Der erfolgreiche Abstimmungskampf gegen die Durchsetzungsinitiative ist noch frisch im Gedächtnis. Doch obschon damit das heutige demokratische System und der Rechtsstaat erfolgreich verteitigt werden konnten, sind sie vor weiteren Bedrohungen leider nicht sicher. Travail.Suisse, der unabhängige Dachverband der Arbeitnehmenden, legt den Finger auf die Notwendigkeit, zu mobilisieren und zu informieren, um diejenigen Rechte zu sichern, die auch alle Arbeitnehmenden schützen.
Das Nein zur Durchsetzungsinitiative hat eines gezeigt: Das Schweizer Stimmvolk hat verstanden, dass die SVP-Initiative weit mehr war als Ausländerpolitik – sie hatte zum Ziel, Rechtsstaat und Demokratie massiv zu beschneiden. Dank einer starken Mobilisierung während der Kampagne konnte der Trend zu guter Letzt gewendet werden, der zuerst klar auf eine Annahme der antidemokratischen und für den Rechtsstaat verheerenden Vorlage hindeutete. Diese Erfahrung zeigt einerseits, wie wichtig die Mobilisierung der Bevölkerung ist, und andererseits, wie gross das Risiko inzwischen ist, dass bei der Annahme solcher Initiativen die demokratischen Rechte fortlaufend und zwangsläufig abgebaut werden. Zwar konnte die Durchsetzungsinitiative rechtzeitig abgewendet werden, doch bei der Masseneinwanderungsinitiative, die 2014 angenommen wurde und deren Umsetzung heute eine juristische und politische Knacknuss darstellt, war dies nicht der Fall. Seit über zwei Jahren destabilisiert die Unsicherheit über die künftigen Beziehungen der Schweiz zur Europäischen Union sowie über die Weiterführung der Freizügigkeitsabkommen (FZA) den Arbeitsmarkt und wirft zahlreiche weitere Fragen auf. Die Arbeitgeber wissen nicht mehr, zu welchen Bedingungen sie ausländisches Personal anstellen dürfen und ob sie langfristig in die Integration gering und hoch qualifizierter Arbeitskräfte in ihr Unternehmen investieren können. Die Folgen tangieren nicht nur die Ausländerinnen und Ausländer punkto sozialer Sicherheit und Beschäftigung sowie in Bezug auf die Beibehaltung des Lebensstandards im Allgemeinen, sondern die ganze Bevölkerung. Im Moment scheint sich ein kollektives Bewusstsein gegen solche Initiativen zu manifestieren. Wird es sich aber auch im Hinblick auf kommende Initiativen halten können wie beispielsweise gegen die Initiative «Schweizer Recht statt fremde Richter» (Selbstbestimmungsinitiative)?
Wird dem Volkswillen wirklich Rechnung getragen?
In den letzten Jahren wurde das Argument, den Volkswillen durchsetzen zu müssen, übermässig häufig angeführt. Wie steht es denn effektiv um diesen Willen? Wird er wirklich respektiert? In einer Demokratie wie der Schweiz, die sich auf rechtsstaatliche Prinzipien stützt, sollte es logisch sein, dass der Volkswille nicht darin bestehen kann, die Rechte und Freiheiten des Volks einzuschränken oder einer einzigen Partei die alleinige Macht zu überlassen, damit sie das Gesetz diktiert. Es braucht objektive Informationen, die zeigen, welche mittel- und langfristigen Konsequenzen solche Volksentscheide für die Schweiz nach sich ziehen. Nur so kann eine echte Meinungsbildung stattfinden. Doch wie wir festgestellt haben, hat die Macht der Fehlinformation im Titel und in der Propaganda bestimmter Initiativen zugenommen. Ein Beispiel: Der Titel der Durchsetzungsinitiative umfasste die «Durchsetzung der Ausschaffung», obwohl diese bereits wirksam war, sowie die Bestrafung «krimineller Ausländer», obschon auch nicht kriminelle Verhaltensweisen bestraft werden sollten. Die Selbstbestimmungsinitiative trägt den Titel «Schweizer Recht statt fremde Richter» und versucht mit allen Mitteln, eine schweizerische Rechtsordnung einem ausländischen Recht gegenüberzustellen, obwohl davon nie die Rede war! Unerfahrene Stimmbürgerinnen und Stimmbürger könnten glauben, dass in der Schweiz Ausländer ihr Recht durchsetzen, während eigentlich das Gegenteil der Fall ist. Denn das Völkerrecht dient dazu, genau die Grundsätze und die Grundrechte, die die Schweiz in ihrer eigenen Gesetzgebung verankert hat, zu stärken und zu sichern. Grundlegend ist dabei das Recht auf korrekte Information, das nur angemessen ausgeübt werden kann, wenn einerseits der öffentliche und der mediale Raum nicht von einem einzigen Gedanken monopolisiert werden und andererseits das ganze Stimmvolk sich genügend Zeit und Raum für Reflexion nimmt. Die Frage des Volkswillens ist daher neu zu definieren. Denn wie sich gezeigt hat, gefährden einige Initiativen verschiedene Rechte und Freiheiten des Einzelnen. Folglich müsste man sich im Hinblick auf die nächsten Initiativen der SVP nicht fragen, wer das weisse oder das schwarze Schaf ist, sondern wo sich der Wolf im Schafspelz versteckt.
Das Völkerrecht schützt die Rechte aller Rechtsuchenden
Wie bereits erwähnt dient das Völkerrecht nicht dazu, Normen aufzuzwingen, die dem Geist des schweizerischen Rechts widersprechen. So ist beispielsweise der Grundsatz der Verhältnismässigkeit sowohl in der Schweizer Gesetzgebung als auch in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert. Dieses Prinzip gilt nicht nur für ausländische Rechtsuchende, sondern auch für alle in der Schweiz wohnhaften Personen, die ihr Recht vor einem unparteiischen Richter bzw. einem unparteiischen Gericht geltend machen wollen. Möchte also eine Person sich im Rahmen des Sozialversicherungsrechts oder des Arbeitsrechts auf ihre Rechte berufen, so kann sie zu ihrer Verteidigung den Grundsatz der Verhältnismässigkeit beiziehen. Es ist daher wichtig, zu betonen, dass die Menschenrechte und die Grundprinzipien des schweizerischen Rechts eingehalten werden müssen, nicht nur bei der Verteidigung von Migrantinnen und Migranten, sondern auch von Schweizer Bürgerinnen und Bürgern.
Die Integration ausländischer Personen gewährleistet einen besseren sozialen Zusammenhalt
In der Präambel der Bundesverfassung steht Folgendes: «(…) die Stärke des Volkes misst sich am Wohl der Schwachen.» Diese Aussage steht keinesfalls für irgendeine Ideologie, sondern zeigt, dass es essenziell und notwendig ist, einen Grundstock an gemeinsamen Werten zu garantieren, auf deren Grundlage solide Rechte für die ganze Gemeinschaft geschaffen werden können. Daher implizieren die Gefährdung und die Verschlechterung der Rechtslage für in der Schweiz wohnhafte ausländische Personen auch zwangsläufig einen Abbau der Rechte aller Bürgerinnen und Bürger. Wenn für eine Bevölkerungsschicht Rechte nicht garantiert werden, ist es leicht, auch die sozialen Rechte einzuschränken, die einen besseren sozialen Zusammenhalt gewährleisten (z. B. Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung).
Durch die Annahme von Initiativen, welche die Zahl der Einwanderer/innen begrenzen wollen, wird die Umsetzung von Gesetzestexten erzwungen, die die Rechtsstellung dieser Einwanderer schwächen und die Integration unnötig behindern. So bremst zum Beispiel der Status von schon lange in der Schweiz ansässigen Personen deren Zugang zum Arbeitsmarkt, was zu steigenden Sozialkosten zulasten der Gemeinschaft führt.
Durch Handeln Lösungen finden!
Selbstverständlich sind die Masseneinwanderungsinitiative und die Durchsetzungsinitiative – um nur zwei Beispiele zu nennen – verantwortungslos. Unter anderem weil sie keine Lösung vorschlagen, sondern unnötige Kosten generieren, um einer Verschlechterung der Lage entgegenzuwirken. Doch es gibt Lösungen. Und es ist Zeit, diese zur Kenntnis zu nehmen, um die gegenwärtige Situation voranzubringen. In der Politik darf man Mut zeigen und beschliessen, gewisse Initiativen für ungültig zu erklären. Wichtig ist, dass das Stimmvolk abstimmt, nachdem es sich Zeit genommen hat, sich genau zu informieren. Um sich für einen besseren sozialen Zusammenhalt einzusetzen und die Arbeitnehmendenrechte zu stärken, gibt es auch Möglichkeiten in Form von Projekten, die es jedem Einzelnen ermöglichen, sich in die Entwicklung der heutigen Gesellschaft einzubringen. Auch wenn die Liste der Lösungen nicht abschliessend ist, empfiehlt Travail.Suisse auf jeden Fall dringend, dem fortschreitenden Abbau der demokratischen Rechte Einhalt zu gebieten, und ruft dazu auf, die kommenden Initiativen, die dem Rechtsstaat schaden, abzulehnen.