielzahl bestehender Quellen der öffentlichen Statistiken zurückgegriffen, um mit einer Auswahl an Indikatoren die Qualität der Beschäftigung in der Schweiz und deren Entwicklung in den letzten zehn Jahren zu beurteilen. Im Vergleich mit den Ergebnissen des «Barometer Gute Arbeit» von Travail.Suisse bestätigen sich einige Kernerkenntnisse. In beiden Untersuchungen lassen sich eine starke Verbreitung von Stress und psychosozialen Belastungen, eine Zunahme von unregelmässigen Arbeitszeiten sowie eine grosse Sorge um den Arbeitsplatz als Folge eines Verlustes von Arbeitsmarktfähigkeit und eingeschränkter Arbeitsplatzmobilität ausmachen.
In der Einleitung der Broschüre „Qualität der Beschäftigung in der Schweiz“ des BfS heisst es etwas salopp, dass sich mit den vorgestellten Indikatoren jede Leserin und jeder Leser ein eigenes Urteil über die Qualität der Beschäftigung machen kann. Hier setzt das «Barometer Gute Arbeit» an, das diesen Herbst von Travail.Suisse in Zusammenarbeit mit der Berner Fachhochschule BFH lanciert wurde. Das «Barometer Gute Arbeit» zeichnet auf der Basis einer repräsentativen Umfrage ein Bild der Arbeitsbedingungen in der Schweiz. Entscheidend ist, dass dabei nicht nur das Auftreten von bestimmten Arbeitssituationen erhoben wird, sondern immer auch, ob sich diese als negative Belastung auf die Arbeitnehmenden auswirkt. Die Bewertung erfolgt so durch die Arbeitnehmenden selbst, schliesslich sind sie die Hauptbetroffenen der Bedingungen, unter denen sie arbeiten.
Der Vergleich der Ergebnisse der Studie des BfS und des «Barometer Gute Arbeit» lässt einige interessante Erkenntnisse zu.
Psychosoziale Risiken sind stark ausgeprägt
Das BfS beginnt mit der erfreulichen Feststellung, dass sowohl Berufskrankheiten wie auch nicht-tödliche und tödliche Berufsunfälle im Vergleich zu 2004 deutlich abgenommen haben. Gleichzeitig finden sich aber sehr ausgeprägte psychosoziale Risiken. Insbesondere starker Zeitdruck, Arbeitsüberlastung und eine starke emotionale Belastung werden am häufigsten genannt. Dieser Befund bestätigt sich auch im «Barometer Gute Arbeit». So erhalten der Stress und die psychische Belastung die schlechtesten Werte in der gesamten Untersuchung. Es ist dies Ausdruck dafür, dass sich 40 Prozent der Arbeitnehmenden durch ihre Arbeit oft oder sehr häufig gestresst fühlen und rund ein Drittel der Arbeitnehmenden die Arbeit als eine psychische Belastung wahrnimmt. Besonders frappant ist der Zusammenhang zwischen der Häufigkeit von Stress und der davon ausgehenden negativen Belastungswirkung. Während Arbeitnehmende, welche oft oder sehr häufig mit Stress konfrontiert sind, diesen auch als starke oder eher starke negative Belastung wahrnehmen, stellt er für Arbeitnehmende, welche selten Stress erleben, auch eine deutlich geringere Belastung dar (vgl. Grafik 1).
Grafik 1: Zusammenhang zwischen Häufigkeit von Stress und negativer Belastungswirkung
Quelle: Travail.Suisse, “Barometer Gute Arbeit”
Die negativen Auswirkungen von Stress auf die Gesundheit sind erwiesen. In der Stressstudie 2010 des SECO wird nicht nur eine starke Zunahme von Stress in den letzten Jahren nachgewiesen, sondern es werden gleichzeitig die daraus entstehenden volkswirtschaftlichen Kosten auf 10 Milliarden Franken jährlich geschätzt.
Zeitliche Belastung ist hoch – Unregelmässige Arbeitszeiten nehmen zu
Im europäischen Vergleich sind die Wochenarbeitszeiten in der Schweiz überdurchschnittlich lang. In einer europaweiten Studie wird die Wochenarbeitszeit im Jahr 2010 in der Schweiz mit durchschnittlich 44.3 Stunden ausgewiesen, während das europäische Mittel bei 42.5 Stunden und in den direkten Nachbarländern der Schweiz noch einmal darunter liegt. Dass die zeitliche Belastung für die Arbeitnehmenden hoch ist, wird auch aus dem «Barometer Gute Arbeit» ersichtlich. Überstunden sind für 90 Prozent der Beschäftigten eine Realität. Mehr als die Hälfte gibt gar an, dass sie oft oder sehr häufig Überstunden leisten. Und mit 27 Prozent ist auch der Anteil der Arbeitnehmenden hoch, welche oft oder sehr oft überlange Arbeitstage (mehr als 10 Arbeitsstunden) absolvieren. Einen weiteren Aspekt der zeitlichen Belastung präsentiert das BfS in seinem Überblick über die Qualität der Beschäftigung in der Schweiz: den zunehmenden Zeitbedarf für den Arbeitsweg. Während im Jahr 2000 lediglich 17.8 Prozent der Arbeitnehmenden mehr als 30 Minuten für den Arbeitsweg benötigten, sind es 2013 bereits 31.9 Prozent. Auch sehr lange Arbeitswege (mehr als 60 Minuten) sind für immer mehr Arbeitnehmende eine Realität (vgl. Grafik 2).
Grafik 2: Veränderung der Dauer für den Arbeitsweg 2000-2013
Quelle: BfS, Qualität der Beschäftigung in der Schweiz; eigene Darstellung
Neben der effektiv geleisteten Arbeitszeit und der benötigten Zeit für den Weg zum Arbeitsplatz sind auch die Planbarkeit und Regelmässigkeit der Arbeitseinsätze für die Arbeitnehmenden zentral. In Bezug auf die Regelmässigkeit weist das BfS für 2014 eine Zunahme der Abendarbeit (von 16% auf 17.1%), der Nachtarbeit (von 4.7% auf 5%) und der Sonntagsarbeit (von 9.7% auf 10.6%) gegenüber 2004 aus. Lediglich bei der Samstagsarbeit zeigt sich eine Abnahme (von 21.5% auf 20.5%). Auch wenn diese atypischen Arbeitszeiten nicht zwingend unregelmässig sein müssen, stellen sie doch für die Arbeitnehmenden eine Erschwerung der Vereinbarkeit von Beruf, Familien- und Privatleben dar, resp. erschweren die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. Zur Planbarkeit sind keine verlässlichen Daten vorhanden. Während das BfS zwar zwischen 2004 und 2014 einen Rückgang der Arbeit auf Abruf (von 6.1% auf 4.8%) ausweist, sind Travail.Suisse aus dem gewerkschaftlichen Alltag vermehrt Klagen von Arbeitnehmenden bekannt, welche in geregelten Arbeitsverhältnissen zunehmend Probleme mit der Planbarkeit ihrer Arbeitszeiten haben. So sind kurzfristige Einsatzplanung, Wechsel der geplanten Einsätze und spontane Verkürzungen oder Verlängerungen der geplanten Einsätze im Gesundheitswesen, im Detailhandel und in den privaten Dienstleistungen zunehmend Teil des Arbeitsalltages.
Sorge um den Arbeitsplatz – Verlust der Arbeitsmarktfähigkeit
Aus Sicht der Arbeitnehmenden ist auch die Sicherung der Beschäftigung, resp. die Arbeitsmarktmobilität entscheidend für die Qualität der Beschäftigung. Das BfS erwähnt in seiner Broschüre, dass die überwiegende Mehrheit der Erwerbstätigen ihren Arbeitsplatz als gesichert beurteilt. Mit Blick auf die verwendeten Daten aus dem Jahr 2012 hätten 40 Prozent „gar keine und weitere 46.4 Prozent eher keine Angst, ihre aktuelle Stelle zu verlieren. Knapp die Hälfte der Befragten gaben an, bei einem eventuellen Stellenverlust sehr oder eher leicht eine gleichwertige Stelle wiederzufinden“. Diese Aussagen des Bundesamtes für Statistik müssen aufgrund der Ergebnisse des «Barometer Gute Arbeit» mit zwei Überlegungen ergänzt werden. Erstens zeigen zwar auch unsere Ergebnisse, dass nur eine Minderheit von 14 Prozent ihren Arbeitsplatz als unmittelbar bedroht sieht. Aber gleichzeitig zeigt sich, dass diese Situation für die Betroffenen eine grosse bis sehr grosse Belastung darstellt. Anders ausgedrückt: Fast jeder siebte Arbeitnehmende erfährt eine grosse negative Belastung aufgrund einer als unsicher empfundenen Arbeitsplatzsituation. Zweitens rechnet offensichtlich die Hälfte der Arbeitnehmenden mit Problemen beim Stellenwechsel. Dies deckt sich mit den Ergebnissen des «Barometer Gute Arbeit» von Travail.Suisse. Besonders deutlich wird die Einschränkung der Arbeitsmarktmobilität, wenn noch das Alter und der Bildungsstand mitberücksichtigt werden. So glauben über 60 Prozent der Personen mit einem Abschluss der obligatorischen Schule und gar zwei Drittel der 46- bis 64-jährigen kaum daran, bei Arbeitsplatzverlust wieder eine vergleichbare Stelle mit vergleichbarem Lohn zu finden (vgl. Grafik 3).
Grafik 3: Erwartete Schwierigkeiten beim Jobwechsel nach Alter und Bildungsstand
Quelle: Travail.Suisse, “Barometer Gute Arbeit”
_*«Barometer Gute Arbeit» von Travail.Suisse*
Das Barometer Gute Arbeit von Travail.Suisse zeichnet ein Bild der Arbeitsbedingungen in der Schweiz. Die Bewertung der Arbeitsbedingungen orientiert sich dabei an der Kernfrage nach einer guten Arbeit im Sinn von zukunftsfähiger Arbeit. Zukunftsfähige Arbeit muss die Gesundheit schützen, die Motivation erhalten und den Arbeitnehmenden eine gewisse Sicherheit vermitteln. Die Bewertung erfolgt durch die Arbeitnehmenden selbst und bildet so ein menschliches Mass für die Bewertung der Arbeit. Das Barometer ist so konzipiert, dass es durch regelmässige Wiederholung auch Veränderungen im Bereich der Arbeitsbedingungen in der Schweiz wahrzunehmen und abzubilden vermag._
Die Ergebnisse des Barometer Gute Arbeit finden sich unter:
www.travailsuisse.ch/themen/arbeit/barometer_gute_arbeit