Slogans und Plakate der Kampagne zur erleichterten Einbürgerung von Personen der dritten Ausländergeneration verbreiten ein polemisches Bild, um den gesunden Menschenverstand des Stimmvolks zu trüben. Nun drängt sich eine Grundsatzfrage auf: Wie sehen die Jungen der dritten Ausländergeneration denn eigentlich aus? Travail.Suisse, der unabhängige Dachverband der Arbeitnehmenden, will darauf eine Antwort liefern und hat zusammen mit anderen Organisationen ein Video gedreht, in dem sich zwei Personen, die von der Abstimmung vom 12. Februar 2017 betroffen sind, äussern. Es werden Schicksale geschildert, die die Identität der Schweiz von heute, aber auch von morgen prägen.
Am 12. Februar stimmen wir darüber ab, ob junge Ausländerinnen und Ausländer der dritten Generation künftig die Möglichkeit haben sollen, sich leichter einbürgern zu lassen als die Generation ihrer Eltern und Grosseltern. Um zu wissen, was bei dieser Abstimmung tatsächlich auf dem Spiel steht, muss man daher verstehen, welche Personen betroffen sind und welchen Bezug zur Schweiz sie haben. Zudem gilt es die Vorteile zu erkennen, die bei einem Ja an der Urne für die gesamte Gesellschaft resultieren. Die erleichterte Einbürgerung betrifft nur die in der Schweiz geborenen jungen Ausländerinnen und Ausländer, deren Eltern und Grosseltern ebenfalls in der Schweiz gelebt haben. Die Einbürgerung erfolgt nicht automatisch und kann nur bis zum vollendeten 25. Lebensjahr beantragt werden. Die jungen Ausländerinnen und Ausländer müssen, wie ihre Eltern, über eine Niederlassungsbewilligung (C-Ausweis) verfügen und fünf Jahre der obligatorischen Schulzeit in der Schweiz absolviert haben. Die Auflagen sind streng und beschränken so die Anzahl der betroffenen Personen. Nicht alle Ausländerinnen und Ausländer können ein Gesuch einreichen, und die Kriterien dafür zielen nur auf bereits integrierte Personen ab. Gemäss einer von der Universität Genf neulich durchgeführten Studie sind hauptsächlich junge Personen aus Italien, aus dem Balkan, aus der Türkei, aus Spanien sowie aus Portugal betroffen. Um diesen Jungen ein Gesicht zu geben und Beispiele dafür zu liefern, welche Personen die Kriterien für die erleichterte Einbürgerung erfüllen, hat Travail.Suisse ein Video produziert (nur auf Deutsch verfügbar), zusammen mit der Gewerkschaft Syna, Jeunesse.Suisse, der Arbeitsgemeinschaft der Jugendverbände (SAJV) und Albinfo.ch: https://youtu.be/SJ5IvjyX9sI. Zwei junge Ausländerinnen der dritten Generation erzählen über ihre Beziehung zur Schweiz und ihre Motivation, das Schweizer Bürgerrecht zu beantragen. Ausserdem wird erläutert, weshalb ein Ja an der Urne am 12. Februar 2017 gerechtfertigt ist.
«In Italien bin ich Ausländerin […]. Aber ich fühle mich als Schweizerin.»
Die Ausländerinnen und Ausländer der dritten Generation stammen aus der Schweiz und sind nicht in die Schweiz eingewandert. Ihre Geschichte und ihr Schicksal sind anders als bei den vorherigen Generationen, die – als Eltern und/oder Grosseltern – ihr Land für ein anderes Land verlassen haben. Diese Jungen teilen dasselbe Schicksal wie die jungen Schweizerinnen und Schweizer, die in der Schweiz geboren sind. Wie Vanessa im Video erzählt, fühlt sie sich als Schweizerin, obwohl sie den italienischen Pass hat: «Wenn ich meine Verwandten in Italien besuche, bin ich die Ausländerin, und wenn ich in der Schweiz bin, bin ich für meine Kollegen automatisch auch die Ausländerin. Ich fühle mich aber als Schweizerin.» Denise führt weiter aus: «Trotz meiner italo-spanischen Wurzeln fühle ich mich in der Schweiz zu Hause.» Wie diese Aussagen belegen, sind die Kinder und Enkelkinder von Immigranten, die sich ausgezeichnet in einer Landessprache ausdrücken, in der Schweiz geboren und die Schweiz ist ihre Heimat. Es sind ihre Eltern oder Grosseltern, die eingewandert sind und aus einem anderen Land stammen. Die Jungen selbst sind sehr wohl Schweizerinnen und Schweizer. Daher muss die Integration der dritten Generation nicht mehr belegt, sondern nur noch anerkannt werden. Es ist daher gerechtfertigt, dass die jungen Ausländerinnen und Ausländer ihre Integration im Rahmen des Einbürgerungsverfahrens nicht mehr belegen müssen und dieses im Vergleich zu demjenigen ihrer Eltern und Grosseltern erleichtert wird. Ein Schweizer Bürger, der ebenfalls im Video zu sehen ist, formuliert es so: «Ich denke, dass Ausländer der dritten Generation in der Schweiz gut integriert sind. Daher müsste die Einbürgerung einfacher sein.» Er geht auch auf die Ängste ein, die ein Integrationstest bei einer bereits integrierten Person hervorrufen könnte: «Es kann ein Hindernis sein, wenn man gut integriert ist und dennoch eine Prüfung ablegen muss. Erfolgsdruck und Versagensangst können auftreten.» Die erleichterte Einbürgerung kann jungen Ausländerinnen und Ausländern der dritten Generation den Entscheid für Einbürgerungsgesuch erleichtern, indem allfällige emotionale Hindernisse beseitigt werden.
Wie sieht die Zukunft ohne Anerkennung aus?
Momentan wird die Anzahl der jungen Ausländerinnen und Ausländer der dritten Generation, die die Kriterien für eine erleichterte Einbürgerung erfüllen, auf rund 25 000 zwischen 9 und 25 Jahre alte Personen geschätzt. Das birgt ein grosses Potenzial für die Schweizer Gesellschaft. Diese Personen wollen die Schweiz nicht verlassen, sondern hier bleiben. Wie Denise erzählt: «Ich bin hier geboren, ich bin hier zur Schule gegangen und ich habe hier meine Ausbildung gemacht. Ich arbeite hier. Ich will in der Schweiz alt werden und die Schweiz nicht verlassen.» Wenn der Zugang zur Einbürgerung für integrierte Personen vereinfacht wird, stärkt dies gleichzeitig den sozialen Zusammenhalt, der zum wirtschaftlichen Aufschwung in der Schweiz beiträgt. Wenn wir die Geschichte unseres Landes analysieren, erinnern wir uns an die Saisonarbeiter und andere Migranten, die beim Aufbau unserer heutigen Schweiz mitgeholfen haben. Mit der Anerkennung von jungen Ausländerinnen und Ausländer der dritten Generation, die auch über die Gewährung der staatsbürgerlichen Rechte erfolgt, kann die politische Beteiligung der Bevölkerung erweitert und das demokratische System gestärkt werden. Vanessa bekräftigt ihren Willen, sich politisch zu engagieren: «Ich fühle mich als Schweizerin […] und möchte an politischen Abstimmungen teilnehmen, die das Land, zu dem ich gehöre, betreffen.» Eine Schweizer Bürgerin, die sich am Ende des Videos äussert, meint: «Wenn man zu einer Gesellschaft gehört, hat man nicht nur Pflichten, sondern auch Rechte.»
Jetzt, wo wir das echte Gesicht der jungen Ausländerinnen und Ausländer der dritten Generation kennen, stellt sich eine weitere Grundsatzfrage: Wenn die Ausländerinnen und Ausländer der dritten Generation sowie die Schweizerinnen und Schweizer dasselbe Schicksal teilen, in der Schweiz bleiben wollen und einen Teil davon ausmachen, warum bündeln wir diese Kräfte nicht, um die Schweiz von morgen zu gestalten?