Die Vorschläge des Bundesrates zur Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative überzeugen nicht. Noch schlimmer ist aber die Orientierungslosigkeit der Wirtschaft. Anstatt auf drängende Fragen der Bevölkerung gute Antworten zu entwickeln, gibt sie sich einem Streit um billige Arbeitskräfte hin. Für Travail.Suisse, den unabhängigen Dachverband der Arbeitnehmenden, sind der Lohnschutz, das Nein zu einem neuen Saisonnierstatut und der Erhalt der Bilateralen Verträge weiterhin die Eckpunkte jeder Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative.
Am 20. Juni hat der Bundesrat seine Ideen für die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative präsentiert. Er setzt dabei auf ein klassisches Kontingentssystem, wie es die Schweiz bereits vor der Personenfreizügigkeit gekannt hat.
Umsetzungskonzept des Bundesrats
Der Bundesrat will Kontingente für alle Ausländerinnen und Ausländer, die zum Arbeiten in die Schweiz kommen wollen. Dabei können Personen aus der EU/EFTA unabhängig von der beruflichen Qualifikation zugelassen werden, bei anderen Ländern gilt dies nur für hochqualifizierte Spezialisten. Die Kontingente werden vom Bundesrat festgelegt und auf die Kantone verteilt. Auch für die Grenzgänger legt der Bundesrat ein Kontingent fest, das aber von den Kantonen weiter eingeschränkt werden kann. Bei der Festlegung berücksichtigt der Bundesrat verschiedenen Indikatoren, zum Beispiel die Wirtschaftsentwicklung, die Lage auf dem Arbeitsmarkt, die Zahl der offenen Stellen, der ungedeckte Bedarf an Arbeitskräften etc. Der Inländervorrang wird vor allem bei der Festlegung der Kontingente berücksichtigt, der Schutz vor Lohndumping soll weiterhin auch durch die heutigen flankierenden Massnahmen gesichert werden.
Nicht kontingentiert werden hingegen Kurzaufenthalter/innen, die für weniger als vier Monate in der Schweiz arbeiten wollen. Zudem bleibt der Familiennachzug für Arbeitskräfte aus der EU/EFTA vollumfänglich gewährleistet und auch der Aufenthalt für Ausbildung in der Schweiz ist für Bürgerinnen und Bürger der EU/EFTA-Länder nach wie vor möglich.
Skepsis ist angebracht
Travail.Suisse steht dem Konzept des Bundesrates skeptisch gegenüber. Für Travail.Suisse gehören die bilateralen Verträge zu den grundlegenden gesamtwirtschaftlichen Interessen der Schweiz, auf die die Steuerung der Einwanderung gemäss dem neuen Artikel 121a der Bundesverfassung auszurichten ist. Travail.Suisse ist deshalb ausserordentlich erstaunt, dass der Bundesrat ein Konzept vorlegt, das dieser Vorgabe nicht Rechnung trägt. Zudem zeigt die Vergangenheit, dass Kontingente die Zuwanderung nicht reduziert haben. In wirtschaftlich guten Zeiten lag die Einwanderung mit Kontingenten gleich hoch wie in den letzten Jahren. Gleichzeitig aber haben sich die grosszügige Zulassung von Kurzaufenthaltern (Saisonniers) und fehlende Lohnkontrollen negativ auf den Arbeitsmarkt und die wirtschaftliche Entwicklung ausgewirkt. Lohndruck, miserable Arbeitsbedingungen, Strukturerhaltung, schwaches Produktivitätswachstum und längerfristig hohe Arbeitslosigkeit bei den Einwanderern sind die Stichworte. Für Travail.Suisse sind deshalb der Lohnschutz, das Nein zu einem neuen Saisonnierstatut und der Erhalt der Bilateralen Verträge weiterhin die Eckpunkte jeder Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative.
Wirtschaft im Kontingents-Sumpf
Keine gute Figur machen in der laufenden Diskussion die Wirtschaftsverbände. Sie scheint sich einzig und allein darum zu sorgen, wie sie weiterhin möglichst einfach und möglichst günstig (bis billig) Arbeitskräfte rekrutieren können und verlieren sich deshalb in Streitigkeiten darüber, ob Kurzaufenthalter bis sechs oder bis zwölf Monate (für den Arbeitgeberverband dürfen es sogar drei Jahre sein) ohne Kontingentierung in der Schweiz arbeiten dürfen. Alle negativen Auswirkungen der früheren Kontingente und vor allem des Saisonnierstatut sind vergessen. Es ist nicht zu fassen.
Wer sich erhofft hat, dass die Abstimmungsniederlage vom 9. Februar in der Wirtschaft grundsätzliche Überlegungen zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der Schweiz anstösst, sieht sich bitter enttäuscht. Zu Themen wie Verteilungsgerechtigkeit, Schutz der Löhne, Stärkung der Sozialpartnerschaft, Arbeitsplatzsicherheit für die über 50-Jährigen, Steuerprivilegien zur Ansiedlung ausländischer Firmen, Politik der leeren Kassen, Ausbildung für Erwachsene und Weiterbildung für alle etc. herrscht absolute Funkstille. Dabei sind es genau diese Themen, die das zukünftige Abstimmungsverhalten der Schweizer Bevölkerung bestimmen werden.
Einwanderung reduzieren ja – aber nicht um jeden Preis
Auch für Travail.Suisse ist Einwanderung nicht einfach per se positiv. Trotzdem ist Vorsicht angebracht. Ein Drittel der Arbeit in der Schweiz wird heute von Ausländerinnen und Ausländern erbracht. Mit der demografischen Entwicklung – es werden mehr Arbeitnehmenden pensioniert als Junge nachkommen – wird der Arbeitskräftebedarf nicht kleiner. Eine Reduktion der Einwanderung betrifft deshalb sehr rasch nicht nur die Wirtschaft. In der Pflege und im Spital, auf dem Bau, im Gastgewerbe, im Detailhandel arbeiten viele ausländische Arbeitskräfte, und auch die werden pensioniert und müssen ersetzt werden. Wer also eine massiven Reduktion der Einwanderung das Wort redet, muss auch bereit sein, eine massive Einbusse nicht nur an Wohlstand, sondern auch an Lebensqualität für die einheimische Bevölkerung zu akzeptieren. So ist keineswegs ausgeschlossen, dass die Arbeitsbelastung in den betroffenen Berufen stark steigt oder dass auch der Ruf nach einem höheren Rentenalter wieder stärker wird. Davon war vor dem 9. Februar keine Rede und darüber steht auch nichts in der Ecopop-Initiative.
Weniger Einwanderung nur bei mehr Beschäftigung der Wohnbevölkerung
Die Einwanderung kann nur reduziert werden, wenn der Bedarf an Arbeitskräften stärker aus dem Inland gedeckt wird. Das wird zwar auch im Konzept des Bundesrates erwähnt, aber nicht wirklich konkretisiert. Klar ist nur, dass es ein ganzes Bündel an Massnahmen braucht, damit die Arbeitslosen, die Unterbeschäftigen, die Stellensuchenden, die schlecht Qualifizierten und die Väter und Mütter mit Betreuungspflichten etc. einen grösseren Anteil als heute zu leisten vermögen. Und diese Massnahmen können zum grossen Teil nicht von der öffentlichen Hand geleistet werden, sondern sie liegen direkt in der Verantwortung der Unternehmen. Sollen nämlich ältere Arbeitnehmende bis zur Pensionierung – und wenn sie wollen auch darüber hinaus – arbeiten können, so brauchen sie dazu Gesundheit, Anerkennung, Motivation, Förderung, Weiterbildung, Weiterentwicklung der Arbeitsplätze etc. Für die Verbesserung der Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familienarbeit für Mütter und Väter braucht es Teilzeitstellen für alle Karrierestufen, Mütter auf allen Hierarchieebenen, die Mitfinanzierung der familienexternen Betreuung durch die Arbeitgeber als Selbstverständlichkeit (für Mütter und Väter!) etc. Und auch für die Ausbildung oder Umschulung von Erwachsenen ohne oder ohne aktuellen Berufsabschluss müssen die Unternehmen bereit sein, solche Leute als Lehrlinge aufzunehmen und ihnen einen Lohn zu bezahlen von dem sie (und ihre Familien) während der Lehrzeit leben können. Und so weiter und so fort.
Finanzieller Anreiz als Schlüssel zum Erfolg
Für Travail.Suisse ist klar, dass alle diese Massnahmen bei den Unternehmen nur zum Tragen kommen, wenn dabei auch ein finanzieller Anreiz besteht. Denn es muss für eine Firma lohnender sein, die eigenen Mitarbeitenden weiterzubilden, länger im Erwerbsleben zu halten oder den jungen Müttern und Vätern einen Beitrag an die familienexterne Betreuung zu bezahlen, anstatt neues Personal aus dem Ausland anzustellen. Nur wenn es gelingt, einen solchen finanziellen Anreiz zu schaffen, wird es auch gelingen, die Einwanderung auf eine sinnvolle Art und Weise und ohne Einbussen an Lebensqualität für die einheimische Bevölkerung zu reduzieren.