Avenir Suisse fordert ein Fitnessprogramm für die Schweizer Hochschulen: mehr Wettbewerb, weniger Politik. Geistes- und Sozialwissenschaftler halten das Rezept nicht für zielführend.
Im Januar hat die Denkfabrik Avenir-Suisse eine Studie zur Thematik der Hochschulen publiziert. „Exzellenz statt Regionalpolitik im Hochschulraum Schweiz“, so der vielsagende Titel. Im knapp 100 Seiten langen Bericht fordert die mehrheitlich von Unternehmen finanzierte Organisation in erster Linie mehr Qualität statt Wachstum in die Breite. Um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können, müssten die finanziellen Mittel gezielter eingesetzt werden – also nach Meinung der Verfasser stärker in der Spitzenforschung und –lehre, aber weniger den regionalen Interessen verpflichtet. Ansonsten drohe eine Nivellierung nach unten.
Damit ist Markus Zürcher nicht einverstanden. Der Generalsekretär der der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften erinnert an die grosse Bedeutung, die vor allem Fachhochschulen für die regionale Wirtschaft haben. Sie seien ein Standortvorteil für die Ansiedelung neuer Firmen, weil sie qualifizierte Fachkräfte hervorbringen und anwendungsorientierte Entwicklungen ermöglichen. Und nicht zuletzt hätten die Bildungsinstitutionen auch gesellschaftlich einen grossen Wert: Sie ziehen junge Leute an, die Leben in kleinere Städte wie etwa Chur bringen. Eine Zweiklassengesellschaft, wie sie die USA mit ihren rund sieben Top-Universitäten unterstützt, findet Zürcher nicht erstrebenswert.
Forschen um des Geldes willen
Weiter fordert die Denkfabrik eine andere Ausrichtung der Finanzierung. Der Wettbewerb soll insbesondere bei den Forschungsgeldern intensiviert werden und die Wirtschaft soll sich stärker engagieren, wobei mit transparenten vertraglichen Regelungen die inhaltliche Einflussnahme verhindert werden soll. Auch dies hält Zürcher für keine gute Idee. In den letzten zehn Jahren habe sich die kompetitive Finanzierung sowieso schon beinahe verdoppelt, während die Grundfinanzierung weniger stark zugenommen habe, erklärt er. Der stärkere Wettbewerb führe zu vielen Leerläufen: Das Verfassen von Forschungsgesuchen und deren Begutachtung nehmen viel Zeit in Anspruch. Unter dem Druck, unmittelbar verwertbare Resultate zu liefern, geben sich Wissenschaftler zu grossen Versprechungen hin. Auch wenn sich schon nach wenigen Monaten abzeichnet, dass der Ansatz nicht funktioniert, werden Projekte häufig bis ans Ende der Laufzeit durchgezogen, um der Forschergruppe das Geld nicht zu entziehen. Viele vorschnell publizierte Resultate können nicht mit Anschlussstudien bestätigt werden. „Es fehlt an Kontinuität“, stellt Zürcher fest. Zudem sei es oft die von Neugier getriebene, scheinbar nutzlose Grundlagenforschung, welche das Terrain für die Innovationen von übermorgen bereite. Und mit der immer stärkeren finanziellen Unterstützung von Unternehmen und Stiftungen bestehe die Gefahr der Einseitigkeit: „Life Sciences würden stark gefördert, während Geisteswissenschaften kaum eine Chance hätten.“
Wirtschaft im Wandel ist auf Flexibilität angewiesen
Einige Punkte, welche die Studie aufgreift, werfen aber durchaus Fragen auf. Wieso zum Beispiel betreibt die Universität Luzern seit 2014 eine wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, obwohl die Hochschule Luzern – eine Fachhochschule – schon länger eine starke Managementausbildung anbietet? Auch in Zürich betreiben Universität und ETH in nächster Nähe Chemiestudiengänge mit vergleichbarer Ausrichtung. Solche Doppelspurigkeiten würden nicht zu einem gesunden Qualitätswettbewerb führen, hält Avenir Suisse fest. Diesen Kritikpunkt lässt Markus Zürcher halbwegs gelten. Es gelte aber zu bedenken, dass sich verschiedene Fachrichtungen an derselben Institution gegenseitig befruchten. „Eine Hochschule, die stark in Recht und Wirtschaft ist, sollte gleichzeitig auch gute Englischkenntnisse vermitteln.“ Was Absolventen auf dem Arbeitsmarkt abhebe, seien einzigartige Kombinationen wie etwa Juristen, die zugleich über kunstwissenschaftliches Wissen verfügen oder Betriebswirtschafter, die eine nicht europäische Sprache sprechen.
Legitim findet der Vertreter der Geistes- und Sozialwissenschaften das Anliegen, MINT-Fächer (Mathematik-Informatik-Naturwissenschaften- Technik) stärker zu fördern. Jedoch solle dies nicht auf Kosten anderer Studienrichtungen geschehen, betont Zürcher. Denn zu viele Abgänger gebe es lediglich in einigen wenigen Fächern wie etwa Geschichte und Psychologie. Dagegen seien Menschen mit Kenntnissen der Slawistik sowie indischer oder alter Sprachen äusserst gefragt. „Und wer hätte vor 20 Jahren gedacht, dass Islamwissenschaften bald wichtig werden?“, fragt er rhetorisch. Zwei Drittel der Jobs von 2040 seien heute noch gar nicht bekannt. Und auch unter den Geistes- und Sozialwissenschaftlern sei die Arbeitslosenquote tief, argumentiert Markus Zürcher. „Wir brauchen motivierte, flexible und glückliche junge Leute, die Grundkompetenzen mitbringen.“