Dank dem hartnäckigen Einsatz von Travail.Suisse erhalten Familien in der Schweiz seit 2009 mindestens 200 Franken Kinderzulagen pro Kind. Ab 2013 sind neu auch alle Selbständigerwerbenden zulagenberechtigt. Diese Erfolge dürfen aber nicht darüber hinweg täuschen, dass die heutigen Familienzulagen im Vergleich zu den anfallenden Kinderkosten viel zu tief sind. Dies zeigen auch die Ansätze für 2012. Travail.Suisse fordert mit einer substanziellen Erhöhung der Kinder- und Familienzulagen auf 350 Franken (Kinderzulagen) und 500 Franken (Ausbildungszulagen) einen gerechteren Ausgleich der Kinderkosten.
Zwanzig Jahre politische Arbeit waren nötig, bis endlich alle Familien in der Schweiz berechtigt waren, Familienzulagen zu beziehen. Dank dem Druck der Travail.Suisse-Volksinitiative „Für faire Kinderzulagen“ gelten seit 2009 einheitliche Mindestansätze für Kinder- und Ausbildungszulagen (Familienzulagen): 200 Franken für Kinderzulagen (bis 16 Jahre) und 250 Franken für Ausbildungszulagen (bis 25 Jahre). Auch Teilzeitarbeitende sind berechtigt, eine volle Zulage zu beziehen. Dank der von Travail.Suisse lancierten parlamentarischen Initiative „Ein Kind, eine Zulage“ sind neu ab 2013 auch alle selbständig erwerbenden Eltern berechtigt, für ihre Kinder Zulagen zu beziehen.
Gegenwärtige Ansätze zu tief
Diese Erfolge dürfen aber nicht darüber hinweg täuschen, dass die finanzielle Belastung durch Kinder in der Schweiz bei weitem nicht genügend ausgeglichen und die Leistungen, welche Familien für die Gesellschaft erbringen, nicht ausreichend entschädigt werden. Die Ansätze im Familienzulagengesetz stellen zwar nur einen Minimalstandard dar. Die Mehrheit der Kantone bezahlt für das erste und zweite Kind jedoch nicht mehr Familienzulagen als vorgeschrieben (15 Kantone).1 Es sind nur wenige Kantone, welche substanziell höhere Familienzulagen zahlen. Spitzenreiter 2012 sind die Kantone Genf und Zug bei den Kinderzulagen (je 300 Franken für die ersten beiden Kinder) sowie Wallis und Genf bei den Ausbildungszulagen (425 Franken bzw. 400 Franken für die ersten beiden Kinder). Vor allem die Kantone der Westschweiz zahlen zudem ab dem dritten Kind deutlich höhere Zulagen.
Direkte Kinderkosten deutlich höher als Kinderzulagen
Vergleicht man die Ansätze 2012 mit den vom Bundesamt für Statistik2 berechneten direkten und indirekten Kinderkosten in der Schweiz, wird klar: Es besteht weiterhin klarer Handlungsbedarf.
Ein Haushalt mit Kindern hat gegenüber einem Haushalt ohne Kinder von den Lebensmitteln über die Bekleidung, die Miete, die Mobilität oder zum Beispiel die Ferien diverse Mehrausgaben. Die direkten Kinderkosten zeigen auf, wie viel mehr Mittel ein Haushalt mit Kindern gegenüber einem gleichen Haushalt ohne Kinder benötigt, um das gleiche Wohlstandsniveau zu erreichen. Beim ersten Kind sind diese Kosten am höchsten. Der Anstieg beim zweiten oder dritten Kind ist etwas kleiner. Ein Paar hat für das erste Kind direkte Kosten von 819 Franken zu tragen. Ein Paar mit zwei Kindern braucht Zusatzeinnahmen von 1310 Franken (655 Franken pro Kind) um sein Wohlstandsniveau im Vergleich zu einem ähnlichen Haushalt ohne Kinder zu halten. Die höchsten Kinderkosten haben gemäss BFS Alleinerziehende zu tragen. Sie betragen 1092 Franken für das erste Kind.
Haushalt : Direkte Kinderkosten in CHF
Paar mit 1 Kind: 819
Paar mit 2 Kindern: 1310 (655 je Kind)
Paar mit 3 Kindern 1583: (528 je Kind)
Alleinerziehend mit 1 Kind: 1092
Quelle: BFS 2008
Indirekte Kinderkosten durch Einkommensausfall
Neben den direkten Mehrausgaben fallen für Familien auch verschiedene indirekte Kinderkosten an. Die gewichtigsten indirekten Kosten bestehen darin, dass Eltern (allermeistens die Mütter) ihr Erwerbspensum für die Erziehungsarbeit reduzieren müssen. Sie verzichten damit auf Einkommen, weil sie weniger arbeiten. Gleichzeitig sind die auf die Stunde berechneten Löhne insbesondere der Mütter tiefer als diejenigen der kinderlosen Frauen. Das hat damit zu tun, dass Teilzeitarbeitende weniger Karriere machen als Vollzeitarbeitende und in weniger gut entlohnten Jobs arbeiten. Diese kinderbedingten Einkommenseinbussen machen bei Frauen (bei 3 Kindern) bis zu 2000 Franken monatlich aus. Bei Vätern haben Kinder einen leicht positiven Effekt aufs Erwerbseinkommen. Aber selbst bei Berücksichtigung dieses Effekts entsteht dem typischen Elternpaar ein hoher Einkommensverlust. Bei einem Paar mit 2 Kindern verdient der Haushalt im Schnitt rund 1400 Franken weniger als er ohne Kinder verdienen würde.
Haushalt : Kinderbedingte Einkommensveränderung in CHF
Paarhaushalt Frau: minus 1005 (1 Kind) / minus 1626 (2 Kinder)
Paarhaushalt Mann: plus 57 (1 Kind) / plus 229 (2 Kinder)
Frau alleinerziehend, : minus 748
2 Kinder
Quelle: BFS 2008
Mit der Familie muss somit auch auf einen Teil der finanziellen Absicherung verzichtet werden: Mit dem tieferen Einkommen gehen auch Beiträge bei den Sozialversicherungen verloren. Das hat später in gewissen Sozialversicherungen (z.B. Berufliche Vorsorge, ALV) geringere Leistungen zur Folge. Die oben genannten Mehrausgaben und Einkommensverluste führen auch dazu, dass Familien tendenziell weniger Geld auf die hohe Kante legen können, um vorzusorgen.
Familienarbeit im Dienst der Gesellschaft
Eine weitere gewichtige Veränderung ist die Erhöhung der investierten Zeit für Haus- und Familienarbeit. Der Ansatz der indirekten Kinderkosten fragt auch, wie viel es kosten würde, wenn die kinderbedingte Haus- und Familienarbeit zu Marktpreisen abgegolten werden müsste. Bei Paaren mit 2 Kindern beträgt der kinderbedingte Mehraufwand bezüglich Haus- und Familienarbeit für die Mutter 113 Stunden pro Monat. Der Vater trägt zusätzliche 44 Stunden pro Monat bei. Zu Marktwerten gerechnet ergibt sich ein durchschnittlicher Zusatzaufwand von 3669 Franken durch die Mutter und 1436 Franken durch den Vater. Man kann diese geleistete Arbeit als freiwillige Leistungen betrachten, welche die Familien für die Gesellschaft erbringen. Auch wenn diese Leistungen nicht eins zu eins abgegolten werden können, stellen substanzielle Kinderzulagen eine Form der finanziellen Anerkennung dieser gesellschaftlich wertvollen Leistungen dar.
Viele Kosten, wenig finanzielle Entlastung
Werden Kinder familienextern betreut (Krippe, Tagesschule, Tagesmutter, etc.) kommen zusätzliche direkte Kosten auf die Familien zu. Diese betragen bei einem Paar mit 2 Kindern etwas mehr als 400 Franken monatlich. Trotz Prämienverbilligungen stellen zudem die für Kinder zu bezahlenden Krankenkassenprämien (durchschnittlich nach Abzug der Prämienverbilligungen 76 Franken pro Kind) eine weitere Zusatzbelastung dar. All diesen Kostenfaktoren stehen nur bescheidene finanzielle Entlastungsmassnahmen gegenüber: Neben den Kinderzulagen sind dies hauptsächlich die Leistungen der Mutterschaftsversicherung sowie gewisse steuerliche Entlastungsmassnahmen auf kantonaler und Bundesebene.
Es droht erneut ein kantonaler Flickenteppich
Die vorgestellten Zahlen zeigen: Wenn die Kinderzulagen einen angemessenen Beitrag an die Kosten der Familien sowie an die erbrachten Leistungen für die Gesellschaft darstellen sollen, müssen sie substanziell erhöht werden. Die erhöhten Ansätze in einzelnen Kantonen und die jüngst erfolgreiche Initiative im Kanton Genf zeigen, dass der Bedarf ausgewiesen ist. Die ausgewiesene Zusatzbelastung für Familien wird den Druck auf höhere Familienzulagen in verschiedenen Kantonen erhöhen. Damit drohen erneut ein Flickenteppich von kantonal verschiedenen Ansätzen und damit Ungerechtigkeiten. Genau dies wollte man mit den harmonisierten Familienzulagen verhindern.
Erhöhung auf 350 Franken Kinderzulagen und 500 Franken Ausbildungszulagen notwendig
Es führt deshalb kein Weg daran vorbei, die Mindestansätze für Familienzulagen gesamtschweizerisch auf ein realistisches Niveau anzuheben. Der Kongress von Travail.Suisse hat dies letztes Jahr erkannt. Travail.Suisse fordert eine Erhöhung der Familienzulagen auf 350 Franken (Kinderzulagen) bzw. 500 Franken (Ausbildungszulagen). Travail.Suisse wird sich deshalb in den kommenden Jahren in der Bundespolitik energisch für dieses Anliegen einsetzen.
1Vgl. Anhang: Ansätze Familienzulagen ab 1.1. 2012 in den einzelnen Kantonen
2BFS, Familien in der Schweiz. Statistischer Bericht 2008