Das Verbot der Sonntagsarbeit soll auf dem Verordnungsweg weiter ausgehöhlt werden: Das Staatssekretariat für Wirtschaft SECO hat in Erfüllung einer Motion aus dem Ständerat eine Anhörung zu einem Änderungsentwurf der Arbeitsgesetzverordnung 2 (ArGV 2) durchgeführt, mit dem die dauerhafte Öffnung von bestimmten Einkaufszentren an Sonntagen eingeführt werden soll. Nur wenige Monate nach dem Referendum über die Öffnungszeiten von Tankstellenshops folgt also bereits der nächste Angriff auf die Arbeitsbedingungen im Detailhandel. Travail.Suisse, der unabhängige Dachverband der Arbeitnehmenden, lehnt die weitere Ausdehnung der Sonntagsarbeit ab und fordert, dass der Arbeitnehmerschutz bei Sonntagsarbeit zwingend über einen sozialpartnerschaftlich ausgehandelten Gesamtarbeitsvertrag (GAV) sichergestellt werden muss.
Der Sinn und Zweck des Arbeitsgesetzes (ArG) ist der Schutz der Arbeitnehmenden. Ein grundlegendes Element dieses Schutzes ist das Verbot der Sonntagsarbeit. Nur ein gemeinsamer arbeitsfreier Tag für alle bringt die nötige Ruhe, damit sich die Arbeitnehmenden vom ständigen Druck in der Arbeitswelt erholen können. Neben dieser zentralen Bedeutung für den Arbeitnehmerschutz hat das Arbeitsverbot an Sonntagen aber auch eine wichtige gesellschaftliche und kulturelle Bedeutung. Ein intaktes Familien- und Sozialleben beruht auf gemeinsamer Freizeit. Nur ein vergleichbarer Wochenrhythmus mit einem freien Sonntag schafft den zeitlichen Raum für die aktive Pflege von Kontakten und Beziehungen. Auch kulturelle Veranstaltungen sowie Tätigkeiten und Anlässe von Vereinen konzentrieren sich oftmals aufs Wochenende und sind auf die gemeinsame Freizeit aller Beteiligten angewiesen.
Salamitaktik beim Sonntagsarbeitsverbot
Bereits heute bestehen etliche Ausnahmen vom Arbeitsverbot an Sonntagen – nicht zuletzt zugunsten des Tourismus. So dürfen etwa Läden in Tourismusgebieten, die mit Nahrungsmitteln und Souvenirs die alltäglichen Bedürfnisse der Touristen befriedigen, bereits heute an Sonntagen geöffnet werden. Der Tessiner Ständerat Fabio Abate fordert mit einer Motion eine Ausweitung der Sonntagsarbeit. Und das Staatssekretariat für Wirtschaft SECO präsentiert in Erfüllung dieses Vorstosses einen Änderungsvorschlag, der weit über die bisherigen Ausnahmeregelungen hinausgeht: So soll in einem eigentlichen Paradigmenwechsel das Shopping-Erlebnis neu als touristisches Bedürfnis per se gelten. Mit diesen geplanten Änderungen soll der Tourismus-Begriff erheblich erweitert und der Einkaufstourismus in die Reihe der Ausnahmen aufgenommen werden. Als Folge davon soll auch für gewisse Einkaufszentren die Möglichkeit geschaffen werden, an Sonntagen ihre Geschäfte zu öffnen.
Besonders stossend ist dabei, dass die Anpassungen auf dem Verordnungsweg vorgenommen werden sollen. Damit liegt der Entscheid allein beim Bundesrat. Parlament und Bevölkerung können sich nicht mehr dazu äussern. Da es sich bei den Ladenöffnungszeiten und der Ausweitung der Sonntagsarbeit um politisch höchst sensible Themen handelt, ist ein solches Vorgehen demokratietheoretisch fragwürdig. Auch juristisch wird die Zulässigkeit einer solch weitgehenden Änderung auf dem Verordnungsweg von einem Rechtsgutachten der Universität Neuenburg 1 in Frage gestellt. Die Autoren schlussfolgern darin: „…, dass die vorgesehene Änderung von Art. 25 ArGV 2 den Begriff des Tourismus erheblich erweitert und in diesem Sinne nicht mehr im Einklang mit den Bedürfnissen des Tourismus steht, wie er in Art. 27 Abs. 2 bst. C ArG konzipiert wurde. Der Begriff des Einkaufstourismus stellt eine starke oder besser gesagt eine grundlegende Ausdehnung des Tourismusbegriffs dar, die nicht einfach durch eine Anpassung von Art. 25 ArGV 2 erfolgen kann, sondern einer Änderung auf Gesetzesebene bedarf;…“.
Geplante Änderungen schaffen Abgrenzungsprobleme und Wettbewerbsverzerrungen
Als Voraussetzungsbedingungen für die Sonntagsarbeit in Einkaufszentren enthält der Änderungsentwurf drei kumulativ zu erfüllende Kriterien. Einerseits muss das Einkaufszentrum auf den Einkaufstourismus ausgerichtet sein. Das bedingt, dass das Warenangebot mehrheitlich aus Luxusgütern besteht und der Umsatz mehrheitlich mit internationaler Kundschaft erzielt wird. Andererseits muss das Einkaufszentrum in einem Fremdenverkehrsgebiet oder in einer Entfernung von maximal 10 Kilometern von der Schweizer Grenze liegen. Damit wird sofort klar: Es handelt sich bei diesem Änderungsvorschlag um einen massgeschneiderten Verordnungsentwurf für das Einkaufszentrum „FoxTown“ in Mendrisio. Es soll hier also eine schweizweite Lösung für einen Einzelfall eingeführt werden. Dies führt zu offensichtlichen Abgrenzungsproblemen und Wettbewerbsverzerrungen. Wie lässt sich die ungleiche Behandlung eines Einkaufszentrums und einer sich in der Nähe befindenden Einkaufsstrasse mit vergleichbaren Geschäften und vergleichbarem Warenangebot rechtfertigen? Und wie soll der Nachweis einer mehrheitlich internationalen Kundschaft erbracht werden? Führt man gleichzeitig auch eine Ausweispflicht für die Kundschaft ein?
Auch die Möglichkeit von Ausnahmen ausserhalb der Fremdenverkehrsgebiete in einer 10 Kilometer breiten Zone entlang der Grenze erscheint völlig willkürlich. Grosse Probleme und bürokratischen Hürden bei der Umsetzung sind vorprogrammiert, ebenso ist der Schrei nach gleich langen Spiessen für die verschiedenen Einkaufszentren und Geschäfte absehbar.
Arbeitnehmerschutz bleibt völlig auf der Strecke
Ein Gutachten der Universität St. Gallen 2 kommt zum Schluss: „Um die Ausnahmebestimmung nicht ihres Sinngehalts zu entleeren, sollte sie jedoch mittels einfach feststellbarer, objektiver Kriterien eng gefasst werden und den Arbeitnehmerschutz wahren“. Dies wird durch die folgende Forderung konkretisiert: „Zur Sicherstellung des Arbeitnehmerschutzes soll die Verpflichtung zum Abschluss eines GAV [Gesamtarbeitsvertrages] beitragen, womit über das blosse Erfordernis der Zustimmung der Arbeitnehmerseite hinausgegangen wird“. Es ist folglich nicht nachzuvollziehbar, warum der Änderungsentwurf des SECO keine Bestimmungen zum Arbeitnehmerschutz enthält.
Für Travail.Suisse ist klar, dass Ausnahmen vom Verbot der Sonntagsarbeit nur sehr zurückhaltend und nur mit einer Pflicht zu einer sozialpartnerschaftlichen Einigung auf einen Gesamtarbeitsvertrag möglich sein sollen. Nur so können die Interessen und der Schutz der Arbeitnehmenden wirklich gewährleistet werden.
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p(footnote). 1 Jean-Philippe Dunand/Pascal Mahon; Entwurf zur Änderung von Art. 25 ArGV 2 zum Arbeitsgesetz, s.16. 23.12.2013.
2 Thomas Geiser/Remo Wagner; Gutachten über die Neuregelung der Arbeitszeiten in Fremdenverkehrs-gebieten (Art. 25 ArGV 2) unter besonderer Berücksichtigung von FoxTown Factory Stores, Mendrisio, S.28. 26.8.2013.