Die Ferienstatistik 2010 zeigt Unterschiede beim Ferienanspruch zwischen Branchen, Altersgruppen und Einkommen auf. Folgende Ungerechtigkeiten fallen ins Auge: Vor allem Kader und Personen mit höherem Einkommen profitieren von überdurchschnittlich viel Ferien. Klarer Handlungsbedarf in Sachen Ferientagen besteht bei der mittleren Altersgruppe. Diese braucht eine Erhöhung ihres Ferienanspruches, wenn die Wirtschaft auch noch in den kommenden zwanzig Jahren auf ihre Leistungsfähigkeit und Motivation zählen will. Die Travail.Suisse-Initiative „6 Wochen Ferien für alle“ schafft klare Verbesserungen.
Eine gewisser Vorbehalt ist bereits zu Beginn anzubringen: Die vorliegenden Zahlen beschönigen das effektive Bild der Ferienregelungen in der Schweiz. Die Ferienstatistik 2010 des Bundesamtes für Statistik erfasst nur die Vollzeitarbeitenden. Nicht berücksichtigt sind sämtliche Teilzeitarbeitenden, die Temporärarbeitnehmenden und die Arbeitnehmenden, die noch nicht ein Jahr im gleichen Unternehmen tätig sind. Ausgeschlossen sind ebenfalls alle Personen, die im Stundenlohn arbeiten und die Ferien durch einen Lohnzuschlag ausbezahlt erhalten. Damit fehlt insgesamt rund ein Drittel der Erwerbsbevölkerung in der Ferienstatistik 2010. Das ist relevant, weil erfahrungsgemäss gerade diese Personen häufiger Arbeitsbedingungen haben, welche kaum über die gesetzlichen Minimalansprüche – sprich: 4 Wochen – hinausgehen. In Tat und Wahrheit fallen die Ferienansprüche in der Schweiz also tiefer aus, als im Folgenden ausgewiesen.
5 Wochen Ferien im gesamtschweizerischen Durchschnitt
Auch im Jahr 2010 haben im schweizerischen Durchschnitt die Vollzeitarbeitnehmenden unverändert fünf Wochen Ferien im Jahr. Die älteren Arbeitnehmenden zwischen 50 und 64 Jahren haben mit 5.5 Wochen am meisten Ferien. Das zeugt vom Bewusstsein, dass ältere Arbeitnehmende eine längere Regenerationszeit brauchen. Allerdings ist es falsch, erst den Arbeitnehmenden ab dem fünfzigsten Altersjahr mehr Erholungszeit zuzugestehen. Verschleiss- und Ermüdungserscheinungen schleichen sich bereits viel früher ein. Es ist deshalb sinnvoll, dass auch die mittlere Altersgruppe (20- bis 49-Jährige mit im Schnitt 4.8 Wochen Ferien) mehr frei zur Verfügung stehende Zeit erhält.
Zwischen 1997 und 2010 war in Sachen Ferientagen weitgehend Stillstand. In diesen 13 Jahren erhöhte sich die Zahl der Ferientage im Durchschnitt gerade um 1.5 Tage.
Unterschiede nach Branchen, unabhängig von der Arbeitsproduktivität
Es gibt grosse Unterschiede nach Branchen. Tendenziell sind die Ferienansprüche in den Branchen des Dienstleistungssektors am höchsten. Dennoch steht die Höhe der Ferienansprüche in keinem klaren Zusammenhang zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit einer Branche. Eine vergleichsweise mässige Arbeitsproduktivität verunmöglicht keinesfalls die Gewährung fortschrittlicher Ferienregelungen (und umgekehrt). Beispielsweise haben im Gastgewerbe 80 Prozent der 20- bis 49-Jährigen mehr als 4 Wochen Ferien, im Kredit- und Versicherungsgewerbe sind es 85 Prozent und im verarbeitenden Gewerbe (Industrie) sind es 56 Prozent. Das hat auch damit zu tun, dass mittels Gesamtarbeitsverträgen Branchen mit einer eher tiefen Arbeitsproduktivität Ferienansprüche möglich und bezahlbar machen, die über das gesetzliche Minimum hinausgehen.
Kader und Gutverdienende haben mehr Ferien
Leute in Kaderpositionen und Akademiker haben mehr Ferien als normale Angestellte. Dasselbe wiederholt sich bei den Einkommensklassen: Wer viel verdient hat viele Ferien. Oftmals wird argumentiert, dass Arbeitnehmende, die kaum Überstunden kompensieren, mehr Ferientage erhalten, als diejenigen, die Überstunden kompensieren. Diese Behauptung stimmt nicht. Unabhängig davon, ob Überstunden kompensiert werden oder nicht, gibt es kaum Unterschiede bei den Ferientagen. Viel gearbeitet wird also überall – in allen Berufen, Positionen, Branchen und Einkommensklassen –, mehr Ferien haben aber nur Kader und Leute mit hohen Einkommen.
Ferienalarm bei der mittleren Altersgruppe
Auffallend ist, dass 40 Prozent der mittleren Altersgruppe (20- bis 49-Jährige) weniger als fünf Wochen Ferien haben. Bei diesen Arbeitnehmenden ist die Problematik der langfristigen Leistungsfähigkeit und der Vereinbarkeit von Beruf und Familie am dringlichsten. Ist es doch genau diese Altersgruppe, die am stärksten dem steigenden Termin- und Flexibilisierungsdruck ausgesetzt ist. Die Seco-Stressstudie zeigt, dass in dieser Alterskategorie der Stress überdurchschnittlich zunimmt. Allein aus demografischen Gründen ist es aber absolut notwendig, zu diesen Arbeitnehmenden Sorge zu tragen und ihre Leistungsfähigkeit und Motivation auch für die nächsten zehn bis zwanzig Jahre zu erhalten. Dazu brauchen auch sie regelmässige längere Ruhepausen zur Regeneration und mehr frei verfügbare Zeit zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
Die Initiative „6 Wochen Ferien für alle“ beseitigt die vorhandenen Ungerechtigkeiten und erlaubt den Arbeitnehmenden, ihre Leistungsfähigkeit und Motivation bis zur Pensionierung zu erhalten.