Klatschen vom schönen Balkon aus darf nicht reichen: Mehr Anerkennung, höhere Löhne und verbesserte Arbeitsbedingungen für Berufe mit hohen Frauenanteilen
Die Coronakrise verändert im Moment das ganze Leben, wobei die Auswirkungen individuell geprägt sind. Je nach Vorerkrankungen oder Zugehörigkeit zu einer Risikokategorie (eigene oder derjenigen der nächsten Angehörigen) fällt die gesundheitliche Betroffenheit unterschiedlich aus. Ein mulmiges Gefühl aufgrund der vielen Unbekannten und die teilweise schockartige Furcht aufgrund der medialen Berichterstattung aus Krisen-Hotspots lassen aber kaum jemanden unberührt.
Auch die berufliche und wirtschaftliche Situation zeigt eine grosse Varianz: Während vom Lockdown direkt oder indirekt betroffene Selbständige oder Arbeitnehmende in Kurzarbeit mit finanziellen Engpässen und Existenzängsten konfrontiert sind, „geniessen“ andere Freiraum und Möglichkeiten des Homeoffice mit schönem Wetter und besonntem Arbeitsort auf Balkonen oder Garten.
Für Familienhaushalte aber war und ist der Aufruf zum Homeoffice in Kombination mit Kinderbetreuung und Homeschooling aufgrund der Schliessung von Schulen und Betreuungsmöglichkeiten und dem zusätzlichen Vermitteln von Bildungsinhalten im homeschooling die Quelle der eigentlichen Überlastung.
Droht ein Backlash in der Arbeitswelt?
Auch in der Arbeitswelt zeigen sich grössere Auswirkungen, die als – gelinde formuliert - wirtschaftliche Turbulenzen noch mindestens für die nächsten Monate nachhallen werden.
Bis zu den ersten vorsichtigen Öffnungsschritten nach dem Lockdown befanden sich rund ein Drittel der Arbeitnehmenden in der Schweiz in Kurzarbeit. Aus gewerkschaftlicher Perspektive ist es sicherlich begrüssenswert, dass die Instrumente zur Einkommenssicherung in der Coronakrise laufend ausgebaut werden. Dass auch Lernende, Arbeitnehmende auf Abruf oder mit befristeter Anstellung ins System der Kurzarbeit integriert und ein Corona-Erwerbsersatz für Selbständige und für angeordnete Quarantäne bei Arbeitnehmenden geschaffen wurde, schützt die Einkommen von besonders exponierten Gruppen des Arbeitsmarktes. Auch die Bereitstellung von grossen Geldsummen für Bürgschaften zugunsten der Liquidität krisenbetroffener Unternehmen, kann als Massnahme zur Verhinderung von unnötigen Konkursen und damit dem Erhalt und der Sicherung von Beschäftigung akzeptiert werden.
Gleichzeitig gehen trotz dieser Vielzahl von politischen Massnahmen zur Linderung der Krise zwei Bereiche vergessen, aus denen gerade für Frauen kurz- und mittelfristig negative Effekte entstehen: Einerseits werden damit weder Vereinbarkeitsprobleme noch Belastungssituationen von Familien adressiert. Obwohl es beispielsweise ein Leichtes wäre, bei Familienhaushalten den Teil des gemeinsamen Arbeitspensums, der 100 Prozent übersteigt, ebenfalls in das System der Corona-EO zu integrieren, wird darauf verzichtet. Lieber vertrauen die Verantwortlichen darauf, dass ein Grossteil der zusätzlichen unbezahlten Arbeit selbstverständlich durch die Frauen erledigt wird. Andererseits zeigt die Ignoranz des Bundesrates gegenüber den finanziellen und organisatorischen Problemen der Kindertagesstätten ganz klar, wo die politische Priorität liegt: Sicher nicht bei den so zentralen familienergänzenden Kinderbetreuungsstrukturen und einer gleichberechtigten Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern. Wer die Kinderbetreuung als Aufgabe des Service Public negiert, und damit Vereinbarkeit für Alle verunmöglicht, unterstützt kurz- und mittelfristig den Backlash in der Arbeitswelt, der nicht nur signalhaft, sondern leider viel zu konkret werden kann. So ist es wahrscheinlich, dass die Grosseltern aus medizinischer Sicht noch länger keine Kinderbetreuung leisten sollten und zusätzlich Homeoffice das Gebot der Stunde bleibt. Familien stehen dann vor der Wahl eine massive (Über-)Belastungssituation über längere Zeit zu tragen oder diese mit einem (teilweisen) Rückzuges eines Elternteiles – in der Regel wohl der Frauen – zu kompensieren.
Mit Applaus allein ist es nicht getan!
Frauen tragen eine grosse Last bei der Bewältigung der Coronakrise. Es zeigt sich gerade deutlich, wie wichtig die Tätigkeiten in Berufen mit typischerweise hohem Frauenanteil sind. Weder die Pflege und Betreuung in Spitälern und Betagtenheimen noch die Arbeit im Detailhandel sind im Homeoffice zu erbringen. Als Folge haben Frauen bei der Arbeit ein höheres Ansteckungsrisiko als Männer. Dies galt schon vor dem Coronavirus, ist durch diesen aber noch brisanter geworden. Es mag zwar stimmen, dass die Akzeptanz und die Anerkennung der durch Frauen in dieser Krise geleisteten Arbeit steigt - Stichwort Systemrelevanz. Und so ist schweizweiter Applaus zur Mittagszeit zwar eine schöne Geste, dieser bekommt mit Blick auf die nackten Zahlen allerdings einen beinahe zynischen Beigeschmack.
So belegt der Blick in die Lohnstatistiken: Während der Medianlohn 2018 in der Schweiz bei 6538 Franken pro Monat lag, verdienten Frauen im Gesundheits- und Sozialwesen mit 6190 Franken und erst recht im Detailhandel mit 4687 Franken deutlich unterdurchschnittlich. Kein Wunder also gehören diese beiden Branchen zusammen mit dem Grosshandel und dem Gastgewerbe im «Barometer Gute Arbeit» von Travail.Suisse zu den vier Branchen mit der grössten Einkommensunzufriedenheit. Eine Mehrheit dieser Arbeitnehmenden hält ihren Lohn mit Blick auf ihre Arbeitsleistung für nicht angemessen.
Es ist aber längst nicht nur der monetäre Bereich, in dem sich eine mangelnde Wertschätzung zeigt. Sie zieht sich quer durch alle im «Barometer Gute Arbeit» untersuchten Bereiche der Arbeitsbedingungen. So sind Arbeitnehmende aus den Branchen Gesundheits- und Sozialwesen und Detailhandel überdurchschnittlich oft mit körperlichen Belastungen konfrontiert. Auch der Einfluss auf die Arbeitszeiten wird als sehr begrenzt erlebt und die ungeregelten Arbeitszeiten verstärken die Problematik der Vereinbarkeit von Beruf, Privat- und Familienleben, Weiterbildung und Milizarbeit.
Der grösste Unterschied zwischen den erwähnten Branchen liegt im Bereich der Motivation und der Sinnhaftigkeit: Während Arbeitnehmenden aus dem Gesundheits-und Sozialwesen ihrer Arbeit eine Wichtigkeit für die Gesellschaft und folglich eine hohe Sinnhaftigkeit zusprechen, wird von Mitarbeitenden im Detailhandel auch dieser Bereich unterdurchschnittlich beurteilt.
Alles in Allem ist es zwar begrüssenswert, wenn Bundesrätin Simonetta Sommaruga öffentlich den Einsatz dieser Arbeitnehmenden in der Coronakrise lobt und auf bessere Löhne pocht, allerdings sollte dies über reguläre Lohnerhöhungen und nicht über eine Einmalzahlung in Form einer Coronaprämie erfolgen. Denn erstens zeigt die Lohnstrukturerhebung, dass jährliche Sonderzahlungen sehr stark nach Anstellungsgrad und Geschlecht variieren: Während an Männer durchschnittlich über 12‘000 Franken pro Jahr ausgerichtet werden, fällt die durchschnittliche Sonderzahlung für Frauen mit knapp 6000 Franken nicht einmal halb so hoch aus. Und zweitens sind Einmalzahlungen nicht rentenbildend und korrigieren so die Ungleichheit zum Zeitpunkt der Pensionierung auf keine Art und Weise.
Das Ziel muss folglich zwingend eine konstante Aufwertung dieser Berufszweige sein. Dies beinhaltet Investitionen in die Aus- und Weiterbildung, anständige Arbeitszeitregelungen, faire Arbeitsbedingungen sowie eine gerechte und kontinuierlich ansteigende Entlöhnung. Diese soll sich eben nicht auf eine Abgeltung der Leistung während der Coronakrise beschränken.