Die parlamentarische Initiative von Ada Marra «Die Schweiz muss ihre Kinder anerkennen» ist seit über acht Jahren im Parlament diskutiert worden. Nun können Volk und Stände entscheiden, ob sie das Einbürgerungsverfahren für in der Schweiz geborene Ausländerinnen und Ausländer, deren Eltern und Grosseltern ebenfalls hier leben oder gelebt haben, vereinfachen wollen. Aber was bedeutet «ihre Kinder anerkennen» effektiv und wer sind diese Kinder? Travail.Suisse, der unabhängige Dachverband der Arbeitnehmenden, unterstützt die Kampagne für die Abstimmung vom 12. Februar 2017.
Nach acht Jahren in der Schwebe und einem mehrfachen Hin und Her zwischen den eidgenössischen Räten wurde für die parlamentarische Initiative zur Vereinfachung der Einbürgerung für Ausländerinnen und Ausländer der dritten Generation endlich ein Konsens erzielt. Die Vorlage, die zur Volksabstimmung gelangen wird, umfasst sowohl eine Änderung der Bundesverfassung als auch eine solche des Bürgerrechtsgesetzes. Momentan obliegt die Entscheidung, ob Ausländer der dritten Generation von einer erleichterten Einbürgerung profitieren, den Kantonen und hängt von deren politischem Willen ab. Jeder Kanton kann eigene Regeln für die Erleichterung des Verfahrens einführen: Einige Kantone haben dies bereits gemacht, andere hingegen nicht. Nun schlägt die Abstimmungsvorlage eine Änderung der Bundesverfassung vor, damit alle Schweizer Kantone die gleichen Regeln für die erleichterte Einbürgerung von Ausländerinnen und Ausländern der dritten Generation anwenden. Am 12. Februar werden Volk und Stände also entscheiden, ob sie einer Vereinheitlichung der Schweizer Gesetzgebung zur Erleichterung des Einbürgerungsverfahrens von jungen Ausländerinnen und Ausländern unter 25 Jahren zustimmen.
Einige politische Volksvertreter, die jedoch nicht klar unterscheiden zwischen ausländischen Personen, die in der Schweiz geboren sind, und solchen, die erst später, im Erwachsenenalter eingewandert sind, sind der Ansicht, dass die Einbürgerung nicht «leicht» zu erlangen sein soll. Ausserdem solle die Befugnis, die Verfahren zu erleichtern, weiterhin bei den Kantonen liegen. Travail.Suisse ist hingegen klar der Ansicht, dass eine Vereinheitlichung der Gesetzgebung prioritär ist, um eine schweizweite Gleichbehandlung zu gewährleisten. Zudem würde eine Erleichterung des Einbürgerungsverfahrens nicht zu einer «Verhöckerung» des Schweizerpasses führen. Denn es geht erstens um bereits integrierte Personen, für die kein Automatismus zur Gewährung der Schweizer Staatsangehörigkeit vorgesehen ist, und zweitens stellt ihre Einbürgerung eine Chance für die Demokratie und den sozialen Zusammenhalt dar.
h2. Wer sind die jungen Ausländerinnen und Ausländer der dritten Generation?
Der Entwurf zur Anpassung der Bundesverfassung und des Bürgerrechtsgesetzes umfasst Auflagen, die ausschliesslich junge in der Schweiz geborene Ausländerinnen und Ausländer unter 25 Jahren betreffen. Abgesehen davon, dass sie in der Schweiz geboren sind, müssen Ausländer und Ausländerinnen, die ein Einbürgerungsgesuch stellen, im Besitz einer Niederlassungsbewilligung (C-Bewilligung) sein und fünf Jahre der obligatorischen Schulzeit in der Schweiz absolviert haben. Sie müssen belegen, dass ihre Eltern und Grosseltern ebenfalls in der Schweiz leben oder gelebt haben. Konkret muss ein Elternteil mindestens zehn Jahre in der Schweiz gewohnt haben, eine C-Bewilligung besitzen und fünf Jahre der obligatorischen Schule in der Schweiz besucht haben. Von den Grosseltern muss eine Person in der Schweiz geboren sein oder «glaubhaft machen können», dass sie ein Aufenthaltsrecht in der Schweiz besitzt.
Abgesehen von diesen ziemlich strengen Auflagen, die die «Ausländer der dritten Generation» eng definieren, sollten die Begriffe Integration und Zugehörigkeitsgefühl in den Fokus gerückt werden. Denn wenn der Erwerb der schweizerischen Staatsangehörigkeit auch eine «gute» Integration und ein Zugehörigkeitsgefühl voraussetzt, müssten folglich die integrierten und der Schweiz zugehörigen Personen dieses Recht nutzen können, und zwar ohne administrative Hindernisse. Im Gesetz wird die Integration mithilfe einiger Elemente definiert. Genannt werden die Beachtung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, die Respektierung der Werte der Bundesverfassung, die Fähigkeit, sich im Alltag in einer Landessprache zu verständigen, die Teilnahme am Wirtschaftsleben oder am Erwerb von Bildung. Den in der Schweiz geborenen ausländischen Personen kann ohne Weiteres attestiert werden, dass sie diese Bedingungen mehrheitlich erfüllen. Sie sprechen eine Landessprache fliessend und haben die gesamte obligatorische Schulzeit in der Schweiz absolviert. Ausserdem sind sie wegen ihrer Schulbildung in der Schweiz ebenfalls dazu prädestiniert, sich in den Arbeitsmarkt einzugliedern. Sie kennen das institutionelle System in der Schweiz und haben es in der Schule wie in ihrem Alltag erlebt. Die jungen Ausländerinnen und Ausländer der dritten Generation sind also auf jeden Fall «Kinder der Schweiz», deren Existenz man – mehr noch als ihre Integration, die eine Tatsache ist – anerkennen muss.
Noch immer schwierige Bedingungen
Da die Gewährung des Schweizer Bürgerrechts das Vorhandensein einer besonderen und engen Verbindung zur Schweiz voraussetzt, gibt es keine triftigen Gründe dafür, dass die Personen, die diese Verbindung aufweisen, von diesem Recht ausgeschlossen werden. Doch die Einbürgerungsauflagen für in der Schweiz geborene Ausländerinnen und Ausländer gemäss dem Bürgerrechtsgesetz heben eines der Haupthindernisse des Verfahrens nicht auf: das Gefühl der Erniedrigung. Denn wenn eine Person, die in der Schweiz geboren ist und sich diesem Land zugehörig fühlt, vor eine Einbürgerungskommission treten muss, befragt wird und Fragen zu ihrem Leben beantworten muss, zieht sie es manchmal vor, diesen Prozess, der ihr absurd und demütigend erscheint, gar nicht anzustossen. Weitere Hindernisse des Verfahrens sind die Kosten und die Dauer. Es ist also nicht so einfach, die Schweizer Staatsbürgerschaft zu erlangen! Im heutigen Gesetz besteht die einzige Erleichterung für junge, in der Schweiz geborene Ausländerinnen und Ausländer darin, dass die Jahre zwischen dem 10. und 20. Lebensjahr doppelt angerechnet werden. 2018 wird das Gesetz verschärft und die doppelte Anrechnung der Jahre betrifft künftig die Jahre zwischen dem 8. und 18. Lebensjahr. Die Auflagen für ein Einbürgerungsgesuch sind sehr restriktiv. Es ist folglich an der Zeit, diese Auflagen für alle zu lockern und nicht nur für diejenigen, die das Glück haben, in einem Kanton zu leben, der eine erleichterte Einbürgerung ermöglicht.
Nationale Identität und wirtschaftliches Potenzial
Gibt es nur eine nationale Identität oder mehrere? Die Identität der Schweiz ist komplexer als wir uns vorstellen können. Mit ihrer Vielfalt punkto Sprachen und Kultur wäre es schwierig, den Einfluss der ausländischen Personen aus dem Schweizer Identitätsgefüge auszuklammern. Die Geschichte hat ausserdem gezeigt, dass der wirtschaftliche Aufschwung in der Schweiz auch durch ausländische Arbeitskräfte begünstigt wurde. Die Generation der Grosseltern, deren Kinder und Enkelkinder in der Schweiz geboren wurden, stellt einen Teil dieser Arbeitskräfte dar. Drei Generationen von Arbeitern, von denen einige bereits eingebürgert wurden. Sie gehören zur Schweiz. Warum also sollte man den jungen Ausländerinnen und Ausländern der dritten Generation, die noch nicht eingebürgert wurden, bei ihrer Einbürgerung weiterhin Steine in den Weg legen? Diese Generationen haben einen Beitrag zur Wirtschaft geleistet, und die jungen Ausländerinnen und Ausländer bergen ein wichtiges Potenzial auf dem Arbeitsmarkt, das es zu nutzen gilt.
Eine erleichterte Einbürgerung würde es zudem erlauben, das demokratische Potenzial zu steigern, indem die Anzahl der Stimmberechtigten erhöht würde. Denn eines ist unbestritten: Je mehr in der Schweiz wohnhafte Personen sich am demokratischen Prozess beteiligen, desto grösser ist die Chance, eine breite Realität der Bedürfnisse und des Volkswillens abzubilden.