Im Streit um die Beziehungen der Schweiz mit der EU geht es in die nächste Runde. Mit der jetzt lancierten Kündigungsinitiative zur Personenfreizügigkeit steht ein nächster politscher Showdown bevor. Für Travail.Suisse, den unabhängigen Dachverband der Arbeitnehmenden, ist klar, dass eine Kündigung der Personenfreizügigkeit, ein Wegfall der bilateralen Verträge und der Weg in die Isolation nicht im Interesse der Arbeitnehmenden sein kann. Was es aber braucht sind Massnahmen im Inland zum besseren Schutz der Löhne und Arbeitsbedingungen und einer gerechteren Verteilung der Freizügigkeitsrendite.
Die SVP kocht mit der jetzt lancierten Kündigungsinitiative zur Personenfreizügigkeit ihr fremdenfeindliches Abschottungssüppchen weiter. Perfekt abgestimmt, dass der Schluss der Unterschriftensammlung im Wahlkampf für die nationalen Wahlen 2019 zu liegen kommt – wie schon 2011 mit der Masseneinwanderungsinitiative und 2015 mit der Durchsetzungsinitiative. Eine Kündigung der Personenfreizügigkeit und damit ein Wegfall der bilateralen Verträge mit der Europäischen Union ist aus Sicht der Arbeitnehmenden ein Irrweg. Eine kleine, offene und exportorientierte Volkswirtschaft wie die Schweiz ist angewiesen auf geregelte Beziehungen mit den wichtigsten Handelspartnern und direkten Nachbarn. Es ist aber auch klar, dass die negativen Begleiterscheinungen einer Personenfreizügigkeit noch stärker angegangen werden müssen. Es braucht Investitionen in die Infrastruktur und den Service Public, statt über Steuerdumping weiter ausländische Firmen und zusätzliche Arbeitskräfte anzulocken. Die Freizügigkeitsrendite darf nicht nur in Form von Gewinnen oder Steuersenkungen den Unternehmen zugutekommen, sondern muss auch für die Bevölkerung spürbar werden. Dies kann beispielsweise über Massnahmen gegen steigende Mieten und Krankenkassenprämien, für mehr finanzierbare familienexterne Kinderbetreuung, für zusätzliche Unterstützung bei der Aus- und Weiterbildung oder der Einführung eines bezahlten Vaterschaftsurlaubes geschehen.
Zentral bleibt aber auch die Situation auf dem Arbeitsmarkt. Denn die Angst vor einer Verschlechterung auf dem Arbeitsmarkt – sei es direkt durch Verdrängungseffekte und schlechtere Chancen bei der Stellenbesetzung, sei es durch mehr Druck auf die Arbeitsbedingungen oder eine stagnierende Lohnentwicklung – ist der Nährboden, auf dem die Chancen für eine Initiative zur Kündigung der Personenfreizügigkeit wachsen können. Die Ausgangslage ist vergleichbar mit 2014, damals hat eine knappe Mehrheit der Stimmbevölkerung die Masseneinwanderungsinitiative angenommen und die Schweizer Politik in ein Dilemma gestürzt und für drei Jahre blockiert.
Stellenmeldepflicht als wichtiger Schritt
Erst mit der Stellenmeldepflicht konnte eine Umsetzung dieser Initiative gefunden werden, die mit den bilateralen Verträgen kompatibel ist und diese nicht gefährdet. Auch wenn sich Travail.Suisse in den vergangenen Jahren immer zu den bilateralen Verträgen und damit zur Personenfreizügigkeit bekannt hat, ist die Akzeptanz von uneingeschränkter Konkurrenz der inländischen Arbeitskräfte nicht einfach selbstverständlich. Mit der Einführung der Personenfreizügigkeit wurde das politische Versprechen abgegeben, mit effektiven flankierenden Massnahmen dafür zu sorgen, dass die Lohn- und Arbeitsbedingungen in der Schweiz geschützt bleiben – dieses Versprechen gilt es einzuhalten.
Nur mit einer erfolgreichen Ausschöpfung des inländischen Arbeitskräftepotenzials und einer kontinuierlichen Verbesserung der flankierenden Massnahmen zum Schutz der Löhne und Arbeitsbedingungen kann die Zustimmung der Bevölkerung zur Personenfreizügigkeit nachhaltig aufrechterhalten bleiben. Dabei ist die Einführung einer effektiven Stellenmeldepflicht ein wichtiger erster Schritt. Mit der Stellenmeldepflicht müssen in Berufen und Tätigkeiten mit erhöhter Arbeitslosigkeit, offene Stellen bei der öffentlichen Arbeitsvermittlung gemeldet werden. Im Sinne eines Inländervorrangs haben diese dann die Möglichkeit, passende Dossiers von registrierten Personen den Arbeitsgebern zu melden, bevor eine Stelle ordentlich ausgeschrieben werden darf. Im Kern werden so die Chancen von arbeitslosen Personen auf ein Bewerbungsgespräch und allenfalls eine Wiederanstellung erhöht. Im Besonderen davon profitieren dürften bei der Arbeitssuche diskriminierte Personen, deren Dossiers im Bewerbungsverfahren ansonsten vorschnell aussortiert werden. Dazu zählen insbesondere ältere Arbeitnehmende, WiedereinsteigerInnen, Arbeitslose mit ausländischen Namen und RückkehrerInnen aus dem Strafvollzug. Allerdings bedingt es zur Wirksamkeit des Instrumentes einen Kulturwandel bei den Arbeitgebern. Einerseits müssen die Vorurteile gegenüber den bei den RAVs gemeldeten Personen abgebaut werden und andererseits muss diesen Personen dann auch tatsächlich eine Chance gegeben werden anstatt vorschnell im Ausland zu rekrutieren, nur so können die Chancen der inländischen Erwerbsbevölkerung tatsächlich verbessert werden.
FlaM: Wirksame Instrumente aber grundlegende Probleme ungelöst
Die flankierenden Massnahmen (FlaM) zur Personenfreizügigkeit sind starke Instrumente zum Schutz der Löhne und Anstellungsbedingungen und zur Bekämpfung von Missbräuchen auf dem Arbeitsmarkt. Gleichzeitig braucht es aber dauernde Optimierungen und einen kontinuierlichen Ausbau der Instrumente um mit den Realitäten auf dem Arbeitsmarkt mithalten zu können. In den letzten Jahren lag der Fokus sehr stark auf der Optimierung des Vollzugs. Unter dem Namen Aktionsplan Vollzugsoptimierung wurde beispielsweise die weitere Professionalisierung und teilweise Vereinheitlichung der Arbeit der paritätischen und kantonalen tripartiten Kommissionen gefördert. Weiter wurden Mindeststandards für Kontrollen, Verständigungsverfahren und Verwaltungssanktionen festgelegt und die Schulung der Inspektoren und der Austausch unter den verschiedenen Kommissionen weiter intensiviert. Vollzugsoptimierungen sind zu begrüssen und ständig zu evaluieren. Aus Sicht der Arbeitnehmenden braucht es aber auch eine materielle Weiterentwicklung der FlaM. Zwar wurden in diesem Jahr die Sanktionen bei Verstössen gegen die minimalen Lohn- und Arbeitsbedingungen im Entsendegesetz erhöht, die Möglichkeit zur Verlängerung von Normalarbeitsverträgen geschaffen und in der Entsendeverordnung die minimale Anzahl Kontrollen auf 35‘000 Kontrollen erhöht und damit der Realität von jährlich knapp 45‘000 durchgeführten Kontrollen angenähert, aber grundlegende Problembereiche im System der FlaM blieben ungelöst. So liegt die Schweiz mit einer Abdeckung über einen Gesamtarbeitsvertrag (GAV) von rund 50% im europäischen Vergleich deutlich zurück; jeder zweite Arbeitnehmende ist also nicht durch einen verbindlichen Mindestlohn geschützt. Es braucht dringend eine Erleichterung der Allgemeinverbindlicherklärung von GAV, um mehr Arbeitnehmende unter den Schutz der GAV zu stellen. Nicht zuletzt fehlt ohne verbindlichen Mindestlohn eine klar bestimmbare Grenze für Lohndumping. Zwar gilt es dann die orts- und branchenüblichen Löhne einzuhalten, was allerdings eine schwammige Grenze darstellt. So werden diese orts- und branchenüblichen Löhne in den Kantonen unterschiedlich ermittelt und zum Teil mit zusätzlichen Abschlägen oder willkürlichen Missbrauchsschwellen versehen. Dies erzeugt grosse Unterschiede zwischen den Kantonen und teilweise sehr tiefe Grenzen für Lohndumping, was die ganze Transparenz und Glaubwürdigkeit des FlaM-Systems untergräbt. Es braucht dringend einen national einheitlichen Lohnrechner und vergleichbare Missbrauchsschwellen, um die Beurteilung von Lohnunterbietungen einheitlicher vornehmen zu können und eine einheitlichere Anwendung des FlaM-Instrumentariums sicherzustellen. Es ist bezeichnend, dass die grosse Mehrheit der kantonalen Normalarbeitsverträge in den Kantonen Tessin und Genf erlassen wurden und dazu lediglich noch drei Kantone überhaupt NAVs kennen. Positiv ist die Tatsache, dass dieses Jahr im Detailhandel von Basel-Stadt erstmals ein NAV in einem Kanton der Deutschschweiz eingeführt wurde. Dennoch wendet die grosse Mehrheit der Kantone ein wichtiges Instrument der FlaM gar nicht erst an. Weiter ist das angedachte Projekt der Einführung von GAV-Bescheinigungen raschestmöglich umzusetzen. Mit einer GAV-Bescheinigung könnte ein Unternehmen nachweisen, dass bei vergangenen Kontrollen keine Verstösse gegen die Lohn- und Arbeitsbedingungen festgestellt wurden. Gerade im öffentlichen Beschaffungswesen würde dies sicherstellen, dass Vergaben nur an diejenigen Unternehmen erfolgen, welche die Einhaltung der Lohn- und Arbeitsbedingungen belegen können. Die öffentliche Hand könnte so sicherstellen, nur mit Unternehmen zusammenzuarbeiten, welche den Schutz ihrer Arbeitnehmenden garantieren.