Travail.Suisse begrüsst die breite Auslegeordnung zur beruflichen Vorsorge, welche der Bundesrat im Bericht zur Zukunft der 2. Säule vornimmt. Im Kern geht es letztlich aber um die Höhe des Mindestumwandlungssatzes und damit um die Höhe der künftigen Renten. Für Travail.Suisse ist eine Senkung des Umwandlungssatzes nur diskutabel, wenn die Rentenhöhen mit substanziellen Ausgleichsmassnahmen gesichert werden. Zudem müssen die überrissenen Gewinne der Lebensversicherer in der 2. Säule gestoppt und die überhöhten Vermögensverwaltungskosten der Finanzindustrie gesenkt werden.
Der Anfang Jahr vom Bundesrat veröffentlichte Bericht zur Zukunft der 2. Säule bringt das Thema des Mindestumwandlungssatzes als heisses politisches Eisen wieder aufs Tapet. Der Umwandlungssatz ist in der zweiten Säule eine zentrale Grösse für die Bestimmung der Rentenhöhe. Ein Umwandlungssatz von 6.8 Prozent bedeutet bei einem angesparten Alterskapital von 100‘000 Franken eine Jahresrente von 6800 Franken. Wird der Umwandlungssatz ohne weitere Massnahmen gesenkt, sinkt also die jährliche Rente. Bis 2014 läuft im BVG eine schrittweise Senkung des Umwandlungssatzes auf 6.8 Prozent1. Im Jahr 2010 verwarf die Stimmbevölkerung eine weiter gehende Senkung des Umwandlungssatzes mit fast 75 Prozent Nein-Stimmen wuchtig.
Vertrauensverlust in die 2. Säule
Das Ergebnis der Abstimmung von 2010 war Ausdruck dafür, dass die Bevölkerung keine Rentenkürzungen im BVG will. Gleichzeitig war es aber auch Ausdruck einer Vertrauenskrise. Bundesrat und Parlament hatten mit ihrem Vorgehen ohne Ausgleichsmassnahmen viel Vertrauen verspielt. Es besteht nämlich heute in der beruflichen Vorsorge ein massiver Widerspruch: Während von den Versicherten Leistungskürzungen abverlangt werden, fliessen jährlich Milliarden von Franken in die Taschen der Lebensversicherer und der Vermögensverwalter der Finanzindustrie. Der Bundesrat und das Parlament haben versucht, über den Widerspruch von gepredigter Unterfinanzierung und realem Überfluss hinwegzugehen. Die Quittung war das klare Nein zur Senkung des Umwandlungssatzes. Dieser Widerspruch muss nun aufgelöst werden.
Senkung des Umwandlungssatzes nur mit umfassenden und substanziellen Ausgleichsmassnahmen
Für Travail.Suisse, den unabhängigen Dachverband von 170‘000 Arbeitnehmenden, ist eine Senkung des Umwandlungssatzes nicht à priori ausgeschlossen. Statt eines Leistungskahlschlags braucht es aber Massnahmen, die das Vertrauen der Bevölkerung in die zweite Säule wieder herstellen. Bezüglich einer allfälligen Senkung des Umwandlungssatzes heisst das für Travail.Suisse konkret:
1. Der klaren Botschaft der Bevölkerung gegen Rentensenkungen ist Rechnung zu tragen. Wenn Anpassungen des Umwandlungssatzes notwendig sind, müssen Ausgleichsmassnahmen ergriffen werden, welche Rentenkürzungen kurz- und langfristig verhindern.
2. Die bei Stiftungen von Lebensversicherern versicherten Arbeitnehmenden müssen fair an den Überschüssen beteiligt werden. Die ungerechtfertigten Gewinnabflüsse zugunsten der in der zweiten Säule tätigen Lebensversicherer sind massiv zu reduzieren.
3. Die Vermögensverwaltungskosten von fast 4 Milliarden Franken jährlich müssen klar reduziert werden. Die zweite Säule ist nicht der Goldesel der Finanzindustrie.
Langfristig: Senkung des Koordinationsabzuges im Vordergrund
Für Travail.Suisse steht als langfristig wirksame Ausgleichsmassnahme eine weitere Senkung des Koordinationsabzuges im Vordergrund: Der versicherte Lohn ergibt sich durch den effektiven Lohn abzüglich eines Koordinationsabzuges von heute gut 24‘000 Franken. Für kleine und mittlere Einkommen ist der Abzug proportional überdurchschnittlich gross, verringert den versicherten Verdienst und damit die spätere Rente. Bestraft werden damit auch Arbeitnehmende, welche Teilzeit arbeiten. Mit einer generellen Senkung des Koordinationsabzuges können der versicherte Verdienst und die spätere Rente erhöht werden. Für jüngere Arbeitnehmende kompensiert eine solche Senkung die Rentenverluste, welche durch eine Reduktion des Umwandlungssatzes entstehen. Eine Senkung des Koordinationsabzuges ist auch gesellschaftspolitisch und demografisch sinnvoll. Teilzeitarbeit, welche künftig zur Nutzung des Arbeitskräftepotenzials immer wichtiger wird, wird nicht mehr bestraft. Travail.Suisse fordert zur besseren Förderung der Teilzeitarbeit noch einen weiter gehenden Schritt, nämlich die Einführung eines proportional zum Beschäftigungsgrad reduzierten Koordinationsabzuges.
Kurzfristig: Ausgleich über Bundesgelder
Für ältere Arbeitnehmende bleibt die Wirkung der Senkung des Koordinationsabzuges aber klein. Die Zeit reicht nicht, um die drohenden Rentenverluste alleine damit zu kompensieren. Es braucht somit zusätzlich kurzfristiger wirksame Massnahmen. Travail.Suisse fordert deshalb für alle Arbeitnehmenden, welche von einer Senkung des Umwandlungssatzes betroffen sind, einen Zuschlag auf ihrer künftigen Rente, welcher den erlittenen Rentenverlust kompensiert. Der Zuschlag soll vom Bund finanziert, technisch über die AHV abgewickelt und direkt den Betroffenen ausbezahlt werden. Der Zuschlag ist unbefristet und entsprechend grösser, je näher die Arbeitnehmenden vor dem Renteneintritt stehen. Für die jüngeren Jahrgänge wird er immer kleiner und läuft für diejenigen Arbeitnehmenden aus, für welche die Senkung des Koordinationsabzuges alleine den Rentenverlust kompensiert.
1Betroffen vom Mindestumwandlungssatz sind nur Pensionskassen im Beitragsprimat. Zudem gilt der gesetzliche Mindestumwandlungssatz nur für das BVG-Obligatorium, d.h. für versicherte Einkommen zwischen heute 20‘880.- und 83‘520.-
2Vgl. Pressedienst „Die vergessenen Milliarden“ vom 21. Nov. 2011, http://www.travailsuisse.ch/de/node/3010