Der Entscheid der Schweizer Nationalbank von Anfang Jahr zur Aufhebung des Mindestkurses und die darauf folgende Aufwertung des Frankens gegenüber dem Euro belastet die Wirtschaftslage in der Schweiz. Während einzelne Unternehmen oder Branchen stark unter dem veränderten Wechselkurs leiden, ist aber keine breite Krise für die Volkswirtschaft zu erwarten. Bescheidene Lohnerhöhungen für die meisten Arbeitnehmenden sind somit auch im Umfeld des überbewerteten Frankens möglich. Travail.Suisse, der unabhängige Dachverband der Arbeitnehmenden, fordert, dass Nullrunden in der Lohnrunde 2016 die Ausnahme bleiben und den meisten Arbeitnehmenden Lohnerhöhungen zwischen 0.5 und 1.5 Prozent gewährt werden.
Die Aufhebung des Mindestkurses hat den Franken gegenüber dem Euro schockartig aufgewertet, was die Exportwirtschaft wie auch der Tourismus deutlich zu spüren bekommen. Für eine konkrete Beurteilung ist aber eine Gesamtsicht nötig. Obwohl oft von der Frankenstärke gesprochen wird, handelt es sich primär um eine Schwäche des Euro. So ist der Franken beispielsweise gegenüber dem US-Dollar oder dem britischen Pfund nicht höher bewertet als vor einem Jahr. 1
Ein starker Franken belastet die Exporte, entlastet aber gleichzeitig den Import. Unternehmen können Materialien und Vorleistungen aus dem Euro-Raum billiger beziehen und auch die Preise für Erdöl und weitere Rohstoffe sind historisch gesehen sehr tief. Zusätzlich sind die verschiedenen Branchen mit unterschiedlichen Preissensitivitäten ihrer Kunden konfrontiert. So ist etwa die Chemie- und Pharmabranche traditionell weniger anfällig für Wechselkursschwankungen und auch die Uhrenindustrie erwartet trotz überbewertetem Franken für 2015 eine stabile Entwicklung der Exporte auf hohem Niveau. 2
Der überbewertete Franken stellt für die Schweizer Wirtschaft zweifelsohne eine grosse Herausforderung dar, allerdings lässt sich die konkrete Betroffenheit einzelner Unternehmen oder Branchen nur differenziert beurteilen. Für die gesamte Volkswirtschaft sind die Aussichten insgesamt stabil und eine breite Krise ist nicht zu erwarten. Die Expertengruppe des Bundes geht davon aus, dass sich die Schweizer Volkswirtschaft ohne tiefgreifende Rezession an das neue Wechselkursumfeld anzupassen vermag. 3
Schweizer Wirtschaft in schwierigem Umfeld aber mit insgesamt stabilen Aussichten
Trotz einem Rückgang des Bruttoinlandprodukts im ersten Quartal 2015 von 0.2 Prozent rechnet das Staatssekretariat für Wirtschaft SECO 4 über das ganze Jahr mit einem Wirtschaftswachstum von 0.8 Prozent und prognostiziert für das Jahr 2016 eine Zunahme der Wirtschaftsleistung um 1.6 Prozent. Der Konjunkturbarometer der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (KOF) ist im letzten Monat wieder auf seinen langjährigen Durchschnittswert geklettert. Die KOF schliesst daraus, „dass die Frankenschockwelle langsam an Kraft verliert“ und „dass die Schweizer Wirtschaft hofft, den ersten Frankenschock in den nächsten Monaten verarbeiten zu können“. 5
Binnenmarkt bleibt eine wichtige Stütze
Während die Exportwirtschaft mit den Folgen des starken Frankens zu kämpfen hat, ist der Binnenmarkt weiterhin sehr robust. Wie bereits in den letzten Jahren zeigt sich dabei der private Konsum als tragende Stütze der Schweizer Konjunktur. Auch in naher Zukunft dürfte der private Konsum sehr wichtig bleiben. So rechnet die KOF 6 fürs Jahr 2015 mit einer Zunahme des privaten Konsums um 1.9 Prozent. Der private Konsum spielt also auch in den Zeiten der Anpassung an das veränderte Wechselkursumfeld seine wichtige Rolle als Stütze der Schweizer Konjunktur.
Arbeitsmarkt mit ersten Alarmzeichen
Die Auswirkungen des überbewerteten Frankens sind noch nicht vollständig auf dem Arbeitsmarkt angekommen. Zwar lässt sich bereits seit Februar eine leichte Zunahme der arbeitslos gemeldeten Personen feststellen und auch der Umfang der Kurzarbeit steigt wieder – insgesamt ist das Ausmass der negativen Auswirkungen aber noch bescheiden. Deutlich eingetrübt haben sich aber die Aussichten für das zweite Halbjahr 2015 und das Jahr 2016. So sind die Indikatoren für die zukünftige Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt durchwegs negativ und das SECO rechnet mit einem Anstieg der Arbeitslosenquote auf 3.3 Prozent im laufenden Jahr und auf 3.6 Prozent im Jahr 2016. 7
Für Travail.Suisse kommt der Rettung von Arbeitsplätzen oberste Priorität zu. Nicht nur, um kurzfristig Arbeitslosigkeit zu vermeiden, sondern auch, um mittelfristig die Beschäftigung in der Schweiz zu halten. Neben Interventionen der Nationalbank zur Schwächung des Frankens braucht es dazu ein klares Bekenntnis der Wirtschaft zum Werkplatz Schweiz, sozialpartnerschaftliche Lösungsfindung in Extremsituationen und politische Unterstützung, wie z.B. ein einfacher Zugang zum effizienten Mittel der Kurzarbeitsentschädigung und allenfalls deren Ausdehnung.
Differenzierte Lohnerhöhungen in bescheidenem Umfang sind möglich
Der überbewertete Franken belastet die Schweizer Wirtschaft, allerdings sind längst nicht alle Branchen, resp. Betriebe in gleichem Masse betroffen. Dies bedingt eine differenzierte Betrachtungsweise für den Lohnherbst. Bei den existenziell von der Wechselkursproblematik betroffenen Unternehmen bieten sich sozialpartnerschaftliche Lösungen zum Schutz der Arbeitsplätze an. Sofern die Probleme transparent gemacht werden und mit ausgewogener Opfersymmetrie nicht nur die Arbeitnehmenden belastet werden, sind zeitlich befristete Massnahmen mit dem Ziel des Erhalts der Arbeitsplätze denkbar. In diesen Ausnahmesituationen kann als weiterer Beitrag zum Schutz der Arbeitsplätze auf eine Lohnerhöhung verzichtet werden. Gleichzeitig fordern Travail.Suisse und die angeschlossenen Verbände Syna, transfair und Hotel&Gastro Union aber, dass Nullrunden die Ausnahme bleiben und die Mehrheit der Arbeitnehmenden in den Genuss von fairen Lohnerhöhungen kommt. Wie gewohnt gehen die Verbände von Travail.Suisse differenziert vor und tragen der spezifischen Situation jeder einzelnen Branche bzw. jedes einzelnen Betriebs Rechnung. Für die Mehrheit der Arbeitnehmenden sollten Lohnerhöhungen zwischen 0.5 und 1.5 Prozent möglich sein.
Bescheidene Nominallohnentwicklung in den letzten Jahren – einseitige Verteilung
Die Lohnerhöhungen fielen in den Jahren seit 2010 sehr bescheiden aus – trotz der schnellen wirtschaftlichen Erholung nach der Finanz- und Weltwirtschaftskrise ab 2007. Die Tradition in der Schweiz, dass Lohnerhöhungen in wirtschaftlich guten Zeiten vergleichsweise moderat ausfallen, dass dafür Lohnerhöhungen kontinuierlich auch in wirtschaftlich anspruchsvolleren Zeiten gewährt werden, hat sich deutlich gezeigt. Die Arbeitnehmenden haben durch die bescheidene Entwicklung ihrer Löhne und dank grossem Einsatz und Flexibilität dazu beigetragen, dass sich die Schweiz in den weltweiten Krisenjahren gut gehalten hat. Umso entscheidender ist deshalb, dass auch jetzt der Einsatzwillen und die Leistung der Arbeitnehmenden belohnt werden. Nicht zuletzt bleibt der private Konsum auch in naher Zukunft eine wichtige Stütze der schweizerischen Konjunktur. Es ist also wichtig, dass die Lohnrunde 2016 die Kaufkraft der Arbeitnehmenden stärkt und den privaten Konsum stützt.
Die Managerlohnstudien von Travail.Suisse zeigen, dass sich die Lohnschere – das Verhältnis zwischen dem höchsten und dem tiefsten Lohn im gleichen Unternehmen – in den letzten Jahren weiter geöffnet hat. Während die Teppichetage ihre Bezüge um ein Mehrfaches erhöht hat, blieben für die normalen Arbeitnehmenden nur geringfügige Lohnerhöhungen übrig. Wenn das erreichte Wachstum in erster Linie den Chefs und Aktionären zugute kommt, führt dies zu einer ungleichen Einkommensverteilung. Neben einer politischen Lösungsfindung für das Problem der überhöhten Managersaläre braucht es zwingend kontinuierliche und spürbare Lohnerhöhungen für alle Arbeitnehmenden, um den sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft nicht zu gefährden.
Fokus auf Mindestlöhne und Frauenlöhne
In diesem Lohnherbst sollen aus Sicht von Travail.Suisse nicht zuletzt die Mindestlöhne angehoben werden. Die Arbeitgeber müssen den Beweis erbringen, dass sie gewillt sind, in den Lohnverhandlungen gezielt Verbesserungen für die Arbeitnehmenden mit den tiefsten Einkommen zu ermöglichen, wie es immer wieder angekündigt wird. Die Überbewertung des Frankens sorgt auch 2015 für eine rückläufige Teuerung. Gemäss den Prognosen des SECO 8 werden die Preise 2015 um 1 Prozent sinken und die Rückkehr der Teuerung verschiebt sich ins Jahr 2016. Es bietet dies die Möglichkeit, mit einer Anhebung der Mindestlöhne ein spürbares Reallohnwachstum für die tiefsten Einkommen zu ermöglichen, das als Zuwachs der Kaufkraft direkt wieder der Volkswirtschaft zugutekommt. Für Travail.Suisse ist klar, dass im diesjährigen Lohnherbst ein besonderer Fokus auf Vereinbarungen, resp. Erhöhungen von orts- und branchenüblichen Mindestlöhnen gelegt werden muss.
Gleiches gilt für die Lohngleichheit zwischen den Geschlechtern. Der freiwillige Lohngleichheitsdialog ist ergebnislos gescheitert. Es liegt jetzt an den Arbeitgebern zu beweisen, dass die Lohngleichheit zwischen Mann und Frau nicht nur toter Buchstabe in der Verfassung ist, sondern auch effektiv angestrebt wird. Travail.Suisse fordert daher, dass in den Lohnverhandlungen in diesem Herbst ein sozialpartnerschaftlicher Fokus auf die Verbesserung der Frauenlöhne gelegt wird. Gleichzeitig wird der Bundesrat aufgefordert, endlich die seit langem versprochenen, griffigen Massnahmen zur Bekämpfung der Lohnungleichheit zwischen den Geschlechtern zu präsentieren.