In der 2. Säule ist die Frage des Mindestumwandlungssatzes wieder auf dem Tisch. Soll in der beruflichen Vorsorge eine politische Blockade verhindert werden, muss das künftige Rentenniveau der Arbeitnehmenden auch bei einer Senkung des Mindestumwandlungssatzes gesichert werden. Dafür notwendige Beitragserhöhungen sind aber nur akzeptabel und durchsetzbar, wenn die grossen Abflüsse zugunsten der Versicherungsindustrie massiv reduziert werden. Travail.Suisse verlangt vom Arbeitgeberverband, dass auch er sich diesen Diskussionen stellt, statt mit der Rentenaltersdiskussion ein politisches Ausweichmanöver zu starten, welches die Lösungssuche nur verzögert.
Mit dem Bericht zur Zukunft der 2. Säule ist die Diskussion um eine allfällige Senkung des Mindestumwandlungssatzes (MUS) wieder lanciert worden. Travail.Suisse hat im Rahmen des Anhörungsverfahrens eine Senkung des MUS nicht a priori ausgeschlossen1. Der Dachverband von 170‘000 Arbeitnehmenden anerkennt grundsätzlich die gestiegene Lebenserwartung sowie die gegenwärtig tiefen Renditen. Es ist deshalb nachvollziehbar, dass in diesem Kontext über eine Anpassung des MUS nachgedacht wird. Hingegen fordert Travail.Suisse umfassende Ausgleichsmassnahmen. Für die versicherten Arbeitnehmenden ist letztlich nicht die technische Diskussion um den Umwandlungssatz entscheidend, sondern welche Rente sie insgesamt künftig bekommen. Das klare Nein der Stimmbevölkerung im Jahr 2010 zur Senkung des MUS ohne jegliche Ausgleichsmassnahmen war Ausdruck dafür, dass die Bevölkerung nicht bereit ist, Rentensenkungen hinzunehmen. Travail.Suisse fordert deshalb Ausgleichsmassnahmen, welche die heutigen Renten garantieren.
Mindestumwandlungssatz muss im Gesetz bleiben
Der Bericht schlägt mit Zustimmung der BVG-Kommission vor, die Festlegung des MUS künftig nicht mehr im Gesetz zu regeln, sondern an den Bundesrat zu delegieren oder ganz wegzulassen. Für Travail.Suisse ist ein solcher Weg zum Scheitern verurteilt. Der MUS ist keine rein technische Grösse. Die Bundesverfassung schreibt fest, dass die 1. Und 2. Säule zusammen eine Fortsetzung der bisherigen Lebenshaltung in angemessener Weise sicherstellen müssen (Leistungsziel). Die Senkung oder Aufhebung des MUS beeinflusst ohne weitere Ausgleichsmassnahmen die Erreichung dieses Leistungsziels stark. Deshalb ist es wichtig, dass über die Beratung im Parlament und über ein allfälliges Referendum eine öffentliche Diskussion erfolgt. Nach der Rückweisung der Rentensenkung von fast drei Vierteln der Stimmbevölkerung ist es demokratiepolitisch inakzeptabel, die Kompetenz zur Bestimmung des MUS nun dem Parlament und der Bevölkerung wieder zu entziehen.
Ausgleichsmassnahmen müssen Rentenhöhe garantieren
Soll eine Senkung des MUS sozialverträglich und mehrheitsfähig sein, müssen die Renten unabhängig von der Höhe des Umwandlungssatzes gesichert werden. Die langfristig zentrale Massnahme zur Sicherung der Rentenhöhe ist für Travail.Suisse die weitere Senkung des Koordinationsabzuges. Diese hat sich in der 1. BVG-Revision bewährt und entspricht einer Erhöhung des versicherten Verdienstes. Die Senkung des Koordinationsabzugs wirkt gezielt im BVG-Obligatorium und wertet die heute im BVG benachteiligte Teilzeitarbeit auf2. Das ist gesellschaftspolitisch und auch angesichts des sich abzeichnenden Fachkräftemangels absolut notwendig.
Kurzfristig wirksame Ausgleichsmassnahmen unerlässlich
Da eine Senkung des Koordinationsabzuges auf die Renten der älteren Versicherten nur eine beschränkte Wirkung hat, sind auch kurzfristig wirksame Ausgleichsmassnahmen sozialpolitisch unerlässlich. Auch um überhaupt Chancen auf eine mehrheitsfähige Vorlage zu haben, sind diese angezeigt. Solange die oben beschriebene Senkung des Koordinationsabzuges nicht reicht, um die gegenwärtige Höhe der Rente zu sichern, muss ein Rentenzuschlag direkt an die Versicherten ausgerichtet werden. Für Travail.Suisse steht hier eine Lösung über die AHV im Zentrum. Diese soll den von der allfälligen Senkung des Umwandlungssatzes Betroffenen die Differenz der Rente gemäss altem und neuem Umwandlungssatz auszahlen. Diese Lösung ist einfach und verständlich. Der administrative Zusatzaufwand ist klein. Die dafür erforderliche Zusatzfinanzierung ist durch den Bund sicher zu stellen. Bundesrat Berset hat angekündigt, dass er die Altersvorsorge wieder vermehrt gesamthaft betrachten und damit die erste und zweite Säule zusammen analysieren will. Ausgleichsmassnahmen, welche über die AHV abgewickelt würden, wären ein erster Schritt dazu.
Widerspruch auflösen, Geldabflüsse stoppen
Die Versicherten nehmen es zu Recht als Widerspruch wahr, wenn einerseits Leistungskürzungen oder Zusatzbeiträge propagiert werden und gleichzeitig viel Geld aus dem Vorsorgekreislauf abfliesst. Das ist heute bei den in der beruflichen Vorsorge tätigen Lebensversicherern der Fall. Jahr für Jahr kassieren die Versicherungsgesellschaften auf Kosten der Arbeitnehmenden aufgrund einer zu generösen Umsatzbeteiligung 600 Millionen Franken an Vorsorgegeldern ab. Travail.Suisse macht seit längerem darauf aufmerksam, dass die überhöhten Gewinne der Lebensversicherer das Vertrauen der Bevölkerung in die 2. Säule untergraben3. Eine substanzielle Verbesserung zugunsten der Arbeitnehmenden in der Problematik der Mindestquoten-Regelung („Legal Quote“) ist unerlässliche Bedingung, damit auf eine Diskussion zur Senkung des Umwandlungssatzes überhaupt eingetreten werden kann. Erst wenn ungerechtfertigte Geldabflüsse unterbunden werden, kann überhaupt objektiv festgestellt werden, welcher finanzielle Zusatzbedarf in der 2. Säule besteht. Wird die heutige Praxis beibehalten, wird dies zu einer Blockade des Systems und einem erhöhten Druck auf einen Rückzug der Lebensversicherer aus dem Geschäft der 2. Säule führen. Der Kongress von Travail.Suisse hat letztes Jahr entschieden, eine entsprechende Initiative zu prüfen.
Unverständliches Ablenkungsmanöver des Arbeitgeberverbands
Wer eine politische Blockade verhindern, das Votum der Bevölkerung gegen Rentensenkungen ernst nehmen und den MUS trotzdem an die aktuellen Gegebenheiten anpassen will, tut gut daran, die überhöhten Gewinne der Versicherungsgesellschaften in einer Sozialversicherung einzudämmen und Ausgleichsmassnahmen zur Sicherung der Rentenhöhe vorzusehen. Unverständlich ist vor diesem Hintergrund das Verhalten des Arbeitgeberverbands. Statt sich der Thematik anzunehmen, führt er ein politisches Ablenkungsmanöver durch: Er lanciert erneut die Diskussion um ein höheres Rentenalter. Erstens muss diese Diskussion, wenn schon, in der AHV geführt werden. Zweitens zielt eine Anhebung des Rentenalters über 65 an den Realitäten des Arbeitsmarkts vorbei, wenn zwischen 63 und 64 Jahren rund die Hälfte der Arbeitnehmenden gar nicht mehr auf dem Arbeitsmarkt tätig ist. Und drittens ist eine Anhebung des Rentenalters auch sachlich nicht zielführend: Wenn überhaupt, wäre eine solche Massnahme nur mit sehr langen Übergangsfristen politisch mehrheitsfähig. Wenn jedoch – wie beim Umwandlungssatz behauptet – schon bald Handlungsbedarf besteht, bringt eine Erhöhung des Rentenalters nicht den gewünschten finanziellen Effekt. Der Arbeitgeberverband weicht damit der Thematik der notwendigen Ausgleichsmassnahmen bezüglich Rentenhöhe aus. Eine Rentenaltererhöhung ist für die Bevölkerung keine Ausgleichsmassnahme, sondern ein Leistungsabbau. Der Arbeitgeberverband erschwert damit eine konstruktive Lösung und nimmt das im Rahmen der Abstimmung 2010 erfolgte klare Votum der Bevölkerung gegen den Leistungsabbau nicht ernst.
1Siehe ganze Stellungnahme zur Anhörung unter http://www.travailsuisse.ch/de/node/3163
2Heute wird auch bei Teilzeitarbeit der ganze Koordinationsabzug von 24‘360 Franken abgezogen und nur der verbleibende Lohnanteil der beruflichen Vorsorge unterstellt.
3Die vergessenen Milliarden – die Gewinne der Lebensversicherungen in der 2. Säule“ auf http://www.travailsuisse.ch/de/node/3010