Das Manifest, das der Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner (SBK) und das Netzwerk Medicus Mundi Schweiz angesichts des Gesundheitspersonalmangels lanciert haben, zeigt hervorragend die Bedingungen auf, die auch Travail.Suisse für die Zulassungspolitik für Arbeitnehmende aus Drittstaaten fordert.
Aufgrund der Feststellung, dass die Wirtschaftskreise seit Mitte letzten Jahres für eine Erhöhung der Kontingente für Arbeitnehmende aus Drittstaaten eintreten, weist Travail.Suisse regelmässig darauf hin, dass der Bedarf an qualifiziertem oder weniger qualifiziertem Personal auf dem Schweizer Arbeitsmarkt nicht einfach nur durch Zuwanderung gedeckt werden kann. Es sind noch andere Aspekte zu bedenken.
Ein Positionspapier1, das Travail.Suisse an einer Medienkonferenz am 25. Oktober 2011 vorgestellt hat, zeigt auf, dass die Zulassungspolitik für Arbeitnehmende aus Drittstaaten auf dem Schweizer Arbeitsmarkt in Zukunft zwingend verschiedene Aspekte wie Ausbildung und Berufsnachwuchs in der Schweiz, Integration und entwicklungsbezogene Erwägungen berücksichtigen muss. Eine Erhöhung der Kontingente kann nur gutgeheissen werden, wenn die genannten Bedingungen ernsthaft in Betracht gezogen werden. Mit anderen Worten: Migrationspolitik darf in Zukunft nicht mehr unabhängig von anderen für den sozialen Zusammenhalt und den Wohlstand in der Schweiz wesentlichen Faktoren wie Aus- und Weiterbildung, Integration usw. betrieben werden.
Vor diesem Hintergrund begrüsst Travail.Suisse das Manifest zum Gesundheitspersonalmangel, denn es entspricht den eigenen Forderungen und kann in der bevorstehenden politischen Debatte über die Schweizer Migrationspolitik und insbesondere die Zulassungspolitik für Arbeitnehmende aus Drittstaaten einen konkreten Lösungsansatz liefern. Die Debatte sollte noch dieses Jahr stattfinden, denn der Bundesrat hat für 2012 einen Bericht zur Migration angekündigt, auf dessen Basis die Kontingentfrage diskutiert wird.
Ausschliessliches Abstützen auf die Zuwanderung führt zu gefährlicher und unethischer Abhängigkeit
Das Manifest zum Gesundheitspersonalmangel zeigt perfekt auf, dass – wie man dies bisher getan hat – ein hauptsächliches Abstützen auf die Zuwanderung zur Deckung des Personalmangels zu einer gefährlichen Abhängigkeit der Schweiz vom Ausland führt. Denn es gibt bereits einen weltweiten Gesundheitspersonalmangel, und die Industrieländer stehen schon miteinander im Wettbewerb um Arbeitskräfte. Deshalb sind Massnahmen zu treffen, damit die Entwicklung des Sektors auf einer ausgewogeneren Grundlage erfolgt.
Man kann zwar weiterhin Personal aus dem Ausland kommen lassen, muss aber gewährleisten, dass die Aussenpolitik der Schweiz kohärent mit ihrer Entwicklungspolitik ist. So ist dafür zu sorgen, dass die armen Länder nicht ihre Arbeitskräfte in einem Bereich verlieren, in dem sie diese ganz dringend brauchen. Ausserdem war der Migrationssaldo der Schweiz bereits in den letzten Jahren sehr hoch, und das trotz Finanz- und Wirtschaftskrise (2008: 103’400, 2009: 74’600, 2010: 64’900). Es ist nur schwer vorstellbar, dass der Migrationssaldo noch mehr steigen kann, ohne dass sich das negativ auf den sozialen Zusammenhalt, die Raumplanung usw. auswirkt.
Das bedeutet, dass das Gesundheitswesen zur Deckung des Personalmangels nicht nur auf die Zuwanderung bauen kann, sondern auch die Attraktivität seiner Berufe erhöhen muss. Dazu sind namentlich die Lohn- und Arbeitsbedingungen zu verbessern. Ausserdem muss der Berufsnachwuchs mit verschiedenen Aus- und Weiterbildungsmassnahmen gefördert werden.
Aber der entscheidende Faktor, der zeigt, dass man sich nicht noch stärker auf die Zuwanderung abstützen kann, ist die demografische Entwicklung. Die Pflegeberufe sind einer der Sektoren, die am meisten von der Überalterung der Bevölkerung betroffen sind. 2009 kamen 32 Personen im Alter von 65 und mehr Jahren auf 100 Erwerbstätige zwischen 20 und 64 Jahren. Für das Jahr 2060 werden 60 Personen im Ruhestand auf 100 Erwerbstätige prognostiziert. Eine Studie besagt, dass die Überalterung der Bevölkerung einen Anstieg des Gesundheitspersonalbedarfs um mindestens 13 Prozent bis 2020 bewirkt. Schon heute ist die Rekrutierung schwierig und stark vom Ausland abhängig2.
Prospektivstudie zum Personalbedarf erforderlich
Andere Sektoren und viele andere Berufe sind bereits von der demografischen Entwicklung betroffen und werden es in Zukunft noch stärker sein. Es wäre daher sehr sinnvoll, eine Prospektivstudie zum Personalbedarf nach Branchen und Berufen durchzuführen. Die Ergebnisse dieser Studie könnten Daten liefern, die eine bestmögliche Anpassung der Bildungs-, der Integrations- und der Migrationspolitik ermöglichen, die aufgrund ihrer Verflechtung nicht mehr isoliert betrachtet werden dürfen.
Ein Postulat von SP-Nationalrätin Josiane Aubert, Vizepräsidentin von Travail.Suisse, das vom Bundesrat eine solche Studie verlangt, wurde entgegen der Meinung des Bundesrates vom Nationalrat mit 179 gegen 6 Stimmen deutlich angenommen. Es gibt somit quer durch alle Parteien eine starke Mehrheit im Nationalrat, die in diese Richtung gehen und wissen will, wie die Schweiz vorgehen muss, um eine ausreichende Erwerbstätigenquote zu halten und einen Personalmangel in zahlreichen Berufen und Branchen zu vermeiden.