Das Verhandlungsergebnis für eine Ausdehnung der Personenfreizügigkeit liegt vor. Die Schweiz und die europäische Union einigten sich auf ein Vorgehen, das weitestgehend identisch mit den bisherigen Erweiterungsrunden ist. Travail.Suisse, der unabhängige Dachverband der Arbeitnehmenden, sieht damit das Verhandlungsmandat erfüllt. Gleichzeitig fordert er aber innenpolitische Massnahmen zum verbesserten Schutz der Löhne und der Arbeitsbedingungen. Nur mit funktionierenden flankierenden Massnahmen kann die Bevölkerung von der Erweiterung der Personenfreizügigkeit überzeugt und damit der bilaterale Weg mit der EU auch zukünftig gesichert werden.
Das Vorgehen bei der Erweiterung der Personenfreizügigkeit auf Kroatien entspricht weitestgehend dem Vorgehen bei den bisherigen Erweiterungen auf die acht osteuropäischen Staaten sowie auf Bulgarien und Rumänien. Nach einer 7-jährigen Übergangsfrist besteht während weiteren drei Jahren die Möglichkeit einer Ventilklausel. Ausserdem untersteht die Zulassung von kroatischen Arbeitnehmenden in sensiblen Branchen (Bauwesen, Gartenbau, Reinigung in Industrie sowie Bewachungs- und Sicherheitsdienst) auch weiterhin einer Bewilligungspflicht. Im Anwendungsbereich der Ventilklausel konnte eine Verbesserung erzielt werden, indem das Ausweichen von einer Bewilligungskategorie zur anderen verunmöglicht wird. Neu wird bei Erfüllung der quantitativen Voraussetzungen einer Bewilligungskategorie die Schutzklausel auch auf die andere Bewilligungskategorie angewandt.
Negative Effekte nicht ausblenden
Nach Ansicht von Travail.Suisse haben die bilateralen Verträge mit der EU eine hohe Wichtigkeit für die Schweiz. Rund 60% der schweizerischen Exporte und rund 80% der Importe werden mit dem EU-Raum getätigt. Das heisst: Jeder dritte Arbeitsplatz hängt von den Schweizer Wirtschaftsbeziehungen mit der EU ab – dieser Umstand verlangt geregelte Beziehungen. Die Öffnung des Arbeitsmarktes über die Personenfreizügigkeit stellt aber auch grosse Anforderungen an die Politik zum Schutz der Löhne und Arbeitsbedingungen. Mit den flankierenden Massnahmen existiert ein starkes Instrument gegen Missbräuche auf dem Arbeitsmarkt. Dennoch muss das Instrumentarium und seine Anwendung laufend überprüft werden. Heute zeigen sich insbesondere in den Grenzregionen negative Effekte der Personenfreizügigkeit. Jüngere Berufseinsteigerinnen und -einsteiger sowie ältere Arbeitnehmende sind mit Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt konfrontiert. Zudem bleibt der Druck auf die Löhne und Arbeitsbedingungen hoch und die Bevölkerung reagiert zunehmend sensibel auf die regelmässigen Verstösse gegen die flankierenden Massnahmen und die durch die Zuwanderung bedingten negativen Effekte im Bereich der Infrastruktur und dem Wohnungsmarkt.
Erhalt der Personenfreizügigkeit bedarf Anpassungen der flankierenden Massnahmen
Um die Zustimmung der Bevölkerung zur Personenfreizügigkeit zu sichern, braucht es eine Politik, die auf die Anforderungen einer wachsenden Bevölkerung ausgerichtet ist, deren Ängste und Bedürfnisse ernst nimmt und die negativen Auswirkungen der Zuwanderung für die Arbeitnehmenden verhindert. Um die Zustimmung der Bevölkerung zur Personenfreizügigkeit zu erhalten, braucht es eine gerechte Verteilung der Wachstumseffekte und folgende Anpassungen der flankierenden Massnahmen zum verbesserten Schutz der Löhne und Arbeitsbedingungen:
• Mindestlöhne in Tieflohnbranchen: In der Schweiz braucht es in Tieflohnbranchen flächendeckend branchenspezifische oder regionale Mindestlöhne, um wirkungsvoll gegen Lohndumping vorgehen zu können. Die heute bestehenden flankierenden Massnahmen kranken oft daran, dass kein Mindestlohn existiert und somit missbräuchliches Lohndumping schwierig festzustellen ist.
• Gesamtarbeitsverträge und Normalarbeitsverträge: Es muss die Voraussetzung geschaffen werden, dass Gesamtarbeitsverträge leichter allgemeinverbindlich erklärt, resp. Normalarbeitsverträge erlassen werden können. Nur so kann dem Lohndumping effektiv und präventiv entgegengewirkt werden.