Flexibilität für wen? Eine Umfrage des Arbeitgeberverbands schafft Unklarheit
Das Forschungsinstitut Sotomo hat im Auftrag des Schweizerischen Arbeitgeberverbands versucht, die Einstellung der Arbeitnehmenden zur Flexibilität in der Arbeitswelt zu untersuchen. Das ist in weiten Teilen misslungen, weil der Begriff der «Flexibilität» politisch instrumentalisiert wird. Dabei gäbe es durchaus Möglichkeiten, die Diskussion zu versachlichen.
Das Forschungsinstitut Sotomo hat im Auftrag des Schweizerischen Arbeitgeberverbands Arbeitnehmende zu ihrer Einstellung zur Flexibilität in der Arbeitswelt befragt. (1) Das Resultat passt zum herbstlichen Wetter: viel Nebel, wenig Klarheit. Das erklärt sich hauptsächlich mit der Interessenlage des Auftraggebers, dem Schweizerischen Arbeitgeberverband, der kaum an einer sachlichen Diskussion interessiert zu sein scheint. Statt seine Interessen offen zu legen, versucht er, Arbeitnehmende mit einer Vernebelungstaktik für seine Interessen zu instrumentalisieren.
«Strategische Vernebelung» – Ergebnisse der Befragung lassen entscheidende Fragen offen
Die Vernebelung zeigt sich in der Umfrage beispielhaft anhand von drei Fragen:
- Auf die Frage, welches Arbeitszeitmodell sie gerne hätten, antworten 27% der Arbeitnehmenden, dass sie gerne vollständig flexible Arbeitszeiten hätten (Sotomo 2024, S.13). Was heisst das nun? Sollte der Chef die Arbeitnehmenden auch nachts und sonntags in den Betrieb aufbieten oder erreichen können oder sollen die Arbeitnehmenden am Mittwoch und Donnerstag etwas länger arbeiten können, damit sie am Freitag früher ins Wochenende gehen können? Dies lässt sich aus der Antwort nicht beurteilen, ist aber die entscheidende Frage. Die Antwort bleibt die Studie schuldig, weil der Auftraggeber schliesslich vor allem die nützliche Aussage, dass «Arbeitnehmende mehr Flexibilität wünschen» kauft.
- Auf die Frage, ob mehr Flexibilität oder Leitplanken bei der Arbeitszeit gewünscht werden, befürworten 33% der Befragten mehr Flexibilität (S. 24). Unbeantwortet bleibt auch hier die Frage, mehr Flexibilität für wen. Heisst das, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmenden mehr Souveränität und Gestaltungsspielraum bei der Arbeitszeit geben soll, oder dass er ohne Leitplanken künftig auch am Wochenende Angestellte aufbieten oder ihnen Arbeitsaufträge schicken darf? Auch hier bleibt die Studie im Nebel. Klar wird höchstens, dass die meisten Arbeitnehmenden hier keine Veränderung wollen.
- Auf die Frage, ob die Flexibilität der Arbeitszeit eher einen positiven oder negativen Einfluss auf das Stressniveau hat, geben 81% der Arbeitnehmenden an, dass dieser Einfluss positiv sei. Nur, welche Flexibilität ist damit gemeint? Klar ist, dass verschiedene Studien auch für die Schweiz klar zeigen, dass etwa atypische Arbeitszeiten, unregelmässige Arbeitszeiten oder lange Arbeitstage den Stress erhöhen. (2,3) Die Autoren wollen es aber aus gutem Grund nicht so genau wissen und stellen stattdessen unverblümt fest: «Arbeitnehmende [gehen] grossmehrheitlich davon aus, dass zusätzliche Flexibilität bei den Arbeitszeiten das Stressniveau senkt» (S.41f). Wiederum sprechen Befragte und Autoren aneinander vorbei. Der Auftraggeber dankt.
Dabei ist der Kern der Sache eigentlich gar nicht so kompliziert. Das Wort «Flexibilität» ist in vielerlei Hinsicht ungeeignet, um zu beschreiben, wie Arbeitnehmende arbeiten und wie sie arbeiten möchten. Das liegt vor allem daran, dass unklar bleibt, wem diese Flexibilität zugesprochen wird. Vereinfacht gesagt kann Flexibilität einerseits bedeuten, dass es den Chef oder die Chefin nicht interessiert, ob ich um 7 Uhr oder um 9 Uhr meine Arbeit beginne oder dass ich einen Teil meiner Arbeit im Homeoffice erledigen kann. Flexibilität kann andererseits aber genauso gut bedeuten, dass ich auch abends oder am Samstag arbeiten muss, wenn im Betrieb viel zu tun ist. Je nachdem dürfte die Flexibilität von Arbeitnehmenden unterschiedlich bewertet werden. Das Wort Flexibilität ohne nähere Umschreibung ist somit bestenfalls inhaltsleer. In der Befragung aber wird es instrumentalisiert.
Aussagekräftige Begriffe für mehr Klarheit
Statt von Flexibilität zu sprechen, sollten deshalb andere Begriffe verwendet werden, um Klarheit zu schaffen zu den echten Bedürfnissen der Arbeitnehmenden:
- Zeitliche Souveränität: Sie klärt, wann und in welchem Ausmass Arbeitnehmende selber über ihre Arbeitszeit bestimmen können. Gemäss der schweizerischen Arbeitskräfteerhebung war beispielsweise im Jahr 2023 für 52% der Arbeitnehmenden der Arbeitsbeginn und das Arbeitsende fest vorgegeben. Sie hatten somit keine Souveränität bei der Festlegung von Arbeitsbeginn und Arbeitsende. Zeitliche Souveränität ist vermutlich das, was die Mehrheit der befragten Arbeitnehmenden unter Flexibilität verstanden haben. Dies bleibt letztlich aber unklar.
- Planbarkeit: Sie legt fest, wie weit im Voraus die Arbeitnehmenden wissen, wann sie arbeiten müssen und wann nicht. Die Planbarkeit hat massiv an Bedeutung gewonnen, unter anderem weil heute die grosse Mehrheit der Eltern auch mit kleinen Kindern erwerbstätig ist. Der Anteil der erwerbstätigen Mütter mit Kindern zwischen 0 und 3 Jahren betrug gemäss schweizerischer Arbeitskräfteerhebung im Jahr 2023 79%, bei den erwerbstätigen Vätern 96%. Vor allem erwerbstätige Eltern haben deshalb ein hohes Bedürfnis, ihre Arbeitszeiten möglichst selbstbestimmt und vorausschauend planen zu können. Trotzdem ist es Arbeitgebern auch heute noch gesetzlich möglich, den Arbeitnehmenden ihre Arbeitspläne zwei Wochen oder noch weniger im Voraus bekannt zu geben.
- Gestaltungsfreiheit: Sie zeigt, über welche Aspekte der Arbeitszeit die Arbeitnehmenden selbst bestimmen können. Das kann beispielsweise der Beginn oder das Ende des Arbeitstages, der Zeitpunkt der Mittagspause oder auch der Ort des Arbeitsplatzes sein. Sie kann sich aber auch auf die Arbeitsabläufe beziehen, indem Arbeitnehmende selber festlegen können, welche Tätigkeit sie wann und wie ausführen. 2023 arbeiteten gemäss dem Barometer Gute Arbeit von Travail.Suisse und der Berner Fachhochschule 53% der Arbeitnehmenden nicht im Homeoffice, weil dies nicht möglich ist (44%) oder es der Arbeitgeber nicht erlaubt (9%). Ihre diesbezügliche Gestaltungsfreiheit war somit eingeschränkt. (4)
- Grenzen: Sie gelten unabhängig davon, ob eine Arbeit abgeschlossen ist oder nicht. In einer europaweiten Befragung von Arbeitnehmenden gaben in der Schweiz 36% der Arbeitnehmenden – und damit deutlich mehr als im europäischen Durchschnitt – an, dass sie auch in der Freizeit arbeiten müssen, damit sie die Arbeitsanforderungen erfüllen können. Die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit gilt für sie also nicht oder nur teilweise. (5)
- Mitwirkung: Sie zeigt, inwiefern die Arbeitnehmenden über die Arbeitszeitregelungen mitbestimmen können, etwa zu den Arbeitseinsätzen im Rahmen eines Arbeitsplanes und ob diese Mitwirkung individuell oder kollektiv erfolgt. Eine gemeinsame Mitbestimmung der Belegschaft kann dabei je nach Branchen und Betrieb von grosser Bedeutung sein.
Mit diesen Begriffen wird eine sachliche Diskussion aus Arbeitnehmendensicht möglich. Mit dem Begriff «Flexibilität» hingegen nicht.
Fazit: Versachlichung statt Nebel ist dringend notwendig
Vermutlich wünschen sich die Arbeitnehmenden, wenn man die Resultate der Befragung anschaut, tatsächlich mehr Flexibilität von ihren Arbeitgebern, um Arbeit und Privatleben besser vereinbaren und planen zu können. Nur ist dies vermutlich nicht die Schlussfolgerung, die die Arbeitgeberseite aus der Befragung zieht. Die Antworten aus der Befragung scheinen somit ziemlich flexibel interpretierbar zu sein. Befragungen von Arbeitnehmenden, unter anderem durch das gleiche Forschungsbüro Sotomo, zeigen zudem deutlich, dass etwa der Leistungsstress, Erschöpfungs- oder sogar Burnout-Erfahrungen bei Arbeitnehmenden stetig zunehmen. (6) Dies zeigt, dass bei den Arbeitsbedingungen durchaus Handlungsbedarf besteht. Dieser wird aber durch die Befragung der Arbeitnehmenden im Auftrag des Arbeitgeberverbandes geflissentlich ignoriert. Ehrlicher wäre es deshalb gewesen, wenn der Arbeitgeberverband nicht die Arbeitnehmenden, sondern die Arbeitgeber zu ihren Bedürfnissen befragt hätte. Damit hätte er zumindest Klarheit über die Interessenlage geschaffen.
Quellen
[1] Sotomo (2024): «Flexibilität in der Arbeitswelt», Bevölkerungsbefragung im Auftrag des Schweizerischen Arbeitgeberverbands», Oktober 2024, Zürich.
[2] Zum Beispiel: Tritschler N., A. Elfering, L. Meier: (2022): «Potenzielle Ursachen und Entwicklung von arbeitsbedingtem Stress, Befinden und Arbeitsbedingungen von Schweizer Erwerbstätigen. Literatur-, Querschnitts- und Längsschnittanalyse von 2005-2019», Studie im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco).
[3] Travail.Suisse (2023): «Stress und Erschöpfung bei Arbeitnehmenden – Ursachen, Folgen und Massnahmen für die Arbeitswelt», Bern Mai 2023.
[4] Travail.Suisse und Berner Fachhochschule (2023): «Barometer Gute Arbeit 2023»
[5] Staatsekretariat für Wirtschaft (2023): «Arbeitsbedingungen und Gesundheit in der Schweiz und Europa – ausgewählte Ergebnisse der europäischen Telefonerhebung über die Arbeitsbedingungen 2021»: Bern, S. 14.
[6] Forschungsstelle Sotomo (2024): «CSS Gesundheitsstudie 2024 – Wie geht es Ihnen?», Luzern.