2005 führte die Schweiz reichlich spät einen zu 80 Prozent bezahlten Mutterschaftsurlaub von 14 Wochen ein. Die eidgenössische Lösung sorgte für die landesweite Umsetzung einer Massnahme, die in vielen Unternehmen bereits eingeführt war. Die Auswirkungen der Einführung dieser neuen Sozialversicherung wurden von einer Studie des Bundesamtes für Sozialversicherungen bei über vierhundert Unternehmen und dreihundert Frauen analysiert.
Die in diesem Sommer veröffentlichte Studie des Bundesamtes für Sozialversicherungen wurde im Sommer 2011 durchgeführt1. Sie befasst sich mit den Auswirkungen der Einführung des Mutterschaftsurlaubs auf die Frauen sowie auf die Unternehmen. Zu diesem Zweck wurden qualitative und quantitative Befragungen durchgeführt. 402 Unternehmen nahmen an der Umfrage teil. Gleichzeitig mussten 1‘411 Frauen befragt werden, um genügend Personen (335 Frauen) zu finden, welche die Voraussetzungen zur Teilnahme an der Umfrage erfüllen, d.h. zwischen 20 und 40 Jahre alt sind, in den letzten fünf Jahren Arbeitnehmerin waren und ein Kind zur Welt gebracht haben.
Die Mehrheit der Betriebe hat von der Einführung des eidgenössisches Mutterschaftsurlaubs profitiert
Die Einführung des eidgenössischen Mutterschaftsurlaubs ermöglichte vielen Frauen, während ihrer Abwesenheit wegen Mutterschaft endlich einen Lohn zu beziehen. Vor 2005 gab es mehr Unternehmen, die keinen Mutterschaftsurlaub vorsahen (44 Prozent), als solche, die bereits einen eingeführt hatten (41 Prozent). Nicht überraschend ist, dass der Mutterschaftsurlaub in grossen Unternehmen mehr verbreitet war als in kleinen (42 Prozent der KMU bis 50 Angestellte gegenüber 67 Prozent der Unternehmen mit über 250 Angestellten) und dass er im tertiären Sektor häufiger war als im sekundären (60 Prozent der Banken, Versicherungen, Beratungs- und IT-Firmen gegenüber 35 Prozent im Handel, im Gastgewerbe und bei anderen Dienstleistungen).
Die Dauer der gewährten Mutterschaftsurlaube betrug bei einem Drittel der befragten Unternehmen bereits 14 Wochen. Ein Viertel der Unternehmen sah weniger vor und 23 Prozent mehr. Stossend ist, dass unter den befragten Unternehmen, die bereits einen Mutterschaftsurlaub kannten, derselbe Prozentsatz (23 Prozent) seine Leistungen nach unten korrigiert hat, um sie an das eidgenössische Minimum anzugleichen, während 74 Prozent ihre Bestimmungen beibehalten haben. Man darf nicht davon ausgehen, dass es sich hier um dieselben Unternehmen handelt, selbst wenn der Prozentsatz gleich ist. Die Unternehmen, welche die Gelegenheit zu einer Kürzung des Mutterschaftsurlaubs genutzt haben, sind hauptsächlich im sekundären Sektor (Industrie, Bau, Verkehr, Handel, Gastgewerbe) tätig. Die grosse Mehrheit (47 Prozent) der Unternehmen, die einen Mutterschaftsurlaub gewährten, bezahlten ihn bereits zu 80 Prozent des Lohnes und ein gutes Drittel gewährleistete den Lohn zu 100 Prozent.
Der Mutterschaftsurlaub vor 2005 wurde – vor allem in den kleinen Unternehmen – hauptsächlich über eine Erwerbsausfallversicherung (45 Prozent der Unternehmen) oder dann – was häufiger bei mittleren (über 100 Mitarbeitende) und grossen Unternehmen (über 250) vorkam – direkt aus den Eigenmitteln des Unternehmens (39 Prozent) finanziert.
Was die Sozialpartnerschaft betrifft, war der Mutterschaftsurlaub vor 2005 nur in 28 Prozent der Fälle in einem Gesamtarbeitsvertrag enthalten.
Die erzielten Einsparungen blieben in den Taschen der Unternehmen
Die Einführung des eidgenössischen Mutterschaftsurlaubs bedeutete für die Unternehmen eine finanzielle Erleichterung. Das sagt mehr als die Hälfte (56 Prozent), während es für 35 Prozent nicht zutrifft. Es erstaunt nicht, dass bei den Unternehmen, die ihren Mitarbeiterinnen selbst einen Mutterschaftsurlaub anboten, mehr der Meinung sind, dass die Einführung des eidgenössischen Mutterschaftsurlaubs eine finanzielle Erleichterung bedeutet (64 Prozent gegenüber 43 Prozent bei jenen, die vor 2005 keinen Mutterschaftsurlaub hatten). Sehr erstaunlich ist dagegen, dass das Geschlecht der Person, welche die Frage beantwortet hat, einen Einfluss hat: Der Anteil der Unternehmen, wo Frauen eine Einsparung bestätigen, ist grösser (61 Prozent der Unternehmen) als jener der Firmen, wo das Männer tun (48 Prozent). Dabei ist zu präzisieren, dass die Frauen in den Personaldiensten übervertreten sind (67 Prozent).
Die finanziellen Mittel, die durch die Einführung des zu gleichen Teilen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern finanzierten eidgenössischen Mutterschaftsurlaubs freigesetzt wurden, behielten die Unternehmen oft für sich (41 Prozent der Unternehmen). 23 Prozent haben sie genutzt, um ihren Mitarbeiterinnen mehr als das eidgenössische Minimum zu bieten, und 20 Prozent haben sie für die Finanzierung der Stellvertretung ihrer Mitarbeiterinnen während des Urlaubs eingesetzt. Lediglich 6 Prozent der befragten Unternehmen verwendeten dieses Geld für die Einführung eines bezahlten Vaterschaftsurlaubs, und nur 3 Prozent haben in eine interne Krippe investiert.
Heute dauert der Mutterschaftsurlaub in 58 Prozent der befragten Unternehmen 14 Wochen, während 29 Prozent einen längeren Urlaub bieten, wobei es sich hier vor allem um mittlere bis grosse Unternehmen in der öffentlichen Verwaltung2 und im Dienstleistungssektor handelt, und zwar meistens in der Westschweiz und im Tessin.
Bedenklich ist die Feststellung, dass man in einem von zehn Unternehmen nicht weiss, wie lange der Mutterschaftsurlaub dauert. Das zeigt, wie sinnvoll es ist, die Informations- und Sensibilisierungsbemühungen bei den Verantwortlichen der Unternehmen fortzuführen, wie das die kostenlose digitale Agenda mamagenda3 von Travail.Suisse tut.
Der Mutterschaftsurlaub ist lang genug für die Unternehmen, aber zu kurz für die Frauen
Während 68 Prozent der befragten Unternehmen der Ansicht sind, dass der 14-wöchige Mutterschaftsurlaub lang genug ist, sieht es bei den Frauen selbst anders aus. Von den 287 Frauen, die tatsächlich einen Mutterschaftsurlaub genommen haben, ist über die Hälfte (54 Prozent) der Meinung, dass die Dauer von 14 Wochen zu kurz ist. Der genannte Grund ist, dass sie ihr Kind länger stillen wollten. Hinzu kommen die 22 Prozent Frauen, welche diese Meinung teilen, aber aus anderen Gründen. Das bestätigt, dass die Frage der Lohnfortzahlung in den Stillpausen für die Frauen, die ihre Arbeit wieder aufnehmen, wirklich wichtig ist4. Nur 22 Prozent der Frauen sind der Ansicht, dass der 14-wöchige Urlaub bedarfsgerecht ist.
63 Prozent der Frauen kommen jedoch in den Genuss eines Mutterschaftsurlaubs, der länger als die 14 Wochen gemäss eidgenössischem Minimum dauert (gegenüber 27 Prozent, die 14 Wochen bezogen haben). Nur 8 Prozent haben einen kürzeren Urlaub genommen. Die Verlängerung des Mutterschaftsurlaubs wird meist vom Arbeitgeber finanziert (48 Prozent der Fälle). Interessant ist, dass der unbezahlte Urlaub für 37 Prozent der Frauen verlockend und möglich ist.
Die Frauen arbeiten weiter, weil sie gern arbeiten
Über 4 von 5 Frauen haben ihre Arbeit nach dem Mutterschaftsurlaub wieder aufgenommen. Die Gründe für die Rückkehr ins Erwerbsleben sind zunächst, dass die Frauen gern arbeiten und die Arbeit ihnen auf persönlicher Ebene viel bringt (Selbstvertrauen, Sinn, Veränderung): Diese beiden, ziemlich ähnlichen Gründe machen 44 Prozent aller Nennungen aus. Die finanziellen Gründe kommen an zweiter Stelle (38 Prozent der Nennungen), dann folgt der Wunsch, nicht auf die Karriere zu verzichten (31 Prozent der Nennungen). Lediglich 6 Prozent der genannten Gründe betreffen die Möglichkeit, Teilzeit zu arbeiten. Somit haben sich viele vorgefasste Meinungen als falsch erwiesen. Es sind jedoch die finanziellen Gründe, die ganz oben auf der vom BSV veröffentlichten Liste stehen, dies ganz einfach deshalb, weil die Antworten in mehrere unterschiedliche, aber sehr ähnliche Kategorien unterteilt wurden.
Die Frauen, die nicht auf ihre Karriere verzichten wollen, verfügen zum grössten Teil über eine höhere Ausbildung (87 Prozent der Frauen, die den Wunsch, nicht auf die Karriere zu verzichten, als Grund genannt haben). Die Frauen, für die ihre Arbeit eine persönliche Bereicherung bedeutet, leben hauptsächlich in der Deutschschweiz.
Die Frauen, die aus finanziellen Gründen weiterarbeiten müssen, kommen hauptsächlich aus der Westschweiz und haben ein tiefes bis mittleres Haushaltseinkommen, d.h. unter 5000 Franken oder zwischen 5000 und 9000 Franken im Monat.
Die Opferbereitschaft ist bei Frauen, die zu arbeiten aufhören, wenig verbreitet
Die Frauen, die ihre Berufstätigkeit eingestellt haben, waren oft jung (zwischen 20 und 30 Jahre), verfügten aber nicht zwingend über ein tiefes Haushaltseinkommen: 23 Prozent der Frauen, die ihre Arbeit eingestellt haben, gehörten zur Kategorie «tiefes Haushaltseinkommen» (unter 5000 Franken im Monat), während 7 Prozent der Frauen, die zu arbeiten aufgehört haben, über ein hohes Haushaltseinkommen verfügten (über 9000 Franken im Monat).
Die Gründe, die Frauen veranlassen, ihre Berufstätigkeit völlig einzustellen, sind in der Reihenfolge ihrer Bedeutung: Wunsch, für das Kind da zu sein (68 Prozent der frei gewählten Begründungen), Probleme betreffend Betreuungsinfrastruktur (Krippenplatz zu teuer, kein Krippenplatz, keine Tagesmutter oder Verwandte; 21 Prozent der Begründungen), erfolglose Suche nach einer Teilzeit-stelle (6 Prozent der Begründungen) und schliesslich Familieneinkommen, das eine Aufgabe der Berufstätigkeit ermöglicht (4 Prozent der Begründungen).
Diese Antworten sind mit viel Vorsicht zu geniessen, denn lediglich 44 Frauen haben diese Frage beantwortet. Die Opferbereitschaft ist entgegen dem, was der BSV-Bericht glauben lassen könnte, insgesamt sehr wenig verbreitet.
Die Schwangerschaft jeder zehnten Frau stört am Arbeitsplatz
Kolleginnen und Kollegen sowie Vorgesetzte reagieren meistens positiv auf die Ankündigung einer Schwangerschaft: Zwei Drittel der befragten Frauen fühlten sich unterstützt, was völlig normal scheint. Schon weniger normal ist, dass die Schwangerschaft bei einer von fünf Frauen zwiespältige und widersprüchliche Gefühle auslöst. Und gar nicht normal ist, dass jede zehnte Frau den Eindruck erhält, dass ihre Schwangerschaft für das berufliche Umfeld störend ist.
Mehr als die Hälfte der Frauen, die ihren Urlaub verkürzt haben, haben das nicht selbst entschieden
Selten sind die Frauen, die einen verkürzten Mutterschaftsurlaub nehmen. Wenn man diese 23 Frauen (von 287, also 8 Prozent) nach den Gründen fragt, geben 9 an, dass das der Wunsch ihres Arbeitgebers war, während 7 weitere die Gründe dafür nicht kennen. Nur 6 Frauen wollten den Mutterschaftsurlaub selbst verkürzen, und 5 weitere haben andere Gründe angegeben. So wurde mehr als der Hälfte der betroffenen Frauen der Anspruch auf einen vollständigen Urlaub von 14 Wochen verwehrt, was schlicht inakzeptabel ist.
Es ist schwierig, die richtigen Lehren aus dieser Studie zu ziehen, aber es lohnt sich, sie aufmerksam durchzulesen. Sie zeigt, dass der Mutterschaftsurlaub sieben Jahre nach seiner Einführung noch nicht alle Probleme lösen konnte, mit denen erwerbstätige Frauen konfrontiert sind, wenn sie Mutter werden.
1Zu finden unter: http://www.bsv.admin.ch/dokumentation/publikationen/00098/index.html
2Die jährliche Umfrage zu den Elternurlauben von Travail.Suisse bestätigt das. Siehe Medienservice vom 4. Juni 2012 (http://www.travailsuisse.ch/de/node/3192)
4Siehe Medienservice 14 vom 22. Oktober 2012. In der Wintersession äussert sich der Ständerat zur Ratifizierung des Übereinkommens über den Mutterschutz (Nr. 183) der IAO. Er sollte der grossen Kammer folgen, die das Verfahren in der Herbstsession gutgeheissen hat. So sollte diese Angelegenheit demnächst einen glücklichen Ausgang finden.