Auf nationaler Ebene wird die Sozialpartnerschaft nicht gelebt. Die Spitzenverbände der Arbeitnehmenden und der Arbeitgebenden arbeiten in diversen Gremien auf nationaler Ebene zwar mit. Abseits von diesen institutionellen Kontakten hat sich jedoch keine sozialpartnerschaftliche Zusammenarbeit etabliert. Travail.Suisse, der unabhängige Dachverband der Arbeitnehmenden, ist bereit für solche Gespräche – wenn sie offen, ehrlich und konstruktiv geführt werden. Gemeinsam entwickelte Anliegen sind auf der politischen Ebene erfolgreicher – zum Wohl der Wirtschaft und zum Wohl der Arbeitnehmenden.
Die Sozialpartnerschaft wird gerne als die grosse Errungenschaft und als ein wichtiger Erfolgsfaktor für den Standort Schweiz gepriesen. In der Tat funktioniert der Dialog zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen in vielen Branchen und Unternehmen. Er ist geprägt vom gegenseitigen Respekt und dem gemeinsamen Verständnis, dass ein Miteinander besser ist als der Konflikt. Seit der Einführung der Personenfreizügigkeit 2002 und der damit verknüpften flankierenden Massnahmen stieg die Anzahl abgeschlossener GAV auf 602 und der unterstellten Arbeitnehmenden auf fast 2 Millionen (2014). Das ergibt einen GAV-Abdeckungsgrad von rund 48 Prozent. Als Dachverband überlässt Travail.Suisse den Abschluss von Gesamtarbeitsverträgen seinen Mitgliedsorganisationen. Das ist sogar in den Statuten festgehalten. Gemäss diesen pflegt Travail.Suisse neben der Interessenvertretung auch „den Dialog und die Zusammenarbeit mit den anderen Spitzenverbänden aus Politik und Wirtschaft sowie den Behörden“. Diese Aufgabe nimmt Travail.Suisse bei vielen Gelegenheiten wahr. So pflegen wir den Austausch mit verschiedensten Organisationen und arbeiten in vielen Gremien konstruktiv mit.
Dabei liegt der Hauptfokus in der Mitwirkung bei der Gesetzgebung und der Öffentlichkeitsarbeit auf nationaler Ebene. Das Zielpublikum sind also die Politikerinnen und Politiker und die Behörden auf eidgenössischer Ebene. Da vertreten wir die Interessen unserer Mitgliedsverbände und ihrer Mitglieder. Bei aller Wichtigkeit der Politik: Als Dachverband der Arbeitnehmenden wissen wir aber, dass es auch die Ebene der Sozialpartnerschaft gibt. Das heisst für Travail.Suisse: Dialog und Zusammenarbeit mit den drei anderen nationalen Spitzenverbänden: Mit dem Schweizerischen Arbeitgeberverband (SAV) und dem Schweizerischen Gewerbeverband (SGV) auf Arbeitgeberseite und dem Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB) auf der Arbeitnehmendenseite.
Die nationale Sozialpartnerschaft unter den vier Verbänden existiert jedoch praktisch nicht. Wenn wir uns an den Regeln der Sozialpartnerschaft orientieren, wie auf Branchen- oder Unternehmensebene, müssten regelmässig gemeinsame Themen besprochen und ein gegenseitiges Verständnis entwickelt werden. Die beiden Seiten müssten die aus ihrer Sicht vorhandenen Probleme aufzeigen und gemeinsame Lösungen suchen, welche beide Seiten unterstützen können. Liegt ein Lösungsweg auf dem Verhandlungstisch kann die Politik involviert werden. In den letzten Jahren kam es jedoch immer weniger zu Verhandlungslösungen unter den Sozialpartnern. Tiefpunkt der Beziehungen war die kategorische Ablehnung von Verbesserungen bei den Flankierenden Massnahmen auf Arbeitgeberseite Anfang 2016 zur Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative. Der Bundesrat musste dann Schiedsrichter spielen und einen Weg aufzeigen. Dabei hat gerade die Zustimmung zur Masseneinwanderungsinitiative gezeigt, dass eine gemeinsame Haltung der Sozialpartner in Fragen des Arbeitsmarkts zum Gedeihen des Arbeitsstandorts Schweiz wichtig wäre. Das Arbeitsgesetz wäre ein mögliches Gesprächsthema. Es ist doch besser die Sozialpartner schlagen der Politik etwas vor, als dass die Politik ohne ihr Mittun Gesetze erlässt (wie jetzt mit den angenommenen parlamentarischen Initiativen Graber und Keller-Sutter zu befürchten ist).
Auch bei den noch folgenden Abstimmungen über die bilateralen Verträge wird es von äusserster Wichtigkeit sein, dass sich die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen auf Lösungen verständigen können, welche Löhne und Arbeitsbedingungen in der Schweiz trotz der europapolitischen Öffnung schützen. Sonst ist eine Zustimmung zu den Bilateralen mehr als unsicher, was den Erfolg der Schweiz gefährden würde. Daneben gibt es weitere Themen, welche am Verhandlungstisch abseits der Öffentlichkeit diskutiert werden können. Das bedingt aber die Bereitschaft offen, ehrlich und konstruktiv auf gleicher Augenhöhe zu diskutieren mit dem Ziel die unterschiedlichen Interessen auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen und offene Konflikte einzudämmen. Dass dies in der heutigen Medienwelt weniger interessant ist, mag hinderlich sein. Ein Versuch wäre es allemal wert.