Die Energiestrategie 2050 wird einschneidende Folgen für Wirtschaft und Beschäftigung haben, geht darauf aber nicht näher ein. Neben den geplanten Zielen und Massnahmen für 2020, 2035 und 2050 gilt es deshalb auch sorgfältig zu prüfen, wie sich die Strategie auf Innovation, Wirtschaft, Bildung und Beschäftigung auswirken wird. Die Schweiz darf die Gelegenheit nicht verpassen, diese Strategie auch als Instrument zu nutzen, um die Innovation und Wettbewerbsfähigkeit des Werkplatzes Schweiz zu stärken und zehntausende von Arbeitsplätzen zu schaffen.
Travail.Suisse wird im Rahmen des für Ende Sommer geplanten Vernehmlassungsverfahrens detailliert Stellung zur Energiestrategie 2050 nehmen. Da jedoch bereits ein runder Tisch stattfand, zu dem Doris Leuthard, Vorsteherin des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) eingeladen hatte und an dem Travail.Suisse teilnahm, präsentieren wir nachfolgend erste Überlegungen zu diesem Thema.
Einleitend möchten wir daran erinnern, dass sich die Schweiz erst nach dem tragischen Atomunfall von Fukushima dazu durchringen konnte, den Weg eines etappenweisen Atomausstiegs zu beschreiten. Noch kurz vor diesem Ereignis stand der Bau von einem oder mehreren Atomkraftwerken zur Debatte. Inzwischen hat ein radikaler Richtungswechsel stattgefunden, und im Gegensatz zu früheren Behauptungen bestätigen Modellprognosen des UVEK, dass ein schrittweiser Atomausstieg machbar ist.
Travail.Suisse befürwortet die Ziele und Massnahmen der Energiestrategie 2050, die hauptsächlich darauf abzielt, den Verzicht auf die Atomenergie zu kompensieren. Besonders wichtig sind unseres Erachtens folgende geplanten Massnahmen:
- Stromverbrauch senken
- Stromangebot verbreitern (erneuerbare Energien)
- Energieeffizienz verbessern (vor allem mit dem Gebäudesanierungsprogramm)
- Stromnetze ausbauen (Smart Grids, Elektrizitätsnetze)
- Energieforschung verstärken (dazu müssen die Mittel aber aufgestockt werden!)
Was in dieser Strategie eindeutig fehlt, sind Vorstellungen dazu, welche Rolle der Aspekt der Innovation spielen soll, und wie die Folgen der Strategie für Wirtschaft und Beschäftigung zu beziffern sind.
Schon lange vor dem Atomunfall von Fukushima war Travail.Suisse überzeugt, dass es machbar ist, die Energieversorgung unseres Landes hauptsächlich auf erneuerbare Energien abzustützen. Travail.Suisse sah darin auch eine Chance zur Schaffung einer beträchtlichen Anzahl neuer Arbeitsplätze in den Bereichen Energieeffizienz und Entwicklung erneuerbarer Energien. Deshalb entschieden wir uns auch für eine Beteiligung im Komitee der Cleantech-Initiative, die im Januar 2012 eingereicht wurde1.
Soziale Dimension nicht vergessen
Da der Bundesrat die Ziele dieser Initiative befürwortet, erwartet Travail.Suisse nun, dass er sie auch in die Energiestrategie 2050 aufnimmt. Denn wenn sich die Schweiz am Ziel der Initiative orientiert, legt sie damit die Basis für einen technologischen Quantensprung und die Schaffung von zehntausenden von Arbeitsplätzen mit unterschiedlichem Anforderungsprofil. Aus diesem Grund beurteilt Travail.Suisse die Energiestrategie 2050 nicht nur nach dem Gesichtspunkt der Energieziele, sondern auch danach, wie sie sich auf Innovation, Wettbewerbsfähigkeit und die Schaffung von Arbeitsplätzen auswirkt.
Die Energiestrategie kann nicht ohne die damit verbunden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen beurteilt werden, denn sie hat auf folgende Bereiche einen weitreichenden Einfluss:
- Innovation und Forschung (das Fundament des Schweizer Wohlstands). Es ist bedauerlich, dass die Strategie nicht festlegt, wie und in welchen wichtigen Energiebereichen die Innovation in der Schweiz vorangetrieben werden soll;
- Arbeitsplätze (Schaffung von Arbeitsplätzen in neuen Sektoren, aber auch Abbau in anderen Sektoren wie Strassenverkehr, fossile Energieträger usw.);
- Soziale Aspekte und Rückverteilung, zum Beispiel mit der Erhöhung der CO2-Abgabe und der kostendeckenden Einspeisevergütung (KEV) sowie einer noch nicht genau definierten Steuerreform. Die Steuererhöhungen werden sich je nach Einkommenskategorie unterschiedlich auswirken. Deshalb müssen Rückverteilungsmechanismen vorgesehen werden, da die tiefen und mittleren Einkommen durch eine regressive Steuer sonst zu stark belastet werden.
Die Modellrechnungen des UVEK zeigen, dass die Produktion aus erneuerbaren Energien um ein Drittel gesteigert werden muss, d.h. um rund 23 TWh (die heutigen fünf Atomkraftwerke produzieren derzeit 25 TWh), um den schrittweisen Verzicht auf Atomstrom, der heute 40% der Stromproduktion ausmacht, zu kompensieren. Am meisten werden dazu die Photovoltaik (10,4 TWh), die Geothermie (4,4 TWh) und die Windenergie (4 TWh) beitragen. Bis 2050 muss der Stromverbrauch in drei Etappen um insgesamt 21 TWh gesenkt werden, d.h. um 21 Milliarden kWH, was einem Viertel des Verbrauchs entspricht.
Die Kosten für den Atomausstieg werden auf 30 Milliarden Franken beziffert (1 Milliarde pro Jahr), die Ausgaben zur Erweiterung und Sanierung der Netze zur Stromübertragung und -verteilung auf 18 Milliarden. Dies wird beträchtliche Investitionen erfordern. Hinzu kommt eine Verdoppelung der Mittel für das Programm zur energetischen Gebäudesanierung (300 bis 600 Mio.). Der pro kWH für die KEV erhobene Zuschlag wird künftig mit insgesamt 1,2 Milliarden fast viermal so hoch sein wie heute.
Angesichts dieser Beträge hält es Travail.Suisse für unabdingbar, die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen zu analysieren. Sie fordert insbesondere eine eingehendere Prüfung der Auswirkungen auf Investitionen und Beschäftigung (Zahl, Qualifikation, betroffene Sektoren usw.).
Ausbildungsangebot anpassen
Besondere Aufmerksamkeit verdient auch der Bereich der Berufsbildung. Denn zur Entwicklung erneuerbarer Energien und für eine höhere Energieeffizienz braucht es Anpassungen in gewissen Berufsfeldern, Übergänge für Umschulungen usw. Sonst besteht die Gefahr, dass es an qualifizierten Arbeitskräften fehlt, die mit der technologischen Entwicklung Schritt halten können. In diesem Sinne begrüsst Travail.Suisse die Bildungsinitiative, die im Rahmen des Programms Energie Schweiz geplant ist. Wir hoffen, dass die finanziellen Mittel des Programms, die von derzeit 26 Millionen Franken auf 55 Millionen Franken im Jahr 2015 aufstockt werden, ausreichen. Der Betrag scheint uns eher knapp, denn mit dem Zusatzbetrag müssen sowohl die Ausweitung des Programms als auch die Bildungsinitiative im Energiebereich und die Stärkung des Technologietransfers (Pilot- und Demonstrationsanlage) finanziert werden.
Erfreulich ist die Erkenntnis, dass durch die Kompensation des Atomstroms die klimapolitischen Ziele nicht in Frage gestellt werden. Travail.Suisse möchte aber den Einsatz von Gaskraftwerken auf das absolute Minimum und eine Übergangsphase beschränken, damit die CO2-Bilanz der Schweiz möglichst gut ausfällt.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die geplanten Massnahmen richtig und wichtig sind, dass es aber noch eine Analyse zu den damit verbundenen Auswirkungen auf Wirtschaft und Beschäftigung braucht. Die Energiestrategie 2050 darf sich nicht darauf beschränken, einen Weg für den Atomausstieg festzulegen, sondern sie muss zu einer umfassenden Strategie für die Energieversorgung in der Schweiz auf der Grundlage erneuerbarer Energien ergänzt werden. Eine solche Strategie muss auch klimapolitische Ziele aufnehmen und dafür sorgen, dass neue wirtschaftliche Chancen genutzt und damit zehntausende von nachhaltigen, zukunftsweisenden Arbeitsplätzen geschaffen werden.
1Siehe unser Dokument «Cleantech-Initiative. Ein wichtiger Beitrag zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zum Wohlstand der Schweiz», 18 Seiten. www.travailsuisse.ch/de/node/2879