In der kommenden Session wird das Parlament wiederum viele Geschäfte beraten, die für die Arbeitnehmenden von zentraler Bedeutung sind. Die Haltung von Travail.Suisse, dem unabhängigen Dachverband der Arbeitnehmenden, zu ausgewählten Geschäften ist im Folgenden kurz zusammengefasst.
Wirtschaftspolitik und Arbeitsmarktpolitik
Nationalrat – Pa. Iv. Reynard: Eine Woche mehr Ferien für alle (12.407): Diese parlamentarische Initiative schliesst an die Initiative „6 Wochen Ferien für alle“ an. In der Abstimmungskampagne wurde dieser Volksinitiative immer wieder vorgeworfen, der Schritt von vier auf sechs Wochen sei zu gross und es fehle eine Differenzierung nach Alter der Arbeitnehmenden. Die parlamentarische Initiative nimmt diese beiden Punkte auf und trägt dem Erholungsbedürfnis vor allem auch der älteren Arbeitnehmenden Rechnung. Das SECO schätzt die Kosten im Zusammenhang mit dem Stress am Arbeitsplatz auf 10 Milliarden Franken pro Jahr. Die letzte Anpassung des Ferienanspruchs liegt fast dreissig Jahre zurück. Seither hat sich die Arbeitswelt massiv verändert, die Produktivität hat zugenommen. Zudem zeigt die neuste Arbeitskräfteerhebung, dass der Ferienanspruch bereits durchschnittlich 5 Wochen und ab 55 Jahren 5.5 Wochen beträgt. Die pa. Iv. Reynard würde also die heutige Realität gesetzlich festigen und dadurch vor allem die Gleichbehandlung der Arbeitnehmenden fördern. Travail.Suisse fordert deshalb den Nationalrat auf, dieser gemässigten Lösung zuzustimmen.
**Nationalrat und Ständerat- * AVIG . Deplafonierung des Solidaritätsprozents (13.027):* Für die Entschuldung der Arbeitslosenversicherung (ALV) hat das Parlament 2011 ein Beitragsprozent auf dem nicht versicherten Lohn zischen 126’000 und 315’000 Franken beschlossen. Bereits 2003 wurde ein Solidaritätsprozent zur Entschuldung der ALV erhoben. Damals wurde die gleiche Limite angewendet, weil eine Deplafonierung nur wenig zusätzliche Einnahmen für die ALV geschaffen hätte. In den letzten zehn Jahren sind die Lohnanteile über 315’000 Franken stark gewachsen. Heute können mit einer Deplafonierung für die ALV jährlich 100 Millionen Franken zusätzliche Einnahmen geschaffen und damit die Dauer der Belastung der Löhne über 126’000 Franken um einen Viertel von 20 auf 15 Jahre reduziert werden. Travail.Suisse begrüsst die Deplafonierung, weil sich damit die die sehr gut verdienenden Lohnbezügerinnen und Lohnbezüger zu gleichen Anteilen an der Entschuldung der Arbeitslosenversicherung beteiligen wie alle anderen Arbeitnehmenden auch.
Sozialpolitik
Nationalrat und Ständerat – IV-Revision 6b (11.030): In der Differenzbereinigung geht es vor allem noch um zwei Bereiche. Sollen die Renten von Schwerbehinderten gekürzt werden? Und soll es einen Interventionsmechanismus mit automatischen Rentenkürzungen geben? Beides ist für Travail.Suisse nicht akzeptabel.
Die IV befindet sich auf dem Weg zur Gesundung. Sie wird gemäss den Finanzperspektiven ihre Schulden zwischen 2025 und 2030 zurückbezahlt haben. Weitere Leistungseinschnitte sind vor diesem Hintergrund unnötig und unverantwortlich. Der Ständerat wollte trotzdem, dass im Rahmen des neuen Rentensystems bei hohen IV-Graden die Renten um bis zu 30 Prozent gekürzt werden. Betroffen wären ein Fünftel aller neu gesprochenen Renten. Das ist unverhältnismässig für eine minimal schnellere Entschuldung der IV. Deshalb muss der Nationalrat sich in der Differenzbereinigung durchsetzen und schwerbehinderte Menschen schützen. Es soll weiterhin ab einem IV-Grad von 70 Prozent eine ganze Rente gewährt werden (Antrag Lohr).
Travail.Suisse empfiehlt zudem auch beim Interventionsmechanismus der Linie des Nationalrats zu folgen und auf automatische Rentenkürzungen im Rahmen eines Interventionsmechanismus zu verzichten. In der Frage der Besitzstandswahrung empfiehlt Travail.Suisse, der Linie des Ständerates zu folgen und auf die Kürzung laufender Renten zu verzichten. Die Kürzung von laufenden Renten ist ein Tabubruch. Sie stellt das Vertrauen in das ganze Sozialversicherungssystem in Frage. Selbst mit einem Einschwenken auf eine weniger harte Gangart können mit der Revision 6b über 50 Millionen Franken gespart werden. Das ist genug. Die immer härtere Gangart mit den IV-Betroffenen muss nun ein Ende haben.
Ständerat – Rahmengesetz Sozialhilfe (12.3013): Der Bundesrat wird mit dieser Motion beauftragt, analog zum Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsgesetzes (ATSG) ein schlankes Rahmengesetz für die Sozialhilfe vorzulegen. Travail.Suisse befürwortet dieses Anliegen. In der gesamtschweizerischen Koordination der Sozialhilfe als wichtiger Pfeiler der sozialen Sicherheit besteht Koordinationsbedarf. In materieller Hinsicht würde die Sozialhilfe Sache der Kantone bzw. der Gemeinden bleiben. Dafür würden Koordinations- und Verfahrensbestimmungen auf Bundesebene gezielt geregelt werden. Das Anliegen ist breit abgestützt und vom Nationalrat bereits angenommen worden. Travail.Suisse empfiehlt einen Annahme der Motion.
Ständerat – Familieninitiative SVP (12.068): Heute wird die finanzielle Belastung der Familien in der Schweiz zu wenig ausgeglichen. Steuerabzüge bei der Eigenbetreuung sind aber der falsche Weg, um dies zu ändern. Die Initiative ist ungerecht: Wer es sich leisten kann, mit einem Einkommen zu leben, wird bevorzugt. Und je mehr eine Familie verdient, desto mehr schenkt der Steuerabzug ein. Sie setzt falsche Anreize: Wegen der demografischen Entwicklung wird der schweizerische Arbeitsmarkt zunehmend auf die immer besser ausgebildeten Mütter angewiesen sein. Ansonsten muss der Fachkräftebedarf mit noch mehr Einwanderung gedeckt werden. Ausserdem ist die Initiative steuerrechtlich problematisch und führt zu hohen Steuerausfällen. Wer finanziell etwas für alle Familien in der Schweiz tun will, unabhängig von Familienmodell und Einkommen, muss sich für eine Erhöhung der Kinder- und Ausbildungszulagen einsetzen. Die heutigen Zulagen werden den hohen Kinderkosten nicht gerecht. Travail.Suisse empfiehlt die Ablehnung der Initiative.
Gleichstellungspolitik
Nationalrat – Mo. Simoneschi-Cortesi. Lohngleichheit von Frauen und Männern. Kontrollmechanismus (10.3934): Die Motion strebt eine Änderung des Gleichstellungsgesetzes an, um einen Kontrollmechanismus für die Löhne einzuführen, und zwar nach dem Modell der Kontrollmechanismen, die es in anderen Gesetzen im Bereich der Arbeit bereits gibt. Die Motion wurde am 10. September 2012 vom Nationalrat angenommen. Auf Antrag seiner Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur (WBK) beschloss der Ständerat im vergangenen März, die Behandlung der Motion für mehr als ein Jahr auszusetzen. Nun ist es am Nationalrat, die Aussetzung der Debatte zu beschliessen. Das Hauptargument für die Aussetzung ist, dass man dem Lohngleichheitsdialog, für den sich neben den anderen Sozialpartnern auch Travail.Suisse einsetzt, nicht schaden will. Travail.Suisse ist indes der Meinung, dass wenn die freiwillige Selbstkontrolle der Löhne durch die Unternehmen die gesetzten Ziele nicht erreicht, gehandelt werden muss, namentlich indem ein Kontrollmechanismus für die Löhne im Gesetz verankert wird.
Nationalrat – Po. SGK-NR. Betreuungszulagen und Entlastungsmöglichkeiten für pflegende Angehörige (13.3366): Das Postulat schliesst an zwei Motionen an, die 2011 von Nationalrätin Lucrezia Meier-Schatz eingereicht wurden. Die beiden Motionen forderten einerseits die Einführung einer Betreuungszulage und andererseits die Ermöglichung einer Auszeit für pflegende Angehörige. Die Kommission verlangt vom Bundesrat einen vollständigen Bericht mit Überblick über die Betreuungszulagen und die Unterstützung auf Gemeinde-, Kantons- und Bundesebene. Sie beauftragt ihn, den künftigen Bedarf abzuschätzen und zu beziffern sowie die absehbaren Defizite bei der Unterstützung von pflegenden Angehörigen zu umschreiben, bevor die von der CVP-Politikerin in ihren beiden Motionen verlangten Massnahmen geprüft werden. Travail.Suisse freut sich, dass die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit (SGK) mit der Einreichung dieses Postulats die Existenz eines Problems anerkennt, das in den kommenden Jahren angesichts der demografischen Entwicklung noch an Bedeutung gewinnen wird.
Bildungspolitik
Ständerat und Nationalrat – Aus- und Weiterbildungskosten. Steuerliche Behandlung. Bundesgesetz (11.023): Travail.Suisse hat diese Vorlage im Grundsatz nur unterstützt, damit für die Steuerzahlenden mehr Klarheit bei der steuerlichen Behandlung der Aus- und Weiterbildungskosten herrscht. Leider hat sich die Debatte weit von der bundesrätlichen Vorlage entfernt. Sogar die ständerätliche Begrenzung auf 12’000 Franken geht einer Mehrheit des Nationalrates zu wenig weit. Setzt sich die nationalrätliche Linie durch, so wird anderen wichtigen Weiterbildungsvorhaben wie Bildungsgutscheine für bestimmte Zielgruppen immer mehr der finanzielle Boden entzogen.
Energiepolitik
Ständerat – Neue Arbeitsplätze dank erneuerbaren Energien (Cleantech-Initiative) (12.064): Die Cleantech-Initiative wurde vom Nationalrat mit 112 gegen 68 Stimmen abgelehnt. Sie geht weiter als die Energiestrategie 2050 und fordert, dass bis 2030 mehr als die Hälfte des Energiebedarfs der Schweiz durch erneuerbare Energien gedeckt wird. Die Cleantech-Initiative schlägt ein höheres Tempo bei der Förderung von erneuerbaren Energien und Energieeffizienz an als die Energiestrategie 2050. Sie ermöglicht somit, mehr und rascher Arbeitsplätze zu schaffen sowie mehr Geld zu sparen, da die Unabhängigkeit von fossilen Energien schneller erreicht wird. Will die Schweiz wirklich wieder zur Spitzengruppe der im Cleantech-Bereich führenden Länder aufschliessen, ist diese Initiative der richtige Weg. Aus diesen Gründen hofft Travail.Suisse, dass der Ständerat den Entscheid des Nationalrates mit einer Annahme der Cleantech-Initiative korrigiert.
Ständerat – Pa. Iv. UREK-N. Freigabe der Investitionen in erneuerbare Energie ohne Bestrafung der Grossverbraucher (12.400): Diese parlamentarische Initiative wurde vom Nationalrat angenommen. Sie dient nun als indirekter Gegenentwurf zur Cleantech-Initiative. Das ist ein akzeptabler Kompromiss, mit dem erneuerbare Energien dank der Erhöhung der Mittel für die KEV (bis 1,5 Rappen/kWh) rascher gefördert werden und energieintensive Unternehmen sich gleichzeitig durch Energiesparziele einen Teil des Zuschlags zurückerstatten lassen können. Die Ständeratskommission beantragt ihrem Rat klar, den indirekten Gegenentwurf ohne Änderung anzunehmen. Folgt der Ständerat der Meinung seiner Kommission, was Travail.Suisse hofft, könnte die Bundesversammlung bereits im Laufe dieser Session die entsprechende Änderung des Energiegesetzes verabschieden. Man könnte damit teilweise der Energiestrategie 2050 einige Jahre vorgreifen, was für die Schaffung neuer Arbeitsplätze und die Weiterentwicklung der erneuerbaren Energien eine sehr gute Sache wäre.
Ständerat – Mo. UREK-N. Umbau der KEV (12.3663) und moderate KEV für die Industrie (12.3664): Die erstgenannte Motion zum Umbau der kostendeckenden Einspeisevergütung (KEV) wurde vom Nationalrat knapp gutgeheissen (95 gegen 92 Stimmen). Travail.Suisse hätte sich grundsätzlich damit einverstanden erklären können. Weil jedoch die Energiestrategie 2050 die Solarenergie gegenüber anderen erneuerbaren Energien durch eine starke Beschränkung der Produktionskapazität weiterhin benachteiligt, beurteilt Travail.Suisse diese Motion nun negativ. Die zweitgenannte Motion wurde vom Nationalrat ebenfalls knapp angenommen. Travail.Suisse fordert den Ständerat auf, diese abzulehnen, da sie ohne Grund die gesamte Industrie begünstigt und Ertragsausfälle von rund 100 Millionen Franken zur Folge hätte. Bereits heute sind energieintensive Unternehmen von der KEV ausgenommen.
Ständerat – Mo. (Büttiker) Hess Hans. Rettung für energieintensive Betriebe dank Ausnahme von der KEV (11.3502): Entsprechend dem Antrag des Bundesrates ist diese Motion, die eine vollständige Befreiung vom Zuschlag vorsieht, abzulehnen. Es ist besser, eine Kompromisslösung zu befürworten, wie sie die parlamentarische Initiative 12.400 vorsieht.
Steuerpolitik
Ständerat – Mo. FDP-Liberale Fraktion. Rasche Umsetzung einer Unternehmenssteuerreform III zur Kompensation von Wettbewerbsnachteilen aufgrund des starken Frankens (11.3789): Diese Motion, die vom Nationalrat entgegen der Meinung des Bundesrates knapp angenommen wurde, muss vom Ständerat abgelehnt werden. Für Travail.Suisse ist es inakzeptabel, dass eine neue Unternehmenssteuerreform zu Steuereinbussen führt.
Nationalrat – Konsolidierungs- und Aufgabenüberprüfungspaket. Bundesgesetz (12.101): Die Verschuldung der Schweiz ist tief und nimmt seit einigen Jahren sogar ab. Die Staatsfinanzen sind gesund. Es besteht genügend Handlungsspielraum, um – namentlich wegen der demografischen Entwicklung – in die Zukunft zu investieren. Deshalb ist das Konsolidierungs- und Aufgabenüberprüfungspaket abzulehnen. Travail.Suisse ist dafür, dass der Nationalrat nicht auf das Thema eintritt, wie das auch eine Minderheit seiner Finanzkommission will. Man kann auch nicht einerseits sparen und andererseits unter dem Vorwand einer Regulierung der diskriminierenden Steuersysteme gewisser Kantone erneut die Steuern für Unternehmen senken wollen.
Service public
Nationalrat – Volksinitiative “Für den öffentlichen Verkehr” und Finanzierung und Ausbau der Eisenbahninfrastruktur FABI (12.016): Da die Notwendigkeit besteht, den öffentlichen Verkehr stark auszubauen und gleichzeitig den Treibhausgasausstoss zu verringern, muss FABI eine echte Alternative zur Volksinitiative für den öffentlichen Verkehr darstellen. In diesem Sinne sollte der Nationalrat dem Entscheid des Ständerats folgen, die Frist zur Behandlung der Initiative um ein Jahr zu verlängern und auch eine wesentliche Erhöhung der Mittel zur Finanzierung des öffentlichen Verkehrs vorsehen.