Nach der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative droht der Schweiz ein neues Saisonnierstatut. Die SVP, der Bauernverband sowie der Arbeitgeber- und Gewerbeverband wollen Arbeitskräftebedarf in der Schweiz mit möglichst vielen, aber nur für kurze Zeit in die Schweiz kommenden Arbeitskräften decken. Mit schutzlosen und vom Arbeitgeber abhängigen Arbeitnehmenden wird aber dem Lohn- und Sozialdumping Tür und Tor geöffnet. Stattdessen Travail.Suisse eine Stärkung der Arbeitnehmenden in der Schweiz durch mehr Bildung, mehr Vereinbarkeit und mehr Erholung.
Noch ist nicht entschieden, wie die Masseneinwanderungsinitiative umgesetzt werden soll. Aber die bisher bekannt gewordenen Vorschläge sind beunruhigend. So soll nach der Vorstellung der SVP, des Bauernverbandes, aber auch des Arbeitgeber- oder des Gewerbeverbandes die Zuwanderung von tief qualifizierten Arbeitnehmenden mit einem unterjährigen Arbeitsvertrag tendenziell grosszügiger und flexibler gehandhabt werden als jene von gut qualifizierten Arbeitnehmenden, die länger bleiben wollen bzw. die eine unbefristete Stelle antreten.
Kein Saisonnierstatut durch die Hintertür
Diese Vorschläge laufen darauf hinaus, durch die Hintertür ein neues Saisonnierstatut einzuführen und erst noch möglichst viele dieser Saisonniers in die Schweiz zu holen. Das ist Gift für den Arbeitsmarkt und hochgradig gefährlich für alle Arbeitnehmenden in der Schweiz. Denn diese neuen „Saisonnier“ sind ihren Arbeitgebern schutzlos ausgeliefert und akzeptieren tiefere Löhne und schlechtere Arbeitsbedingungen. Damit gefährdet dieses System das Lohnniveau über ganze Branchen hinweg und bremst die Lohnentwicklung aller Arbeitnehmenden in der Schweiz. Zudem wird damit die Zuwanderung in die Schweiz sogar beschleunigt. Denn die Idee, dass diese Arbeitnehmenden die Schweiz nach Ablauf der bewilligten 9 oder 12 Monaten wieder verlassen, ist naiv und hat auch in früheren Zeiten nie funktioniert. Sie bleiben hier, ihre Bewilligung wird verlängert (oder sie arbeiten eine Zeit lang schwarz), sie wechseln den Kanton bzw. die Branche (zu höheren Löhnen) und hinterlassen damit eine Lücke, die wieder mit einem neuen „Saisonnier“ gefüllt werden muss. So war das mit den ehemaligen Saisonnier, und so würde es auch mit den neuen Saisonnier wieder sein.
Travail.Suisse sagt klar und deutlich Nein zu einem neuen Saisonnierstatut und wird solche Ideen mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpfen. Travail.Suisse fordert vielmehr ein Zuwanderungs- und Arbeitsmarktregime ohne Diskriminierung der ausländischen Arbeitnehmenden und kompatibel mit dem bilateralen Weg der Schweiz. Zudem müssen die Löhne mit starken und weiter ausgebauten flankierenden Massnahmen geschützt werden.
Stärkung der Arbeitnehmenden in der Schweiz
Anstatt die ausländischen Arbeitskräfte zu diskriminieren, müssen die Arbeitnehmenden in der Schweiz gestärkt werden. Das Potential ist gross. Wir haben nach wie vor 150‘000 Arbeitslose, wir haben viele teilzeitarbeitende Mütter (wenige Väter), die gerne etwas mehr arbeiten würden und viel zu viele Arbeitnehmende scheiden aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig aus dem Arbeitsleben aus. Sie alle könnten dazu beitragen, den Bedarf an ausländischen Arbeitnehmenden zu reduzieren und damit die Zuwanderung zu senken.
Damit das möglich ist, braucht es aber viel mehr Investitionen in die Arbeitnehmenden in der Schweiz, und zwar vor allem in den Bereichen Bildung, Vereinbarkeit und Erholung.
• Bildung: Die Nachholbildung für Erwachsenen muss massiv forciert werden. Es gibt in der Schweiz zwischen 50‘000 und 100‘000 Arbeitnehmende, die mit wenig Unterstützung einen Berufsabschluss erwerben könnten und damit den Fachkräftemangel reduzieren. Zudem braucht es eine vom Arbeitgeber geförderte Weiterbildung oder sogar ein vom Arbeitgeber umzusetzendes Weiterbildungsobligatorium, damit auch ältere Arbeitnehmende mehr Chancen haben auf dem Arbeitsmarkt.
• Vereinbarkeit: Die beste Wirkung für eine bessere Vereinbarkeit von Kinderbetreuung und Beruf haben planbare und familienfreundliche Arbeitszeiten und Einsatzpläne. Zudem braucht es ein Recht auf Teilzeitarbeit und einen obligatorischen Beitrag der Arbeitgeber an die Krippenkosten.
• Belastung und Erholung: Der Stress am Arbeitsplatz muss durch mehr Personal bzw. mehr fest angestelltes Personal mit höheren Pensen reduziert werden. Zudem sind die Überstunden zu reduzieren und ihre volle Kompensation muss ermöglich werden. Im Weiteren ist durch ein „Recht auf Unerreichbarkeit“ (BMW) die Qualität der Erholung in Freizeit und Ferien zu erhöhen.
Bekenntnis zum Standort Schweiz gefordert
Die Stärkung der Arbeitnehmenden in der Schweiz ist nicht gratis zu haben. Die Massnahmen verursachen Kosten, entweder direkt bei den Unternehmen oder aber bei der öffentlichen Hand, die wiederum auf genügend Steuereinnahmen angewiesen ist. Diese Kosten sind aber finanzierbar, bzw. müssen finanzierbar sein, weil die Alternative, der Verlust der bilateralen Verträge, katastrophale Folgen haben würde.
Und damit sich niemand täuscht: Der Verlust der bilateralen Verträge würde nicht primär die grossen, internationalen Firmen treffen. Diese weichen einfach aus und lassen sich anderswo nieder. Am stärksten betroffen sind erstens die KMU und ihre Mitarbeitenden, die von den Investitionen und dem Konsum der grossen Unternehmen bzw. deren Angestellten profitieren sowie die öffentliche Hand und deren Angestellten, die von den Steuereinnahmen der florierenden Wirtschaft leben.
Travail.Suisse fordert deshalb von der Wirtschaft und der Politik ein Bekenntnis zum Standort Schweiz, das auch ein Bekenntnis zur Stärkung der Arbeitnehmenden umfasst und die Bereitschaft einschliesst, der öffentlichen Hand die nötigen finanziellen Mittel bereit zu stellen.