Ende Juni wird in Rio de Janeiro in Brasilien die UNO-Konferenz «Rio+20» stattfinden. Das «grüne Wachstum» ist derzeit in aller Munde, es sollten davon aber keine Wunder erwartet werden. Genau 20 Jahre nach dem Gipfel von Rio braucht es für Fortschritte in Richtung einer nachhaltigen Entwicklung mehr denn je einen gerechten Wandel und menschenwürdige Arbeit.
1992 wurde am Erdgipfel in Rio die Agenda 21 verabschiedet. Dieses Aktionsprogramm gilt als wichtigste Orientierungshilfe auf dem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung1. Eine Bilanz 20 Jahre nach dem Gipfel zeigt jedoch, dass dieser Paradigmenwechsel nicht die erwartete Wirkung brachte: Noch immer ist die Menschheit daran, die Erde zu zerstören, und die Ungleichheiten sind eklatanter denn je. Die reichen Länder fordern weiterhin den Abbau der Zollschranken und der Industriesubventionen in den Entwicklungsländern, während sie nach wie vor ihre Landwirtschaft massiv subventionieren und Fortschritte beispielsweise bei den Medikamenten nicht in den Dienst der gesamten Menschheit stellen.
In diesem wenig erfreulichen Kontext tritt zunehmend ein neues Konzept an die Stelle der nachhaltigen Entwicklung: das «grüne Wachstum». Dieses neue Patentrezept soll Umweltschutz unter einen Hut bringen mit… Wachstum!
Die Grenzen der Erde
Damit «grünes Wachstum» mit den Grenzen des Ökosystems vereinbar ist, müssten die reichen Länder ihre Treibhausgasemissionen bis 2050 auf einen Fünftel reduzieren, die Biodiversität erhalten und deutlich weniger fossile Energieträger und Wasser verbrauchen.
Mit «grünem Wachstum» allein sind diese Ziele nicht erreichbar. Um die CO2-Emissionen auf einen Fünftel des heutigen Ausstosses zu reduzieren, müsste zum Beispiel ein Land wie Frankreich seine Emissionen während 40 Jahren um jährlich 4 Prozent senken. Das wäre pro Jahr so viel, wie in den vergangenen zehn Jahren insgesamt eingespart wurde, wenn das Kriterium der im Land erzeugten Emissionen herangezogen wird. Schon ohne Wachstum wäre dies schwierig. Bei einem Wachstum von 2 Prozent pro Jahr jedoch müssten die Emissionen um 6 Prozent jährlich gesenkt werden2. Mit anderen Worten: Grünes Wachstum allein ist kein Garant für Nachhaltigkeit.
Vernachlässigte soziale Dimension
Zudem fehlt beim Konzept der «Green Economy» eine grundlegende Dimension der nachhaltigen Entwicklung: Gerechtigkeit. Überall in der Welt nehmen die Ungleichheiten zu. Eine aktuelle Studie3 der OECD bestätigt, dass die Kluft zwischen Reich und Arm in den 34 OECD-Mitgliedsländern derzeit so gross ist wie seit 30 Jahren nicht mehr. Heute verfügen die reichsten 10 Prozent der Bevölkerung über ein 9-mal höheres Durchschnittseinkommen als die ärmsten 10 Prozent. Die Schere hat sich dabei auch in Ländern mit traditionell geringeren sozialen Unterschieden wie Deutschland, Dänemark oder Schweden geöffnet: das Verhältnis ist von 5:1 in 80er-Jahren auf heute 6:1 gestiegen.
Deshalb muss die Schlusserklärung der «Rio+20»-Konferenz auch Themen wie Umverteilung, faire Arbeitsbedingungen im Sinne der Agenda für menschenwürdige Arbeit der IAO und Chancengleichheit berücksichtigen.
In diese Richtung sollte auch das Verhandlungsmandat der Schweiz gehen. Bisher fehlen jedoch soziale Aspekte. Unser Land konzentriert sich auf den Ansatz der Green Economy und vergisst die soziale Dimension. Travail.Suisse verlangt von der Schweiz, dass sie die Bestimmungen zu einem «gerechten Wandel für die Erwerbstätigen durch die Schaffung menschenwürdiger Arbeit und hochwertiger Arbeitsplätze» aufnimmt, die für die Beschlüsse der UNO bei den Klimaverhandlungen in Cancun (2010) und Durban (2011) präsentiert wurden.
Konkret bedeutet dies:
- Beteiligung der Arbeitnehmenden an der Bewältigung des wirtschaftlichen Wandels, an Unternehmensrestrukturierungen und an Weiterbildungsprogrammen, da der Klimawandel und die unumgängliche massive Reduktion der Treibhausgase weitreichende Folgen für Wirtschaft und Beschäftigung haben werden.
- Einhaltung des Arbeitsrechts und der übrigen Menschenrechte zur Gewährleistung eines solchen gerechten Wandels.
- Ein Sockel an sozialem Schutz zur Gewährleistung der sozialen Gerechtigkeit und eine faire Globalisierung im Sinne der Empfehlung, die in der Internationalen Arbeitskonferenz diskutiert wird.
Zur Umsetzung eines solchen Programms für eine nachhaltige Entwicklung braucht es finanzielle Mittel. Deshalb verlangen wir auch, dass die Möglichkeit einer Gebühr für internationale Finanztransaktionen ernsthaft geprüft wird. Denn die Deregulierung der Finanzmärkte war für die globale Wirtschaftskrise von 2008 und 2009 verantwortlich, deren Folgen heute noch spürbar sind, insbesondere in Spanien. Eine solche Steuer wäre das Sandkorn ins Räderwerk der internationalen Finanzwelt, das es braucht, um Spekulationen Einhalt zu gebieten und gleichzeitig Ressourcen zur Finanzierung einer nachhaltigeren, gerechteren Welt freizumachen.
1Unter einer nachhaltigen Entwicklung wird eine Entwicklung verstanden, die den Bedürfnissen der jetzigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen. Sie beinhaltet eine soziale, eine ökologische und eine wirtschaftliche Dimension, die voneinander abhängig sind.
2Thomas Coutrot und Jean Gadrey, «Green growth is called into question», ETUI Policy Brief. European Economic, Employment and Social Policy, Nr. 3/2012.
3OECD. 2011. Divided We Stand: Why Inequality Keeps Rising: 400 Seiten, 2011. Paris