Das Hauptziel des Arbeitsgesetzes (ArG) und seiner Verordnungen ist der Schutz der physischen und psychischen Gesundheit der Arbeitnehmenden vor Schädigungen infolge der beruflichen Tätigkeit. Mobbing oder psychologische Belästigung am Arbeitsplatz gehört zu den zunehmenden psychosozialen Risiken, die hohe Kosten für die Gesellschaft verursachen. Doch momentan gibt es keine gesetzliche Definition dieses Begriffs, die einen besseren Schutz der Arbeitnehmenden begünstigen würde. Travail.Suisse, der unabhängige Dachverband der Arbeitnehmenden, spricht sich daher – wie die Motion «Gesundheit am Arbeitsplatz. Es ist an der Zeit, gegen Mobbing vorzugehen» – dafür aus, die rechtliche Lage zu klären.
Das Arbeitsgesetz (ArG) soll die Gesundheit der Arbeitnehmenden vor unerträglichen Beeinträchtigungen am Arbeitsplatz schützen. Mit den durch den Wandel in der Arbeitswelt begünstigten neuen beruflichen Anforderungen haben sich auch die Gesundheitsprobleme verändert und es sind neue Risiken entstanden. Vor diesem Hintergrund hat der Begriff «psychosoziale Risiken» in den letzten Jahrzehnten in Bezug auf die Fragen zur Gesundheit der Arbeitnehmenden an Bedeutung gewonnen. Zu diesen Risiken gehört auch Mobbing oder psychologische Belästigung. 2014 hat das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) zu diesem Thema eine Broschüre herausgegeben, die 2016 neu aufgelegt wurde und die ein Phänomen beleuchtet, das nicht zu unterschätzen ist. Mobbing kann die Gesundheit der Arbeitnehmenden nicht nur stark beeinträchtigen – gemäss Studien1 zeigen Betroffene ähnliche Symptome wie bei posttraumatischen Belastungsstörungen –, sondern führt zu Einnahmenausfällen bei den Arbeitgebern und zu höheren Kosten für die Gesellschaft. Es ist daher wichtig, dass die Präventions- und Schutzmassnahmen auf rechtlicher Ebene verstärkt werden. Denn heute ist Mobbing rechtlich nicht genau definiert, was eine gewisse juristische Unsicherheit nach sich zieht. Daher unterstützt Travail.Suisse die Motion Reynard 17.3809 «Gesundheit am Arbeitsplatz. Es ist an der Zeit, gegen Mobbing vorzugehen», die eine Änderung der heutigen Gesetzgebung verlangt, um eine Legaldefinition von Mobbing einzuschliessen.
Präziseres Gesetz gefordert
Um heute rechtlich gegen Mobbing vorzugehen, ein psychosoziales Risiko infolge einer Verletzung der persönlichen Integrität, muss man sich auf allgemeine Normen zum Schutz der Persönlichkeit und der Gesundheit abstützen. Es gibt im Obligationenrecht (OR) oder im Arbeitsgesetz noch keine spezifische Regelung. Das Arbeitsgesetz regelt in Artikel 6 Absatz 1, dass der Arbeitgeber zum Schutz der persönlichen Integrität der Arbeitnehmenden alle Massnahmen zu treffen hat, die notwendig sind. Auch Artikel 2 der Verordnung 3 zum Arbeitsgesetz (ArGV3) untermauert dieses Grundprinzip. Gemäss Artikel 328 Absatz 1 OR hat der Arbeitgeber – analog dem Arbeitsgesetz – die Persönlichkeit des Arbeitnehmers zu achten und zu schützen. In diesem Rahmen können sich die Arbeitnehmenden an ein Zivilgericht wenden, wenn gegen dieses Recht verstossen wird. Das Bundesgericht hat in einem seiner Entscheide in Anwendung dieses Artikels Mobbing wie folgt definiert: «Ein systematisches, feindliches, über einen längeren Zeitraum anhaltendes Verhalten, mit dem eine Person an ihrem Arbeitsplatz isoliert, ausgegrenzt oder sogar von ihrem Arbeitsplatz entfernt werden soll.»2 Da es keine Definition im Gesetz gibt, stützt sich das Bundesgericht auf die vom SECO erarbeiteten Kriterien. Das SECO unterscheidet fünf Formen von Mobbinghandlungen: Angriffe auf die Möglichkeit, sich mitzuteilen, Angriffe auf die sozialen Beziehungen, Angriffe auf das soziale Ansehen, Angriffe auf die Qualität der Berufs- und Lebenssituation und Angriffe auf die Gesundheit.
Dass es im Gesetz keine klare Definition gibt, schwächt das Schutzniveau der Mobbingopfer. Dadurch versuchen Mobbingopfer allenfalls gar nicht erst, sich zu wehren oder ein Gerichtsverfahren anzustrengen, da die juristisch unklare Lage keine ausreichend zuverlässige Beurteilung der Erfolgschancen zulässt. Die finanziellen und moralischen Auswirkungen bei einem Misserfolg vor Gericht sind nicht zu unterschätzen. Will man es den Mobbingopfern erleichtern, sich rechtlich gegen ihre Situation zu wehren, muss dies zwangsläufig über eine Klärung dessen erfolgen, was als Fehlverhalten gilt. Einige europäische Länder, wie Frankreich und Belgien, aber auch Kanada haben dieses Verhalten in ihren Gesetzen präzise definiert. In Frankreich zum Beispiel wie folgt: «wiederholte Handlungen (…), die eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen bezwecken oder bewirken, die Würde der Arbeitnehmenden sowie ihre physische und psychische Gesundheit beeinträchtigen und ihre berufliche Zukunft gefährden können».3 Schon die blosse Erwähnung des Begriffs Mobbing im Gesetz ermöglicht eine bessere Sensibilisierung hinsichtlich dieses Phänomens und bietet einen rechtlichen Anhaltspunkt für eine Anzeige.
Es braucht Präventionsmassnahmen
Die heutige Präventionspolitik in Bezug auf psychosoziale Risiken wurde aus wissenschaftlicher Sicht nicht umfassend untersucht. Das SECO führt in Zusammenarbeit mit den kantonalen Arbeitsinspektoraten und mit der Universität Lausanne eine Studie über die Wirkung der Interventionen der Arbeitsinspektoren im Bereich der Prävention psychosozialer Risiken durch.4 Im Rahmen der ersten Ergebnisse zeigt sich, dass die Arbeitgeber, die die Existenz psychosozialer Risiken ansprechen, oftmals von krankheitsbedingten Absenzen, einer grossen Mitarbeiterfluktuation und Rekrutierungsschwierigkeiten betroffen sind. Bei den Handlungsoptionen für die Behörden wird erwähnt, dass für das Thema psychosoziale Risiken generell sensibilisiert werden sollte und dass konkrete organisatorische Massnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen gefördert werden sollten. Auch wenn sich die Studie auf sämtliche psychosozialen Risiken bezieht, zeigt sich doch, dass Mobbing insbesondere in einem Arbeitsumfeld begünstigt wird, wo schlechte Bedingungen herrschen und wo Stress und andere Formen von Druck die Gesundheit der Arbeitnehmenden gefährden. Travail.Suisse ist daher der Meinung, dass nicht nur das Gesetz angepasst werden muss, sondern dass es in Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern auch einer Verstärkung der Präventionsmassnahmen bedarf. Aus all diesen Gründen braucht es eine Gesetzesänderung, die eine Definition des Begriffs Mobbing einführt. Sie würde auch die Verbesserung der Präventionsmassnahmen günstig beeinflussen.
fn. 1 European Agency for Safety and Health at Work (2010).
2BGE 4A_439/2016 vom 5. Dezember 2016, Erw. 5.2.
3Siehe Artikel L1152-1 des französischen Arbeitsgesetzes
4Siehe Artikel in «Die Volkswirtschaft» «Angepasste Arbeitsmethoden können psychosozialen Risiken vorbeugen».